So., 02.08.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Übers Wasser fahren
Nur noch ein paar Handgriffe und dann weiß Stefan Riederer, ob sein Traum in Erfüllung geht. Er steht an einem Steg eines oberbayerischen Sees in der Nähe von Rosenheim. Ein Jahr Arbeit hat er in seine Idee gesteckt. Eine Idee, die von allen seinen Ingenieurskollegen immer nur belächelt wurde. Stefan Riederer will mit einem Fahrrad übers Wasser fahren.
Ein Propeller soll für den nötigen Vorwärts-Schub sorgen, angetrieben über die Pedale und nur durch Muskelkraft. Damit das Wasserfahrrad nicht zum U-Boot wird, montiert Stefan Riederer kleine Tragflächen. Sie sorgen für den nötigen Auftrieb – hoffentlich!
Geplatzter Traum und neue Herausforderung
Eigentlich, meint Stefan Riederer, fährt sein Fahrrad nicht; und es schwimmt auch nicht. Wenn alles gut geht, fliegt er mit seinem Rad durch das Wasser.
Schon als kleiner Junge verbringt Stefan Riederer Stunden damit, Vögel am Himmel zu beobachten. Er ist fasziniert von der Idee, nur durch die eigene Kraft abzuheben und durch die Lüfte zu segeln. Ein Traum, der ihn nicht mehr loslässt.
Heute ist Stefan Riederer studierter Luft- und Raumfahrttechniker und promovierter Aerodynamiker. Und heute weiß er, dass der Traum vom Fliegen nur mit Muskelkraft für ihn leider ein Traum bleiben wird.
"Prinzipiell geht das natürlich schon. Aber der Aufwand wäre enorm. Nur die teuersten Materialien dürften zum Einsatz kommen und für die Montage eines entsprechenden Fluggerätes bräuchte ich eine ziemlich große Halle, weil die Spannweite wahrscheinlich etwa 30 Meter betragen müsste. Alles zusammen betrachtet muss ich eben sagen: Das schaffe ich nicht alleine."
Statt in die Luft ins Wasser
Doch ganz lässt ihn sein Traum dennoch nicht los. Und er verfällt auf eine andere Lösung: Er verlagert seine Idee in ein zäheres Medium: ins Wasser!
Stefan Riederer versucht sich zuerst an einer Machbarkeitsstudie. Gewicht, Stabilität, Schub des Gefährts und Auftrieb im Wasser sind die Parameter, die zusammen über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Als Grundkonzept kam nur das Fahrradprinzip in Frage. Über Pedale könnte Riederer als gut trainierter Sportler maximale Kraft für den Antrieb einsetzen.
Nach zwei Monaten Rechenarbeit steht fest: Es gibt den Hauch einer Chance, dass ein Wasserfahrrad funktioniert. Aber die Herausforderung ist groß!
"Ich weiß, ich kann auf dem Fahrrad etwa 400 Watt strampeln", sagt Riederer. "Das ist nur halb so viel wie Eric Zabel auf der Zielgeraden bringt, aber es ist jetzt auch nicht wenig. Mehr geht aber nicht! Das ist der limitierende Faktor! Das heißt alles andere drum herum, muss so konstruiert und so beschaffen sein, dass mein Wasserfahrrad funktioniert, dass ich damit wirklich durchs Wasser fliegen kann. Es ist eine Sache der Optimierung. Ich muss alles andere so umsetzen, dass es mit meiner Leistung funktioniert!"
Das "Wasser"-Rad neu erfinden
Das Grundgerüst für das Wasserfahrrad ist schnell gefunden: der Rahmen eines Mountainbikes. Leicht, aber extrem stabil ist er. So kommt die Kraft von Riederer auch direkt auf die Pedale. Aber ein Rahmen macht noch kein Wasserfahrrad. Andere Komponenten müssen mit ihm verschweißt werden. Und zwar mit höchster Präzision. Nur die kleinste Abweichung von den Berechnungen und das Fahrrad versinkt vielleicht.
Die Tragfläche stellt die nächste Herausforderung dar. Zwei weitere Monate braucht Stefan Riederer, um sie zu berechnen und zu fertigen. Auch sie muss leicht, aber absolut widerstandsfähig sein. Auf sie warten im Fall des Falles die höchsten Belastungen. Ein Heißdrahtschneider ist das perfekte Werkzeug. Er schält aus einem Schaumstoffblock die exakt berechnete Form. Doch ein Flügel aus Schaumstoff würde beim Eintauchen ins Wasser sofort zerbrechen. Schließlich sitzt Stefan Riederer mit seinen gut 70 Kilogramm direkt über ihm. Der Schaumstoff gibt nur die Form vor. Den eigentlichen Flügel fertigt der Ingenieur aus Carbon - Kohlefaser! "Dieses Material ist der absolute Wahnsinn. Wenn man es nass macht, kann es jeder Form angepasst werden und nach dem Trocknen im Ofen ist es zehnmal stabiler als Stahl, aber nur ein Drittel so schwer. Mit dem Material werden Flugzeuge gebaut, das Space Schuttle und natürlich Formel I Bolliden. Und ich kann es für mein Wasserfahrrad verwenden. Ohne Carbon könnte ich meine Idee nicht umsetzen. Und es sieht einfach irre aus. Für mich ist es das schönste Material der Welt!"
Die größte Herausforderung aber ist der Antrieb. Stefan Riederer weiß: Jeder Millimeter unter Wasser bremst. Irgendwann würde die bloße Muskelkraft einfach nicht mehr ausreichen. Trotz eines komplizierten mechanischen Antriebs muss das Gehäuse für denselben absolut schlank und stromlinienförmig sein. Nach langem Tüfteln findet Riederer eine Lösung. Zumindest eine, die laut Berechnungen funktionieren müsste. "Das Dumme ist, ich habe wirklich nur einen Versuch! Wenn alle Berechnungen sagen, dass es geht, und ich gehe trotzdem unter, dann weiß ich nicht, woran es liegt. Ich habe keine Chance irgendwo anzusetzen und etwas zu verbessern. Dieses Experiment ist also ziemlich 'digital': entweder Hopp oder Topp!"
Aber Stefan Riederer schafft es. Nach ein paar Versuchen. Denn das Aufsteigen und Losfahren mit dem Wasserfahrrad muss erst geübt werden.
Es ist unglaublich, ein surrealer Anblick. Sofort versammeln sich zahlreiche Schaulustige am Ufer des oberbayerischen Sees. Stefan Riederer fährt mit seinem Fahrrad übers Wasser, so sieht es zumindest aus. Im physikalischen Sinne fliegt seine Konstruktion im Wasser.
Stefan Riederer hat sich also seinen Traum erfüllt. Und dabei ist er schneller als jedes Ruder- oder Segelboot.
Autor: Herbert Hackl (BR)
Stand: 25.07.2013 11:11 Uhr