So., 15.03.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Würmer auf Rezept
Mit Würmern sollen Krankheiten des Immunsystems wie Allergien, Asthma, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn oder Multiple Sklerose therapiert werden.
Sie zersetzen die Leber, führen zu Durchfall oder zerstören die Augen. Krank machende Würmer haben – zu Recht - keinen guten Ruf.
Doch die langen Parasiten können auch anders. Seit einigen Jahren bekommen sie immer mehr Fans. Nicht nur Parasitologen, sondern auch Immunologen und Mediziner haben Würmer nicht mehr nur als Schädlinge, sondern als Nützlinge im Visier.
Während die Zahl der Würmer in unseren Därmen im Laufe des letzten Jahrhunderts stark abgenommen hat, ist die Zahl der Allergiker dramatisch angestiegen. Haben wir "entwickelten" Menschen den Wurm gegen die Allergie eingetauscht? Und sollten wir deshalb die Würmer wieder zurück in unser Leben holen?
Kein Wurm weit und breit
Vor einigen Jahrzehnten fand man in vielen Stuhlproben von Kindern Würmer. Unter den hygienischen Bedingungen heute haben diese Parasiten jedoch kaum noch eine Chance zu überleben. Unsere Därme – und auch die der Nutz- und Haustiere – sind nahezu wurmfreie Zonen. Dafür werden wir von Asthma und Allergien geplagt.
Das sieht in Ländern, in denen Wurminfektionen noch zum Alltag gehören, anders aus. In weiten Teilen Afrikas spielen Allergien keine große Rolle.
Dagegen führte die flächendeckende Entwurmung von Kindern in Gabun zu einer Zunahme an allergischen Reaktionen gegen Hausstaubmilben.
Die "guten alten Freunde"
Die Idee ist schon einige Jahre alt: Braucht der menschliche Körper vielleicht den Wurm und bestimmte Bakterien, um sein Immunsystem zu trainieren? Zumindest nicht krank machende Parasiten und Keime – und davon gibt es viele – könnten als Sparringspartner für die Abwehr von wertvollem Nutzen sein. Denn ein keimarmer Körper beherbergt meist ein sehr reizbares Immunsystem.
Der englische Immunologe Graham Rook nennt es die "Old-Friends-Hypothese". Wir brauchen die guten alten Bekannten; spezielle Würmer und auch Bakterien, die schon immer Teil unserer Lebensumgebung waren. Früher waren die meisten Menschen und Tiere mit ihnen infiziert. Sie waren Mitbewohner und beschützten uns vor krank machenden Keimen oder überschießenden Immunreaktionen wie einer Allergie.
Der Wurm und das Immunsystem
Eine Wurminfektion dämpft die Abwehr. Denn damit ein Wurm in seinem Wirt überle-ben kann, muss er dessen Immunsystem überlisten. Der Wirt darf ihn nicht töten – aber der Parasit darf auch seinen Wirt nicht nachhaltig schaden. Im Zusammenleben der Würmer mit dem Menschen hat sich im Laufe der Evolution eine clevere Zell-kommunikation entwickelt. Und genau die Immunantworten, die auf einen Wurm rea-gieren, scheinen uns Allergien vom Leibe zu halten.
Würmer als Medizin
Eine Hamburger Medizin-Firma hat die Würmer bereits im Angebot. Ihre Suspension mit Wurmeiern wird weltweit gegen chronische entzündliche Darmerkrankungen eingesetzt. Der Ursprung dieser Autoimmunerkrankungen ist – wie bei einer Allergie - ebenfalls eine gestörte Abwehr.
In Japan aß Koichiro Fujita mit Würmern befallen Lachse, um seinen Heuschnupfen zu kurieren. Von da an lebten drei Fischbandwürmer – die werden mehr als einen Meter lang und legen täglich bis zu 200.000 Eier – in ihm. Er behauptete, er sei von seinem Heuschnupfen kuriert.
Würmer im Test
In Berlin arbeitet man mit Zellkulturen, denen man Wurmsubstanzen hinzufügt, und Mäuse bekommen Wurm-Proteine gegen ihr Asthma. In Bochum schlucken Mäuse Wurmeier und 2009 beginnt dort eine Studie an der Kinderklinik: Kinder mit Heu-schnupfen, Asthma und/oder Nahrungsmittelallergie sollen eine Saison lang eine Wurmtherapie machen. Derzeit prüft die Ethikkommission das Anliegen. Denn die wissentliche Infektion von Kindern mit Würmern muss genehmigt werden.
Aber der leitende Arzt Prof. Eckard Hamelmann kann beruhigen. Es werden keine ausgewachsenen Würmer eingesetzt, nur Wurmeier. Und diese entwickeln sich im menschlichen Darm nicht weiter, sondern werden wieder ausgeschieden.
Und selbst wenn man lebende Würmer schlucken würde: Die eingesetzten Spezies machen uns nicht krank und vermehren sich auch nicht in uns.
Vielleicht wird man sich einst mit diesem "Ekel"-Faktor gar nicht mehr herumärgern müssen. Denn Immunologen haben bereits einige Eiweiße der Würmer identifiziert, von denen die vor Allergie schützende Wirkung ausgehen könnte. So steigert zum Beispiel Cystatin die Menge an Interleukin-10 im Blut und reguliert so das Immunsystem herunter.
Nebenwirkungen
Zwei Nebenwirkungen einer Wurm-Therapie sind bis heute bekannt. Zum einen haben einige Patienten einen weicheren Stuhl oder ganz leichte Durchfälle. Zum anderen – und das dürfte auf Dauer wichtiger sein – scheinen Impfungen nicht so gut anzuschlagen, wenn Menschen Würmer in ihrem Darm haben. Das kann man sich auch gut erklären, denn wenn das Immunsystem stark ist und nicht so leicht reagiert, dann kann es gut sein, dass die Impfstoffe "ignoriert" werden und damit keine ausreichende Immunität ausgebildet wird.
Impfen gegen Allergie?
Immer mehr Immunologen sind sicher: Der richtige Wurm im richtigen Darm zur richtigen Zeit hilft. Und die Hoffnung für die Zukunft sieht noch besser aus. Wenn alles gut geht, wird man einst gegen Allergien impfen können. Dann werden die Kinder zunächst gegen die gängigen Kinderkrankheiten geimpft und danach wird ihr Immunsystem dank einer gezielten "Wurm- oder Bakterienimpfung" cool und reagiert nicht mehr über, wenn eine harmlose Birkenpolle vorbeifliegt.
Adressen & Links
An der Kinderklinik in Bochum wird Prof. Eckard Hamelmann demnächst mit seiner
Wurmstudie beginnen.
www.klinikum-bochum.de
In Berlin an der Charité finden Studien statt, bei denen mit Keimen versucht
wird, das Immunsystem gegen Allergien zu schützen.
www.allergie-centrum-charite.de
Autorin: Angela Sommer
Stand: 14.02.2014 09:39 Uhr