So., 14.11.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Atombatterie in der Brust
Es ist eine Geschichte, deren Wurzeln in das goldene Zeitalter der Atomindustrie zurückreichen. Im vergangenen Jahrhundert sollte die strahlende Kraft der Radioaktivität schnell und günstig Energie liefern. Atomantriebe sollten Schiffe, Flugzeuge und Autos mit Energie versorgen - und Herzschrittmacher. Was damals als geniale Erfindung gefeiert wurde, ist heute ein Problem. Denn das Plutonium, mit dem die Schrittmacher betrieben werden, ist ein giftiges, radioaktives Element - und niemand weiß, wie viele Kernkraftherzen in Deutschland noch schlagen.
Plutonium liefert Energie für Jahrzehnte
Seit Anfang der siebziger Jahre wurden weltweit Schrittmacher eingesetzt, die durch eine so genannte Radionuklidbatterie angetrieben werden. Sie enthalten meist 150 bis 200 Milligramm Plutonium 238, einen Alphastrahler mit einer Halbwertzeit von rund 87 Jahren. Der radioaktive Zerfall erhitzt das Ende einer so genannten Thermosäule. Dadurch entsteht eine elektrische Spannung, die den Herzschrittmacher antreibt. Dessen Impulse halten das kranke Herz im richtigen Rhythmus.
Der Grund für dieses technische Experiment: Plutoniumbatterien sind extrem lange haltbar. Sie liefern Strom für Jahrzehnte. Den konventionellen Batterien der 1970er ging schon nach wenigen Jahren der Saft aus und Herzschrittmacherpatienten mussten dann wieder operiert werden, um die Energiequelle auszutauschen.
Die Gefahr, die den Patienten durch das Plutonium droht, hielten die Ärzte für überschaubar: Alphastrahlen lassen sich relativ leicht abschirmen, so dass praktisch keine Strahlung durch die Metallhülle des Schrittmachers nach außen tritt – solange er dicht ist.
Dunkelziffer unregistrierter Atombatterien
wischen 1971 und 1976 wurden in Westdeutschland 284 Patienten ein Herzschrittmacher mit Atombatterie implantiert. Weil das strahlende und selbst in geringsten Mengen schädliche Schwermetall Plutonium als sehr gefährlich gilt, sind diese Patienten in einem zentralen Register erfasst. Außerdem müssen die behandelnden Ärzte einmal im Jahr dem Bundesamt für Strahlenschutz melden, ob die plutoniumbetriebenen Herzschrittmacher noch funktionstüchtig und unter ihrer Aufsicht sind. Bis heute gab es keine Zwischenfälle. Nur einer der in Deutschland eingebauten Schrittmacher ist 1976 zusammen mit seinem Träger in Kambodscha verschollen.
Im deutschen Register stehen noch zwei lebende Patienten – doch es gibt eine Dunkelziffer nicht registrierter Plutoniumbatterien. In den Staaten des ehemaligen Ostblocks wurden die Atomschrittmacher nämlich mindestens bis Ende der 1980er Jahre implantiert. Es ist sicher, dass Patienten mit solchen Schrittmachern – wahrscheinlich als Spätaussiedler – nach Deutschland gezogen sind. Im Register des Bundesamtes für Strahlenschutz tauchen sie aber nicht auf. Es gibt keine Meldepflicht, keine gesetzliche Zuständigkeit für die Erfassung dieser Plutoniumbatterien. Mindestens ein Patient ist in Deutschland schon beerdigt worden, ohne dass der Atomschrittmacher entfernt wurde.
Wie groß ist das Risiko?
Wie groß die Gefahr ist, die von den Plutoniumbatterien ausgeht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend ist vor allem die Form, in der das Plutonium in den Herzschrittmachern verarbeitet ist. In den meisten in Deutschland implantierten Atomschrittmachern wurde Plutoniumoxid (PuO2) eingesetzt. PuO2 ist ein radioaktives, schwer lösliches keramisches Material mit einem sehr hohen Schmelzpunkt von etwa 2.400 Grad Celsius. Außerdem sind die hier eingesetzten Herzschrittmacher mit einer sehr robusten Hülle versehen. Sie würden eine Einäscherung höchstwahrscheinlich überstehen und auch auf dem Friedhof nur langsam Plutonium abgeben. Von diesen Fabrikaten droht der Bevölkerung, zumindest nach Aussage des Bundesamtes für Strahlenschutz, keine Gefahr.
Über die Schrittmacher aus dem ehemaligen Ostblock sind hierzulande kaum Details bekannt. Auch sie könnten das chemisch passive Plutoniumoxid PuO2 enthalten, oder auch reines, metallisches Plutonium. Dessen Schmelzpunkt liegt viel niedriger und es ist leichter löslich. Das Bundesamt für Strahlenschutz kann über die Widerstandsfähigkeit der ausländischen Herzschrittmacher-Hüllen nur Vermutungen anstellen. Bis jetzt haben die deutschen Behörden keine systematischen Nachforschungen im Ausland angestellt. Bei einer Verbrennung im Krematorium oder wenn die metallischen Überreste der Einäscherung als Schrott verwertet werden, könnte das Plutonium in die Umgebung gelangen. Atmet ein Mensch das radioaktive Schwermetall ein oder schluckt es versehentlich, so entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs.
Was sollte getan werden?
Das Beunruhigende an dieser Geschichte ist, dass niemand weiß, wie viele dieser Plutoniumbatterien im Umlauf, schon beerdigt oder eingeschmolzen sind. Von offizieller Seite gibt es bis jetzt keinen Versuch, Ärzte, Krematorien und Schrottverwerter systematisch auf das potenzielle Problem hinzuweisen. So bleibt das Risiko, dass Menschen ahnungslos mit dem radioaktiven Stoff in Kontakt kommen – oder dass so eine Batterie in falsche Hände gerät. Denn mit krimineller Energie lässt sich die Energiequelle des Herzschrittmachers auch als Mordwaffe verwenden. Würde man das Plutonium der Batterie einem Menschen ins Essen mischen, so würde der daran sterben.
Fachausdrücke
Plutonium 238
Plutonium ist ein giftiges, radioaktives Schwermetall. Da alle Isotope instabil sind kommt es auf der Erde natürlich nur in äußerst kleinen Mengen vor. Es entsteht aber in vielen Kernkraftwerken, die mit Uran betrieben werden, als durch Neutroneneinfang. Plutonium 239 ist spaltbar und wird in Kernkraftwerken und –waffen eingesetzt. Das leichtere Isotop Plutonium 238 ist nicht spaltbar und hat als Aphastrahler eine mittlere Halbwertszeit von 87,7 Jahren.
Alphastrahlung
Alphastrahlung besteht aus relativ massiven Teilchen, den Alphateilchen, die sich – wie die Kerne von Helium-4-Atomen aus zwei Neutronen und zwei Protonen zusammensetzen. Alphastrahlung entsteht durch spontanen oder angeregten Zerfall von schweren radioaktiven Elementen. Alphateilchen transportieren relativ viel Energie und können menschliches Gewebe lokal stark schädigen. Andererseits schirmt schon ein Blatt Papier die Alphastrahlung wirkungsvoll ab.
Autor: Daniel Münter (WDR)
Stand: 21.08.2012 12:15 Uhr