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Neues Knie mit altem Knochen

Das Knie - Schwachstelle im Bewegungsapparat

Die Beine eines Fußballers
Knie müssen großen Belastungen standhalten | Bild: NDR

Das Knie ist unser größtes Gelenk. Und es muss auch am meisten aushalten. Beim Laufen, Springen oder dem Tragen von Lasten wird das Gelenk extrem belastet. Dafür hat die Natur es aber nicht optimal konstruiert. Es ist anfällig für schwere Verletzungen und Verschleiß. Gelenkflächen und Knorpel nutzen sich durch Fehlstellungen oder andauernde Überlastung ab. Es kann zu chronischen Entzündungen kommen, die äußerst schmerzhaft sind und das Gelenk noch weiter zerstören. Oft hilft dann nur noch ein operativer Eingriff, im Extremfall muss das Gelenk durch eine Prothese ersetzt werden.

Anzahl der Knie-Operationen steigt rasant

Ein Sportler im Kraftraum
Sport belastet oft auch die Knie | Bild: NDR

Eine Zahl hat die Gesundheitspolitiker aufgeschreckt: 175.000. So viele künstliche Kniegelenke sind 2009 deutschen Patienten eingesetzt worden. Das sind 43 Prozent mehr als 2003. Die Ursache für den hohen Anstieg ist mit dem veränderten Freizeitverhalten zu erklären. Zwar machen insgesamt zu wenig Menschen Sport, doch die aktiven Jogger, Kletterer, Fußball- und Squashspieler übertreiben es häufig. Um dabei zu sein, werden die Warnzeichen ignoriert. Statt Schonung gibt es eine Tablette gegen die Schmerzen.

Keine Prothesen für junge Patienten

Schematische Darstellung einer Knie-Prothesen-OP
Für eine Vollprothese muss viel gesunder Knochen entfernt werden | Bild: NDR

Viele junge Menschen bis 45 Jahre haben erhebliche Kniebeschwerden, die mit einer Vollprothese sofort beseitigt wären. Allerdings wird diese Hilfe den Patienten oft verwehrt. Denn sie sind für diese Operation eigentlich zu jung. Das Problem ist die Haltbarkeit der Prothese: Die Operation eines künstlichen Kniegelenks ist ein erheblicher Eingriff. Dabei werden Oberschenkel- und Unterschenkelknochen für die Prothese zurechtgesägt und es geht auch sehr viel gesunder Knochen verloren, da das künstliche Kniegelenk den gesamten Gelenkapparat ersetzt. So eine Operation sollte man möglichst nicht mehr als ein Mal wiederholen. Doch eine Vollprothese ist nicht ewig haltbar, für die heute benutzten Modelle schätzt man 20 Jahre, bis sie ersetzt werden müssen. Ein heute 35-Jähriger hätte bei einer normalen Lebenserwartung mindestens zwei Austauschoperationen vor sich.

Alternative zur Vollprothese

Knie-Metallimplantat
Das neue Metallimplantat ersetzt nur einen kleinen Teil des Knies | Bild: NDR

Die Mannschaftsärzte des Fußball-Bundesligisten FC St. Pauli, Dr. Carsten Lütten und Dr. Joachim Holz, hatten schon viele junge Kniepatienten. Darunter auch einige Spitzensportler, denen sie nicht optimal helfen konnten, weil sie zu jung waren. Deshalb suchten sie nach einer geeigneten Alternative zur Total-OP. Fündig wurden sie bei dem Prothesenentwickler Dr. Philip Schoettle. Er konstruierte ein Metallimplantat, das formschlüssig in den Gelenkknochen eingesetzt wird. Es ersetzt nur die schadhaften Bezirke des Gelenks und wird in der Form an die Knochenoberfläche angepasst. Die Operation ist ein wesentlich geringerer Eingriff, da die gesamte gesunde Knochensubstanz erhalten bleibt und das Implantat mit nur einer Schraube im Knochen verankert wird. Selbst ein Austausch kann minimalinvasiv und öfter als ein Mal erfolgen.

Der erste Patient

Röntgenbild des Implantats
Das Implantat im Röntgenbild | Bild: NDR

Björn B. (*) ist erst 37 Jahre alt, doch er hat schon einen langen Leidensweg hinter sich: Im Alter von acht Jahren wurde bei ihm eine Fehlstellung der Kniescheibe diagnostiziert. Die führte dazu, dass die Kniescheibe ständig aus ihrer Führung heraus sprang. Es folgten einige Behelfsoperationen, die allerdings keine wesentliche Besserung brachten. Die letzten zehn Jahre wurden zunehmende Schmerzen zu seinem ständigen Begleiter. Zum Schluss konnte er nicht länger als fünf Minuten gehen, stehen oder sitzen. Für eine Vollprothese war er noch immer zu jung, deshalb erproben Dr. Holz und Dr. Lütten an ihm das Implantat zum ersten Mal. Es soll der Kniescheibe wieder Halt und Führung geben. Die OP verläuft gut, die Ärzte können viel Knochen erhalten. Die Schraube zur Befestigung des Teilimplantats greift in dem jungen Knochen sogar besonders gut.

Ermutigendes Ergebnis

Operationsnarbe
Neun Monate nach der OP ist der Patient schmerzfrei | Bild: NDR

Ob die Operation auch zu einer dauerhaften Verbesserung führen wird, das lässt sich erst nach Wundheilung und Rehabilitation des Knies beurteilen. Neun Monate später die Nachuntersuchung: Björn B. kann es kaum fassen. Er ist absolut schmerzfrei, kann ohne Stock gehen, Schwimmen und Radfahren sind zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder möglich. Dieses Resultat macht Hoffnung, die Erfahrungen mit der neuen Methode fließen jetzt in die Weiterentwicklung des Implantats ein. Vielleicht gilt in Zukunft für Knieoperationen dieser Art die Devise: weniger ist mehr.

(*)Name von der Redaktion geändert

Autor: Uwe Leiterer (NDR)

Stand: 18.09.2015 14:29 Uhr

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