So., 29.08.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Hafenagent an Bord der Königin
Hamburg, Kreuzfahrtterminal, morgens 05:30 Uhr. Der sonore Ton eines Schiffshorns durchdringt die Luft. Auf dem Scheitel der Flut läuft die Queen Mary 2 in den Hamburger Hafen ein. Mit rund 2.600 Passagieren, 1.250 Besatzungsmitgliedern und einer Länge von 345 Metern gehört sie zu den größten und bekanntesten Kreuzfahrtschiffen der Welt.
Im gedeckten Anzug und passender Krawatte wartet Florian Bethke an der Spitze des Kais auf ihre Ankunft. Der 36-Jährige ist so etwas wie der persönliche Butler der Queen. Als Hafenagent kümmert er sich buchstäblich um alles, was rund um das Ein- und Auslaufen eines Kreuzfahrtriesen wie der Queen Mary 2 zu erledigen ist – sei es die Ausnahmegenehmigung für die Elbpassage oder feinster Kaviar für die Bordküche.
Heute bleiben dem gelernten Schifffahrtskaufmann knapp 12 Stunden, um den Wechsel von rund 2.000 Passagieren und Crewmitgliedern zu begleiten, Wartungsarbeiten zu koordinieren, Wasser- und Treibstoffvorräte zu bunkern und dabei stets ein offenes Ohr für all die kleinen Extrawünsche an Bord zu behalten. Mit Kreuzfahrtromantik hat das wenig zu tun – es ist ein Knochenjob unter hohem Zeitdruck.
Ship is clear...
06:15 Uhr. An der Sicherheitsschleuse im Eingang zum Schiff empfängt ihn Chief Purser Jonathan Leavor, der "Zahlmeister". Leavor, ein großgewachsener Brite mit kantigem Kinn, könnte in jeder Traumschiff-Verfilmung mühelos den Kapitän geben. Er ist von Schiffsseite für alle organisatorischen Fragen verantwortlich und Florian Bethkes erster Ansprechpartner. Während die meisten Passagiere ihre Ankunft in Hamburg verschlafen, werden im Purser’s Office bereits die Formalitäten abgewickelt. Beamte von Zoll und Wasserschutzpolizei kontrollieren die Passagier- und Frachtlisten. Erst wenn sie ihr OK geben, dürfen Menschen und Waren das Schiff verlassen.
"Ship is clear by immigration and customs!", gibt Bethke das erlösende Kommando. Zoll und Wasserschutzpolizei haben das Schiff frei gegeben. Dann macht er sich mit seinen zwei wichtigsten Arbeitsgeräten, Funkgerät und Handy, auf den Weg. Ab sofort ist Bethke für jeden auf dem Schiff direkt erreichbar, egal ob es der Laderaum ist, die Küche oder die Brücke. Fragen und Wünsche gibt es genug.
Frisches Make-up für die Königin
08:00 Uhr. Für Malerarbeiten in 25 Metern Höhe am Heck der Queen Mary 2 hat Bethke eine mobile Hebebühne organisiert. Der Kranwagen mit dem ausfahrbaren Teleskoparm ist pünktlich zur Stelle, doch er kommt nicht ans Schiff: Große Gepäckcontainer blockieren den vorgesehenen Platz an der Kaikante. Nachdem die Koffer der aussteigenden Passagiere bereits entladen sind, haben die Stauer sie hier bis zur erneuten Beladung zwischengeparkt. Ein kurzes Gespräch mit Leo, dem Vormann der Stauer, und eine Armada von Gabelstaplern schafft die Container in wenigen Minuten beiseite.
Jede Stunde im Hafen wird genutzt, um das Make-Up der Königin aufzufrischen. Vom Krankorb aus verpassen die Maler dem Schiff eine neue Schicht schwarzer Farbe. Ein weiterer Kollege entfernt mit dem Wasserstrahler Dreck und Salzränder am Rumpf.
09:15 Uhr. Hafenagent Bethke empfängt einen Funkspruch: Die Treibstoff-Schute hat wasserseitig festgemacht. Weil die Preise in Deutschland gerade günstig sind, hat das Schiff über Bethke rund eine Million Liter Schiffsdiesel geordert. Bethke überzeugt sich mit einem Blick vom Außendeck, dass die Betankung begonnen hat. Parallel dazu läuft den ganzen Tag über Frischwasser in die Tanks der Queen Mary 2. Sie haben ein Fassungsvermögen von rund 3,8 Millionen Litern - das deckt den Verbrauch für knapp vier Tage. Danach muss die bordeigene Entsalzungsanlage für Nachschub sorgen.
Auch das siebenteilige Kofferset kommt mit
10:00 Uhr. Florian Bethke geleitet Küchenchef Klaus Kremer zu seinem Taxi vor dem Terminal. Neun Monate im Jahr ist der Kölner Koch Herr über die acht Küchen an Bord der Queen Mary 2 mit ihren rund 14.000 Mahlzeiten pro Tag. Jetzt nimmt er sich eine kleine Auszeit, geht erst im Heimathafen Southampton wieder an Bord. Die Transfers der Crewmitglieder, Shuttle-Service und Hotel-Buchungen - all das Aufgaben von Hafenagent Bethke.
Im Terminal hat die Abfertigung der neuen Passagiere bereits begonnen. Vor den Luxus einer Transatlantik-Kreuzfahrt haben die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 drastisch verschärften internationalen Richtlinien für Hafensicherheit Kontrollen wie auf dem Flughafen gesetzt. Unabhängig von Rang und Status müssen sich alle Passagiere der zeitaufwendigen Prozedur unterziehen. Vor der Gangway hinauf zum Schiff warten Fotografen für einen Erinnerungsschnappschuss auf die Ankommenden.
Bethke schaut eben im Gepäckterminal vorbei. Hier werden die großen Gepäckstücke zentral gesammelt und durchleuchtet. Nach Decknummern sortiert werden sie über die Frachträume ins Schiff geladen und von dort bis vor die Kabinentür gebracht. Eine Mengen- oder Gewichtsbeschränkung gibt es dabei nicht: Reisen mit dem siebenteiligen Kofferset ist heute zwar nicht mehr üblich, aber noch immer möglich.
160 Kilogramm Sauerstoff suchen einen Empfänger
13:00 Uhr. Wieder ein Funkspruch. Für das Schiff wurden zwei Flaschen mit 160 Kilogramm medizinischem Sauerstoff angeliefert. Bethke muss den Empfänger finden. Während sich die Kreuzfahrer zur klassischen Musik eines Streichquartetts in den Sesseln der Großen Lobby entspannen, macht er sich auf den Weg ins Schiffslazarett. Aber dort weiß man nichts von einer Sauerstoff-Bestellung. Bethke hängt sich ans Schiffstelefon. Doch auch beim technischen Dienst: Fehlanzeige. Jetzt kommt eigentlich nur noch ein Passagier als Empfänger in Frage, also auf ins Büro für Passagierangelegenheiten. Hier findet Bethke endlich einen Abnehmer. Er bekommt Unterschrift und Stempel für den Lieferschein - sein Nachweis, dass die Lieferung zugestellt und bezahlt werden kann. Bethke tupft sich den Schweiß von der Stirn. Doch seit er für einen Passagier mal binnen Stunden zwölf Liter frische Ziegenmilch beschaffen musste, bringen ihn auch 160 Kilogramm herrenloser Sauerstoff nicht mehr aus der Ruhe.
15:00 Uhr. Zwischenstopp im Purser's Office. Bethke stöpselt sein Handy ein, um den Akku wenigstens kurz mal aufzuladen. Per Funk bespricht er mit der Brücke, ob für den Abgang, das Ablegemanöver gegen 17:00 Uhr, Schlepper benötigt werden. "Nicht nötig, bei dem schwachen Wind schaffen wir es aus eigener Kraft", lautet die Antwort vom Kapitän. Wieder ein Punkt weniger auf der Liste.
Audienz beim Captain
16:00 Uhr. Die Maler sind fertig. Auf der Pier verabschiedet Bethke den Kranwagenfahrer. Auch hier bekommt er eine Rechnung, die er vom Staff Captain auf der Brücke abzeichnen lassen muss. Für Passagiere ist die Brücke auf Deck 12 in einer Höhe von rund 40 Metern über dem Wasser tabu. Hafenagent Bethke aber hat freien Zugang. Nach rund sechsjähriger Zusammenarbeit ist sein Verhältnis zur Crew freundschaftlich. Auf einer Fahrt mit der Queen Mary 2 von New York nach Hamburg machte er seiner Freundin den Heiratsantrag - ganz vorn, am Bug des Schiffs. Unter dem Beifall der Crew sagte sie 'Ja'.
Staff Captain Robert Camby ist verantwortlich für die Besatzung und für die Wartung des Schiffes. Er muss alle Rechnungen abzeichnen, damit Bethke auf den Kosten für Hebebühne, Taxifahrten und etwaige Sonderwünsche nicht sitzen bleibt. Nachdem das Geschäftliche erledigt ist, verabreden sie sich für den nächsten Besuch in Hamburg auf ein Bier.
Der Butler geht als letzter von Bord
16:45 Uhr. Geschafft: Mit der Schiffspost unter dem Arm geht der Hafenagent als letzter von Bord der Queen. Wie jedes Mal mit einem zwiespältigen Gefühl: Am liebsten würde er mitfahren. Doch Bethkes Platz ist im Hafen. Und dort fängt die Arbeit gleich morgen von vorne an. Denn Ihre Majestät ist schon in wenigen Wochen erneut zu Gast. Und dafür hat er wieder einiges vorzubereiten.
Autor: Jochen Becker (NDR)
Stand: 29.10.2015 14:38 Uhr