So., 14.03.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Robofish und die Schwarmintelligenz
Wie sich Schwärme entscheiden
In einem Fischschwarm gibt es keinen Anführer, dem die anderen Tiere folgen. In welche Richtung der Schwarm schwimmt, ist eine Entscheidung, die vom ganzen Schwarm getroffen wird – und es ist eine Entscheidung, die für das Überleben der Individuen entscheidend sein kann. Wie aber funktioniert so eine kollektive Entscheidung, und welche Rolle spielt dabei die Größe des Schwarms?
Organisation ohne Organisator
Tausende von Tieren und sie bewegen sich wie ein einziger Organismus, wie auf ein Kommando. Was für den menschlichen Betrachter ein faszinierendes Schauspiel ist, ist für die Fische pure Überlebensnotwendigkeit. Denn das Leben im Schwarm bedeutet für die Einzeltiere vor allem Schutz gegen Räuber, außerdem Zugang zu Informationen, die im Schwarm geteilt werden. Aber wer entscheidet eigentlich, was der Schwarm tut, zum Beispiel ob er nach rechts oder links schwimmt? Ein Leittier, dem alle folgen, gibt es im Schwarm – anders als im Rudel – nicht. Kein Individuum hat den Überblick über das Ganze, und jedes Individuum entscheidet für sich. Trotzdem kommen dabei Entscheidungen zustande, die von allen Tieren des Schwarms getragen werden. Aus unzähligen Einzelaktionen entsteht ein System, das sich selbst steuert. Aber wie geschieht das?
Manipulator aus Kunststoff
Wie Schwärme Entscheidungen fällen, will der Biologe Jens Krause vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin mit Hilfe eines Experiments herausfinden. Sein Versuchsobjekt ist ein Schwarm Stichlinge, knapp zehn Zentimeter große Fische, die die Forscher im Labor halten. Um dem Entscheidungsverhalten des Stichling-Schwarms auf die Spur kommen, hat sich Jens Krause etwas Besonderes einfallen: den „Robofish“ – ein Fisch aus Plastik, der den echten Stichlingen täuschend ähnlich sieht und der mit Hilfe eines Elektromagneten unter dem Becken gesteuert wird. Das Attraktive am Robofish: Mit ihm können die Wissenschaftler einen Fisch im Schwarm kontrollieren. Per Knopfdruck können sie entscheiden, wann der Robofish nach rechts oder links abbiegt. Um dann zu beobachten, wie der Rest des Schwarms auf diese Entscheidung eines einzelnen Individuums reagiert.
Gemeinsam schlauer
Dass die lebendigen Fische besonders gut auf den künstlichen Vetter reagieren, liegt an dessen eigenartigem Verhalten. Anders als lebendige Fische bewegt sich der Robofish nämlich mit einer Kompromisslosigkeit, die für echte Fische ungewöhnlich ist und deshalb eine starke Wirkung auf diese ausübt. Das macht sich Krause bei seinem Experiment zu Nutze. Der Robofish soll seine natürlichen Kollegen zu einem Verhalten anstacheln, das ihnen normalerweise fremd ist: Er soll sie von einer Futterquelle weg lotsen. Das Ergebnis, das die Forscher in vielen Durchläufen bestätigen konnten: Zwei Fische lassen sich ohne weiteres von der Futterquelle weg locken. Ein Schwarm aus zehn Fischen dagegen widersetzt sich der Manipulation des Robofishs: Er entscheidet kollektiv, bei der Futterquelle zu bleiben!
Die Weisheit der Vielen
Erst wenn ein gewisser Prozentsatz des Schwarmes ein bestimmtes Verhalten ausführt, folgt auch der Rest. Dieses Prinzip verhindert, dass sich der Schwarm von ungünstigen Entscheidungen einzelner Tiere ins Verderben stürzen lässt. Für Jens Krause ist das ein Zeichen von einer Intelligenz, die erst durch das Zusammenwirken vieler Individuen entsteht – von Schwarmintelligenz. Der Schwarm ist in seinen Entscheidungen klüger als das Einzeltier. Und je größer der Schwarm, desto stabiler ist seine Entscheidung.
Autor: Jakob Kneser (WDR)
Stand: 29.10.2015 14:45 Uhr