So., 14.03.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das Geheimnis der Starwolke
Eine Symphonie am Abendhimmel: Bevor die Stare in ihr Nachtquartier ziehen, tanzen sie mitunter zu Millionen am nächtlichen Himmel. Diese riesigen Schwärme sieht man vor allem im Winter – über den Dächern von Rom, über den Mooren der englischen Grafschaft Somerset oder über dem Pier von Brighton. Überall dort, wo eine große Anzahl von Staren überwintert. Ihr abendlicher Tanz erinnert an ein Ballet der Lüfte. Für uns Menschen wirkt das wie eine Einheit, die auf einen Anführer oder Dirigenten hört. Auch Ornithologen stellen sich die Frage, ob es in einem Schwarm einzelne Leitvögel gibt und wie die kleinen Vögel diese halsbrecherischen Manöver ohne Zusammenstöße zu Stande bringen.
Stark im Team: Im Schwarm täuschen die Stare ihre Feinde
Vor allem wenn Feinde in der Nähe lauern, kann Simon Clarke von der Naturschutzorganisation Natural England die bestechenden Formationsflüge beobachten. Er ist sich sicher, dass der abendliche Tanz der Feindesabwehr dient. In den Bäumen und auf Strommasten lauern Falken und Habichte, die den Staren sehr gefährlich werden können. Ins Schilf zu fliegen, ist für die kleinen Vögel also äußerst gefährlich. Im Verband zu fliegen, in einer dichten Wolke, ist da schon sehr viel besser. Eine ähnliche Strategie verwenden riesige Herings- und Sardinenschwärme, die sich so dicht drängen, dass Delfine und Tunfische den einzelnen Beutefisch gar nicht mehr erkennen können.
Führerlos und doch geordnet
Der Ornithologe Peter Berthold von der Vogelwarte Radolfzell ist der Staren-Experte. Vor 30 Jahren schrieb er seine Doktorarbeit über Stare. Auch er ist der Meinung, dass die Stare sich vor allem im Schwarm versammeln, um nicht einem Falken oder Habicht zum Opfer zu fallen. Peter Berthold hat beobachtet, was geschieht, wenn sich so ein Feind doch in die Starenwolke verirrt: Dann wird der Schwarm so verdichtet, dass der Greifvogel gar nicht mehr mit den Flügeln schlagen kann und unten wieder aus der Wolke heraus fällt.
Der Ornithologe hat auch das Flugverhalten der kleinen schwarz schillernden Vögel analysiert: Die Stare sind Meister im Manövrieren, mit ihren kurzen Flügeln und ihrem kurzen Schwanz gelingen ihnen die engsten Wendungen. Einen Leitvogel brauchen sie gar nicht. Sie orientieren sich an den fünf bis sechs Vögeln, die neben, über und unter ihnen fliegen. Ähnlich wie eine Radfahrergruppe bei der Tour de France. Würden Laien mit dem Rad bei 60 Kilometer pro Stunde in der Gruppe fahren, würden sie wahrscheinlich nach 100 Metern auf die Nase fallen. Die Profis haben aber kein Problem mit der Geschwindigkeit: Sie orientieren sich an der kleinen Gruppe, in der sie fahren und reagieren blitzschnell auf die Wendungen ihrer unmittelbaren Mitstreiter.
Die Europäischen Stare verschwinden
Beim Anblick der riesigen Starschwärme sollte man es nicht glauben: In ganz Europa hat die Population in den letzen Jahrzehnten um 75 Prozent abgenommen. In den 60er-Jahren wurde noch alles versucht, um den Stachus in München von Staren zu befreien – heute findet man dort keinen einzigen mehr. Peter Berthold hat beobachtet, dass den Staren vor allem ihre Hauptnahrungsquellen fehlen: Wiesen- und Kohlschnaken. Diese Mückenarten sind rar geworden, seitdem die Bauern ihr Vieh meist im Stall lassen. Ökologische Viehhaltung könnte auch Stare retten. Dort, wo die Kühe noch auf die Weide gelassen werden, finden sich die Vögel sofort wieder ein. Doch auch jeder, der ein Vogelhaus besitzt, kann den Staren helfen: Wer das ganze Jahr über Maiskolben in seinem Futterhaus hängen lässt, hilft den kleinen Singvögeln die Strecken zwischen den einzelnen ökologischen Landwirtschaftsbetrieben zu meistern.
Mehrere Vorteile durch die Gruppe
Ob das Schwarmverhalten auch mit der Futtersuche zusammenhängt? Diese Frage analysiert der englische Ornithologe Dan Parkinson. Der junge Forscher der königlich-britischen Vogelschutzgesellschaft beobachtet Stare, die im Seebad Brighton überwintern. Ihm ist aufgefallen, dass Stare während der Flugmanöver versuchen, in die Mitte des Schwarms zu rücken. Dan Parkinson nimmt an, dass die fittesten Vögel ganz im Inneren der Schar fliegen. Dort sind sie vor Feinden am sichersten. Diese besonders fitten Vögel kennen auch die besten Futterstellen. Wer es schafft, neben ihnen zu fliegen, kann ihnen leicht dorthin folgen.
Das Schwarmverhalten hat für einen Star also gleich zwei Vorteile: Die Gruppe schützt ihn vor Feinden und führt ihn zu den immer knapper werdenden Futterstellen.
Adressen & Links
Das Reservat in Südwest-England, in dem die Stare überwintern:
www.naturalengland.org.uk
Das Naturschutzreservat Shapwick Heath informiert Besucher über die Vögel, die dort zu beobachten sind, u.a. die Stare
Stare-Hotline: (0044) 78 66 55 41 42.
Die Hotline informiert von Dezember bis Februar die Besucher, wo die Stare gerade sind.
Die Stare in Brighton:
Die Webseite der Königlichen Vogelschutzgesellschaft in England informiert über Aktivitäten und Veranstaltungen
www.rspb.org.uk
Literatur
Peter Berthold
Vögel füttern – aber richtig: Das ganze Jahr füttern, schützen und sicher bestimmen
Kosmos, August 2008
Autorin: Nicoletta Renz (BR)
Stand: 05.08.2015 11:09 Uhr