So., 01.08.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die Mär von der Wetterfühligkeit
Wettervorhersagen sind so alt wie die Menschheit. Der neueste Schrei in Sachen Prognose aber ist das Biowetter. Es soll uns zeigen, ob wir das Wetter von morgen gut oder eher schlecht vertragen. Dr. Kristina Koppe Schaller ist eine "Biowettermacherin". Beim Deutschen Wetterdienst in Freiburg erstellt sie die Vorhersagen für unsere Gesundheit. "Medizin-Meteorologie", so nennt sich beim Deutschen Wetterdienst der Bereich, wo sie ihre Vorhersagen zum Biowetter erstellt. Aus Temperaturwerten wird dabei die gefühlte Temperatur und daraus auch die Vorhersage für unsere Gesundheit ermittelt. Die Biowetter-Prognose entsteht dann aus dem Vergleich bestimmter Wetterlagen mit dem Auftreten von Beschwerden wie Rheuma, Herzkreislauf-Erkrankungen oder Kopfschmerz.
Beeinflusst uns das Wetter alle gleich?
Doch reagiert nicht jeder Mensch anders auf das Wetter? "Gerade wenn es um die Temperatur geht, sind die Reaktionen aller Menschen ziemlich ähnlich", meint Christina Koppe-Schaller. "Wenn es besonders heiß ist, fangen die Menschen an zu schwitzen und fühlen sich dann irgendwann auch unwohl, weil sie die Wärme nicht mehr los werden. Und wenn es besonders kalt ist, fangen wir alle an zu frieren."
Zusammenhang fehlt
Aber rechtfertigt, dass wir bei Hitze schwitzen und bei Wind und Kälte frieren, schon eine Biowetter-Prognose? Wir fahren nach München, um uns ein eigenes Bild zu machen. Dort treffen wir auf Prof. Jürgen Kleinschmidt, Mediziner und Physiker. Über Jahrzehnte erforschte er am Institut für Gesundheits- und Rehabilitationswissenschaften die Wirkung des Wetters. Hier wollte er mit seinem Team dem Rätsel der Wetterfühligkeit auf den Grund gehen. Doch seine Ergebnisse führten ihn am Ende zu einem ernüchternden Schluss. Er konnte keinen Zusammenhang von Wetter und Gesundheit nachweisen. In einer Klimakammer wurden hunderte Patienten mit exakt nachgebildeten Wettersituationen konfrontiert, aber Reaktionen wie Migräne oder Herz-Kreislaufbeschwerden blieben aus. Selbst der warme, alpine Föhnwind - ein angeblicher Auslöser von "Wetterfühligkeit" - hatte einen eher trivialen Einfluss auf das Befinden.
Ist Biowetter Unsinn?
Sind also die Arbeiten der Freiburger Bio-Wetterforscherin Christina Koppe-Schaller überflüssig? Denn womöglich ist Wetterfühligkeit mehr eine Sache der Einbildung als des Wetters. Unsere Recherche führt uns nach Zürich. Hier arbeitet der Atmosphärenphysiker Hans Richner. Er hält Biowetter-Vorhersagen für Unsinn. Dass der Beleg eines Zusammenhangs zwischen Wetter und Gesundheit fehlt, ist sein Hauptargument. "Das zweite ist, dass die Individuen nicht notwendigerweise gleich reagieren", so Richner. "Es kann sein, dass Leute ganz unterschiedlich wetterempfindlich sind. Ich würde nie soweit gehen zu sagen, es gibt keine Wetterfühligkeit. Aber wir sind wissenschaftlich weit davon entfernt, diese Zusammenhänge zu verstehen, und natürlich noch viel weiter davon entfernt, aufgrund dieser Zusammenhänge eine Vorhersage machen zu können."
Einbildung oder echte Beschwerden?
Wir konfrontieren Christina Koppe-Schaller mit den Vorwürfen aus München und Zürich: "Da muss ich den Kritikern recht geben. Es wäre schön, man hätte mehr", sagt sie. "Wir geben trotzdem Biowettervorhersagen raus, weil wir denken, dass es der Bevölkerung hilft, zu wissen, 'Wenn es heute am Knie zieht, kann das am Wetter liegen'. Wir bekommen sehr viel Feedback aus der Bevölkerung, dass es für die Menschen wichtig ist, zu wissen, dass sie sich ihre Beschwerden nicht nur einbilden, sondern es eine Ursache gibt."
Doch aus Sicht der Wissenschaft ist die Ursache nicht das Wetter, sondern der feste Glaube an seinen Einfluss auf unsere Gesundheit, denn Wetterfühligkeit ist nun mal nicht messbar. "Mit dem Wetter lebt die Menschheit ja schon seit etlichen Jahren", argumentiert Prof. Jürgen Kleinschmidt. "Es kann sich von der medizinischen Seite nichts gravierendes mehr daraus ergeben."
Das Wetter allein ist eben nie Ursache unserer Leiden. Wer etwas an seinen Beschwerden ändern will, sollte vielleicht damit beginnen, mehr auf sich selbst als auf die Biowetter-Vorhersagen zu hören.
Autor: Axel Wagner (SWR)
Stand: 23.07.2015 13:27 Uhr