So., 30.05.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die Tibet-Connection
Sie ist die bekannteste und beliebteste Raubkatze der Welt: der indische Tiger. Er ist die größte Raubkatze der Welt, ein Symbol der Stärke, und seit mehr als 30 Jahren streng geschützt. Doch so beliebt die Raubkatze auch ist, in freier Natur könnte sie bald ausgestorben sein.
Denn der Tiger ist auch Zielscheibe von Gier und Geltungsdrang. Nur noch etwa 1.400 Tiger leben heute im indischen Dschungel. Die mächtigen Jäger sind zu Gejagten geworden. Seit wenigen Jahren werden sie verfolgt wie nie zuvor. Lange Zeit vermutete man, dass die Tiger getötet werden, um ihre Felle an reiche Touristen aus den USA und Europa zu verkaufen. Oder um ihre Knochen in der chinesischen Medizin zu verwenden.
Eine Tierschützerin merkt auf
Um das zu verhindern, haben sich in vielen Ländern Tigerschützer organisiert. Eine von ihnen hat sich auf die Suche gemacht, um die Käufer von gewilderten Produkten von Tigern zu finden.
Sie ist der Sache auf den Grund gegangen und ließ sich auch nicht von liebgewordenen Vorurteilen irritieren. Und sie findet heraus, dass alles ganz anders ist als bisher angenommen: Belinda Wright, von der Wildlife Protection Society of India. Als bei einer routinemäßigen Straßenkontrolle vor den Toren der indischen Hauptstadt drei Tigerfelle beschlagnahmt werden, wird sie hellhörig: "Es traf mich wie ein Schlag. Ich begriff sofort: Hier ist etwas passiert. Etwas war anders geworden. Plötzlich wurde die Wilderei zur organisierten Kriminalität."
Merkwürdige Schriftzeichen auf den Tigerfellen
Die Tierfotografin hat ihren Beruf an den Nagel gehängt und eine Umweltorganisation in Neu Delhi gegründet. In den Akten der Polizei entdeckt sie etwas, das niemandem sonst aufgefallen ist.
Auf der Rückseite der beschlagnahmten Felle gibt es merkwürdige Zeichen. Nie zuvor wurden sie registriert. Niemand weiß, was sie bedeuten. Belinda Wright beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie besucht Experten für exotische Sprachen und landet schließlich in einem Kulturzentrum in Neu Delhi, im 'Tibet-Haus'. Tatsächlich: Die Schriftzeichen sind tibetisch.
Erkundung in Tibet
Um herauszufinden, was die Schriftzeichen bedeuten, ob das eventuelle Namen von Händlern oder Käufern sind, fährt Belinda Wright nach China. Sie will der Sache auf den Grund gehen, was Tibeter mit der illegalen Tigerjagd zu tun haben und reist in Regionen, die vor allem von Tibetern bewohnt werden. Eigentlich will sie mit ihrer Reise den Verdacht gegen die friedliebenden Tibeter ausräumen.
Sie besucht die traditionellen Reiterfeste, mischt sich unter die Touristen und fällt nicht weiter auf. Doch was sie zu sehen bekommt, hat sie nicht erwartet: Ein Reiter mit Tigerfell um Schulter und Hüfte.
Tigerfelle als tibetische Statussymbole
Tibeter, die offen Tiger- und Leopardenfelle zur Schau tragen. Keine Tradition, sondern Statussymbole vor allem für junge und wohlhabende Tibeter. Kostenpunkt eines Tigerfells: 10.000 Euro und mehr. Belinda kann es kaum glauben: Hauptabnehmer der Tigerfelle waren jahrelang Tibeter! Sie haben die Felle über organisierte Wildererbanden in Indien und Nepal gekauft.
Das Ende der Tiger - wenn niemand etwas dagegen unternimmt. Belinda Wright ist von ihrer Entdeckung sehr überrascht: "Irgendwie waren die Tibeter immer die Unterdrückten gewesen, die Guten, Buddhisten eben. Niemand hatte das erwartet. Das war ein Schock. Nicht nur für uns, nein: für die ganze Welt."
Dalai Lama spricht Klartext
Sie informiert sofort den Dalai Lama in seinem indischen Exil. Ein Schock auch für ihn. In einer öffentlichen Rede ruft er auf, keine Produkte geschützter Tiere mehr zu kaufen. Beim nächsten Sommerfest der Tibeter machen sich die Tigerschützer erneut auf. Um zu sehen, was aus den Appellen geworden ist. Die Werbeschilder für die Reiterspiele lassen nichts Gutes ahnen: Tibeter in Fellkostümen.
Kein öffentlicher Verkauf mehr…
Kaufen die Tibeter immer noch Felle in Massen? Vier Tage lang filmen die Tigerschützer. Das Bild ist diesmal ein ganz anderes. Sie sehen keinen einzigen Tänzer mit echtem Fell. Alles Imitate! Frottee statt Fell. Die Aufklärungskampagnen haben gewirkt. Die meisten Tibeter wissen jetzt Bescheid. Doch ganz verschwunden sind die illegalen Felle immer noch nicht. Ein paar Tibeter bieten in einer Ecke echten Leopard an.
Wer beharrlich nachhakt, der bekommt noch mehr zu sehen. Vor wenigen Wochen erst haben die Tierschützer in einer Stadt in Westchina sogar wieder ein Tigerfell zum Verkauf entdeckt. Die Arbeit von Belinda Wright ist noch lange nicht zu Ende.
Autoren: Thomas Weidenbach, Heinz Greuling
Stand: 06.08.2015 15:20 Uhr