So., 11.04.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Giftmüllfahndung per Satellit
Es ist sicher nicht nur ein Problem für die Stadt Venedig und die Region Venetien. Allerdings nimmt man es dort sehr ernst: illegale Mülldeponien. Sie gefährden Böden und Grundwasser. In der Provinz um die berühmte Stadt vermutet die Polizei illegale Abfälle an Hunderten Stellen. Bisher war das Aufspüren dieser Deponien wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. "Die Umweltkriminalität stellte uns lange vor ein Problem", beklagt Oberst Alberto Catone von der italienischen Finanzpolizei Guardia di Finanza. Polizei und Staatsanwaltschaft waren lange die Hände gebunden, weil ihre Informationen über illegale Deponien nicht ausreichten. Es gab nur punktuelle Hinweise aber keine Möglichkeit, das ganze Ausmaß des Problems erfassen zu können.
Hilfe aus dem Weltall
Die Regierung von Venetien suchte mit Nachdruck einen Weg, die versteckten Deponien aufzuspüren. Nur so können die Behörden die Gefahr, die vom vergrabenen Giftmüll ausgeht, entschärfen und die verantwortlichen Umweltverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Die Umweltingenieurin Sonia Silvestri sollte die schwierige Suche organisieren – wenn nötig, mit ganz neuen Methoden. "Das Gebiet, das wir untersuchen müssen, ist riesig", erklärt Silvestri, "mehr als 10.000 Quadratkilometer." Der Umweltingenieurin wurde rasch klar, dass sie da Hilfe aus dem All brauchte. Ein Satellit sollte für den nötigen Überblick sorgen. Die Wahl fiel auf den kommerziellen Satelliten IKONOS. Der kreist in 680 Kilometer Höhe um die Erde und ist mit einer hoch auflösenden Kamera ausgestattet. Die Bilder, die IKONOS liefert, zeigen Details bis zu einem Meter genau. Firmen oder Behörden wie die Regierung Venetiens können diese Bilder kaufen und für ihre Zwecke nutzen.
Pflanzen verraten Giftmüll
Doch wie verrät sich unter der Erde verborgener Müll auf Satellitenbildern? Silvestri entwickelte dafür eine ganz neue Methode. Zunächst untersuchte sie bekannte legale und illegale Mülldeponien. Es zeigte sich, dass die Vegetation oberhalb dieser Deponien oft gestört war. Der Farbstoff Chlorophyll scheint sich durch die Giftstoffe zu verändern, sodass die Pflanzen das Licht anders reflektieren. Wo Müll im Boden ist, erscheinen diese Flächen im Satellitenbild oft bräunlich verfärbt. Ein Muster, das Silvestri für ihre Suche nutzt. Es würde aber Jahre dauern, die Provinz Bild für Bild von Hand auszuwerten. Silvestris Lösung: Eine Bilderkennungs-Software wurde darauf programmiert, die typischen Verfärbungen auf den Satellitenbildern zu identifizieren und zu bewerten. So bekamen die Behörden erstmals genaue Koordinaten, wo sich eine gründliche Suche lohnen könnte.
Suche per Helikopter
So arbeiten Polizei und Wissenschaftler bis heute Hand in Hand. Die Finanzpolizei Guardia di Finanza fliegt mit Helikoptern alle verdächtigen Flächen ab. Die Beamten machen Beweisfotos. Manchmal sind die Umweltverbrecher noch aktiv oder ihre Spuren gut sichtbar. Außerdem nimmt Sonia Silvestri mit lokalen Behörden Kontakt auf. Weiß man dort mehr über die verdächtigen Flächen, gibt es gar alte Akten oder ähnliches? Den letztendlichen Beweis, was sich im Boden befindet, bekommt Silvestri allerdings nur, wenn sie unter die Oberfläche schaut, eine Bohrung veranlasst, um Bodenproben zu nehmen.
Bohrungen nach Müllspuren
Sonia Silvestri und ihr Team haben ein kleines Areal in der Nähe von Padua, 50 Kilometer von Venedig entfernt, ins Auge gefasst. Es handelt sich um ein Gemeindegrundstück, das ihnen auf dem Satellitenbild aufgefallen ist. Ein Bohrtrupp zieht Bodenproben aus dem Boden. Doch das Ergebnis ist zunächst enttäuschend: keine offensichtlichen Spuren illegaler Abfälle, keine Müllreste, kein verdächtiger Geruch. Dann mischt sich ein Bauer aus der Nachbarschaft ein. Er weiß, dass der Müll auf dem Gelände früher lastwagenweise abgeladen wurde. Silvestri beschließt weiterzusuchen und tiefer zu bohren. Der Tipp des Bauern erweist sich als Volltreffer! In den Bohrkernen stößt sie auf Plastikmüll. Aufschriften verraten, dass unter der Oberfläche auch industrielle Abfälle lagern könnten. Die chemischen Analysen zeigen später: Das Gelände ist mit gefährlichen Schwermetallen verseucht. Die erlaubten Grenzwerte zehnfach überschritten. Der Boden muss abgetragen werden. Nur ein Schuldiger wird in diesem Fall nicht gefunden.
Arsen im Grundwasser
Anders bei Silvestris bisher größtem Coup: Ihr bedeutendster Fall spielte sich auf einem großen Industriegelände ab. Auf dem gesamten Areal fanden sie und ihr Team hohe Belastungen im Boden. Und auch das Grundwasser war mit Giftstoffen wie Arsen, Nickel und Bor verseucht. Dieser Fall wird inzwischen vor Gericht verhandelt. Auch für diesen Erfolg war ein Satellitenbild verantwortlich. Ein kleines verfärbtes Stück Land am Rand verriet den Fahndern: Hier versickern illegal Giftstoffe aus der Fabrik.
Silvestris Methode ist hocheffektiv: An jedem zweiten Ort, an dem die Fahnder den Boden genauer untersuchten, stießen sie auch wirklich auf illegalen Müll im Boden. Hunderte verdächtige Orte hat Sonia Silvestri inzwischen aufgespürt. Mehr als die Behörden in kurzer Zeit abarbeiten können. Trotzdem ist die Polizei zufrieden. "Dank dieses neuen Systems haben wir endlich Informationen und können handeln", sagt Oberst Catone. "Und zwar zum Wohle unserer Umwelt."
Autor: Frank Nischk (WDR)
Stand: 08.09.2015 12:58 Uhr