So., 18.07.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Lauter als die Polizei erlaubt
Wenn die Vögel anfangen zu singen, naht der Frühling und alles erwacht wieder zum Leben. Vogelmännchen balzen mit ihrem Gesang um Weibchen und verteidigen mit Alarmrufen ihr Revier. Doch innerhalb der letzten Jahrzehnte sind das Balzen und die Revierbehauptung schwieriger geworden, vor allem in der Stadt. Schuld ist der Großstadtlärm, vor allem der Verkehr. Arten, die sich nicht anpassen können, müssen dem Sound der Stadt weichen und sich in ruhigere Gegenden zurückziehen. Doch es gibt Arten, die sich der Herausforderung stellen und ganz eigene Strategien für das Überleben in der Stadt entwickeln.
Frühaufsteher und Schreihälse
Amseln und Nachtigallen haben im Laufe der Jahre herausgefunden, wie man ganz gut gegen den Stadtlärm ankommen kann – oder ihm sogar zuvor kommt. In Großstädten ist bereits früh am Morgen ziemlich viel los auf den Straßen. Die Vögel in der Stadt müssen noch früher aktiv werden als auf dem ruhigen Land. In tagsüber sehr lauten Gegenden sind deswegen schon mitten in gegen 4 Uhr die ersten Vogelgesänge zu hören. Aber auch die Lautstärke macht es! Die Umweltgeräusche zwingen die Vögel dazu, ihr Lungenvolumen zu nutzen und in Lautstärken von bis zu 90 Dezibel oder sogar noch lauter zu zwitschern. Zum Vergleich: 90 Dezibel entsprechen einem Presslufthammer!
Manche Vögel singen höher
Eine weitere Strategie der Stadtvögel heißt: höher singen! Der Lärm in Städten, vor allem an Straßen, ist häufig tieffrequent. Um diesen zu übertönen, haben Vögel nach und nach ihren Gesang in höhere Frequenzen verlegt. Vogelkundler Henrik Brumm und seine Kollegin Sue Anne Zollinger vom Max Planck Institut für Ornithologie untersuchen dieses Phänomen genauer. Sie wollen herausfinden, ob das höhere Singen direkt durch den Lärm hervorgerufen wird oder ob es nur ein Nebeneffekt vom lauteren Singen ist. Die endgültigen Ergebnisse der Studie müssen noch ausgewertet werden.
Auch der niederländische Biologe Hans Slabbekorn von der Universität Leiden hat Kohlmeisen in der Stadt beobachtet – dazu ist er sogar durch zehn verschiedene europäische Großstädte geradelt, bewaffnet mit Kopfhörer und Aufnahmegerät. Dabei konnte er feststellen, dass die Kohlmeisen auf Veränderungen der Umgebungslautstärke sogar direkt reagieren können. Rauscht ein besonders lauter LKW vorbei, singen die Meisen plötzlich höher und lauter. Sie verhalten sich ähnlich wie Menschen auf einer lauten Party, die unwillkürlich lauter und höher reden, um gegen den Lärm anzukommen.
Strategie Nr. 3: Zwitschern wie ein Wecker
Stadtlärm ist für die Vögel eine Belastung Aber ein paar Arten machen aus der Not eine Tugend. Nicht nur Straßen- und Baustellenlärm ist in der Stadt zu hören, sondern auch andere Geräusche wie Handyklingeln, Weckergeräusche oder Radio-Jingles. Die einfachen Melodien scheinen vor allem Amseln und Staren zu liegen. Einige haben diese menschengemachten Geräusche in ihr Gesangsrepertoire eingebaut. Ein großer Vorteil insbesondere für Männchen. Denn je vielfältiger deren Gesang ist, desto mehr Erfolge können sie bei der Revierverteidigung und der Partnersuche verzeichnen. Also, wenn sie das nächste Mal ein Handy im Baum klingeln hören oder ihr Wecker sie um vier Uhr nachts aus dem Bett holt, besteht die Möglichkeit, dass das ein kleines gefiedertes Kerlchen war, der nur ein Weibchen sucht.
Nicht alle können mithalten
Nicht alle Vogelarten sind in der Lage, ihren Ruf so effektiv zu variieren und anzupassen. Zu ihnen gehört der Hausspatz. Sein Stimmorgan ist nur für niedrige Frequenzen gebaut, er kann nicht einfach höher singen – dies könnte, neben knapper werdenden Nistplätzen und einem geringeren Nahrungsangebot, eine weitere Erklärung dafür sein, dass die Spatzenbestände in Deutschland in manchen Regionen um bis zu 60 Prozent zurück gegangen sind. Auch andere Singvögel wie Kuckucke, Golddrosseln und Rohrsänger könnten aus diesem Grund langfristig ganz aus den Städten verschwinden. Vogelexperten befürchten deshalb, dass der Stadtlärm zwar einige Vogelarten zu ungeahnten Leistungen anspornt, aber auf Dauer die Vielfalt der städtischen Singvogelarten stark reduziert.
Autorin: Nora Kocks (WDR)
Stand: 17.09.2015 14:14 Uhr