So., 07.03.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Merkwürdiges Kommunikationsverhalten
Störenfried Nummer eins?
Sie werden immer kleiner, sie können fotografieren, ins Internet gehen oder sagen, wo man gerade ist. Handys haben unser Leben extrem verändert – und unser Kommunikationsverhalten. Es ist eine Hassliebe, die unser Verhältnis zum Mobiltelefon prägt. In Befragungen gibt eine Mehrheit der Deutschen regelmäßig an, eher auf den Computer oder den Fernseher verzichten zu können als auf das Handy. Auf der anderen Seite ist der Nervfaktor der kleinen Geräte unbestritten. Dieses ambivalente Verhältnis untersucht Prof. Joachim Höflich von der Universität Erfurt.
Hör mal, wer da klingelt
Um das Nervpotential von Handys zu bestimmen, machte Prof. Höflich mit seinen Erfurter Studenten ein interessantes Experiment. Zunächst suchten die Studenten besonders penetrante Klingeltöne heraus. Vom Zahnarztbohrer über Technomusik bis zum schreienden Kind war alles dabei.
Dann gingen Professor Höflich und seine Studenten auf eine "undercover" Exkursion in die Erfurter Innenstadt. In einem gut besuchten Café sollte eine Studentin ihr Handy jeweils 20 Sekunden klingeln lassen, aber auf keinen Fall darauf reagieren. Die Kommilitonen notierten die Reaktionen der Gäste. Außer ein paar irritierten Blicken passierte nichts. Dennoch musste das Experiment schon nach kurzer Zeit abgebrochen werden. Die Studentin selbst ertrug die Situation nicht mehr!
Unerwarteter Stress
Die Studentin löste ihr Problem schließlich so, dass sie eine Sonnenbrille und Kopfhörer aufsetzte. Das signalisierte der Umwelt schon von vornherein, dass sie das Klingeln gar nicht hören könne, und sie deshalb für die Störung nicht verantwortlich sei. Das Experiment lenkte die Aufmerksamkeit der Forscher verstärkt auf den Handybenutzer.
Laut Prof. Joachim Höflich, Kommunikationsforscher der Universität Erfurt, wird meist nur untersucht, wie das Umfeld auf mögliche Handysignale und Klingeltöne reagiert. Selten wird bedacht, wie hoch der Stresspegel bei dem steigt, der angerufen wird. Zwar muss normalerweise niemand in einem Cafe sitzen und tatenlos das eigene Klingeln 20 Sekunden lang ertragen. Doch der latente Stress ist dennoch da - bei jedem Handybenutzer. Denn niemand weiß, wo es ihn als nächstes erwischt, ob auf dem Klo, im Aufzug, beim Flirt mit der Kellnerin oder in einer anderen unpassenden Situation.
"Keine Ahnung - ich ruf dich an…"
Die weit verbreitete Handynutzung hat aber noch eine weitere Folge: Wir werden unverbindlicher. Gerade junge Menschen verabreden sich nicht mehr konkret. Feste Zusagen, Ort und Zeit? Das war gestern. Meist fällt der Satz: "Keine Ahnung, ich ruf dich an." Selbst auf der Party oder an der Bar werden per SMS mögliche Parallel-Veranstaltungen und Verabredungen verglichen.
Allerdings beobachten Wissenschaftler schon wieder einen Gegentrend: Immer mehr Menschen lassen ihr Handy auch mal bewusst zu Hause oder schalten es ab. Ob das Handy über uns bestimmt, oder wir über das Handy haben wir glücklicherweise immer noch selbst – in der Hand.
Autor: Björn Platz (SWR)
Stand: 06.08.2015 14:49 Uhr