So., 02.05.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Natürliche Klimaanlage für die Stadt
Weltweit ist der Trend zur Verstädterung ungebrochen, werden Grünflächen mit Asphalt und Beton "versiegelt". Doch Städte verändern das Klima: Es entstehen Hitzeinseln, wie etwa in der Innenstadt Berlins. Hier ist es im Sommer bis zu zehn Grad wärmer als im Umland. Die Erderwärmung verschärft das Problem: Klimaforscher erwarten, dass die Temperaturen in der Region Berlin bis 2050 um durchschnittlich 2,5 Grad Celsius steigen.
Städtische Hitzeinseln entstehen, weil sich Beton und Asphalt viel stärker aufheizen als Grünflächen. Es fehlt die Kühlung durch verdunstendes Regenwasser, wenn dieses von versiegelten Flächen in die Kanalisation fließt. Verstärkt wird dieser Trend durch die bei vielen Architekten beliebten Glasfassaden - wahre Energiefresser, in denen im Sommer die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen. Deren Energiebedarf bringt schon heute viele Stromnetze an den Rand ihrer Kapazitäten.
Klimaanlagen erzeugen Wärme
Experten erwarten auch in Deutschland eine starke Zunahme des Energieverbrauchs durch Klimaanlagen. Dabei verstärken diese das Problem der städtischen Hitzeinseln, denn sie kühlen nur das Innere der Gebäude, produzieren aber unterm Strich mehr Wärme bei der Arbeit. Die entweicht meist über Abluftschächte Richtung Dach. Zudem sorgen sie durch ihren hohen Energieverbrauch für mehr Treibhausgase und befeuern so auch noch die Erderwärmung.
Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis sieht Marco Schmidt vom Institut für Architektur der TU Berlin in der Begrünung von Dächern und Fassaden. Statt das Regenwasser ungenutzt abfließen zu lassen, speichern es Gründächer, um es an heißen Tagen zu verdunsten. "Das ist die einfachste und billigste Art, das Stadtklima zu verbessern", sagt Schmidt. Der auf ökologisches Bauen spezialisierte Landschaftsplaner erforscht seit Jahren die positiven Wirkungen von Gründächern. "Wir haben in unseren Messungen nachgewiesen, dass sie den Großteil der Sonnenstrahlung in die Verdunstung von Wasser umwandeln". Während sich ein Bitumendach im Sommer auf bis zu 70 Grad Celsius aufheize, blieben begrünte Dächer mit circa 30 Grad Celsius deutlich kühler.
Gründächer verbessern Stadtklima
Außerdem sorgt ein Gründach für eine längere Lebensdauer der Dachhaut sowie eine bessere Wärmeisolierung und damit für weniger Heizkosten im Winter. Im Sommer dagegen schirmt es das Gebäude gegen die Hitze ab.
Diese Erfahrung machten auch die Hausherren des Einkaufszentrum "Meydan“ im Istanbuler Stadtteil Ümraniye. Statt dröhnender Klimaanlagen beherbergt die 30.000 Quadratmeter große Dachlandschaft des Großmarkts eines der größten Gründächer der Welt.
Ursprünglich nur als Versuchsfeld geplant, überraschte das Projekt alle Beteiligten mit seiner Effektivität: Dämmungs- und Klimaeffekte sind so stark, dass der restliche Energiebedarf für Kühlung und Heizung allein durch Erdwärme gedeckt werden kann. Eine Wasserwand und Brunnenfontänen im Innenhof tragen dazu bei, dass es auf dem Meydan-Gelände bis zu drei Grad Celsius kühler ist als in den umliegenden Straßen.
Regenwasser soll verdunsten
Wasser ist der Schlüssel zu einem guten Stadtklima, weiß Marco Schmidt. Gründächer seien eine Variante, um es zu nutzen. Weitere erforscht der Ingenieur am Institutsgebäude für Physik der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof. Dort wird das Regenwasser in Zisternen gesammelt und für die Bewässerung einer Fassadenbegrünung sowie die Erzeugung von Verdunstungskälte in Klimaanlagen genutzt. Überschüssiges Wasser verdunstet in einem Teich in einem der Innenhöfe.
Die großen Glasfassaden des Gebäudes sind begrünt. Im Winter sind die Kletterpflanzen kahl, so dass Sonnenlicht die Glasflächen ungehindert passieren und die Heizung unterstützen kann. Im Sommer dagegen schützt die begrünte Fassade vor der Sonneneinstrahlung.
Anders als herkömmliche Rollos, die sich im Sommer auf über 50 Grad Celsius aufheizen, bleiben die Kletterpflanzen kühl, schützen sich und das Gebäude durch Verdunstung vor Hitze. Aber sie kühlen auch die Umgebung. Mit Hilfe hunderter Sensoren hat Schmidt den Effekt der Pflanzen ermittelt. Die Kühlungsleistung der Pflanzen beträgt im Sommer pro Fassade täglich 280 Kilowattstunden, was dem Energieverbrauch einer großen Klimaanlage entspricht.
Gebäudekühlung mit Wasser
Eine Klimaanlage gibt es in Adlershof auch, allerdings arbeitet sie, dank des gesammelten Regenwassers, deutlich energieeffizienter: "Wir versprühen das Regenwasser in der Abluft der Klimaanlage und kühlen diese so herunter", sagt Schmidt. Über einen Wärmetauscher werde mit Hilfe der gekühlten Abluft die warme Zuluft gekühlt. Noch bei Außentemperaturen von bis zu 30 Grad Celsius könne die Zuluft auf 21 bis 22 Grad Celsius vorgekühlt werden, ohne auf technisch erzeugte Kälte zurückgreifen zu müssen. Die Energieeinsparung durch diese sogenannte adiabate Abluftkühlung betrage 90 Prozent. "Das ist eine extrem effiziente Art und Weise, ein Gebäude zu klimatisieren", betont der Ingenieur, "ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft nur noch so kühlen".
Es ist nicht sinnvoll, Strom zu verbrauchen, um zu kühlen, da dadurch insgesamt mehr Wärme entsteht. Effizienter ist die Kühlung durch verdunstendes Wasser. Wenn Regenwasser verdunstet, statt in der Kanalisation zu verschwinden, fördert dies zudem den natürlichen Wasserkreislauf, der aus Verdunstung, Kondensation zu Wolken und Regen besteht. Und der dient einem ganzen Planeten als Klimaanlage.
Autor: Güven Purtul (NDR)
Stand: 16.09.2015 13:52 Uhr