So., 07.02.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Reissäcke gegen Erdbeben
Der Iran gilt als eine der erdbebenreichsten Regionen der Welt. Besonders stark bebte die Erde im Dezember 2003 in der südiranischen Stadt Bam. Dabei kamen über 33.000 Menschen ums Leben, 70 Prozent der Stadt wurden zerstört, darunter auch das größte Lehmbauwerk der Welt: die berühmte Zitadelle Arg-é Bam, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Die fragile Lehmziegel-Bauweise vermochte den massiven Kräften des Erdbebens nur wenig entgegenzusetzen. Ein junger, iranischer Forscher hat an der Uni Kassel ein Verfahren entwickelt, das gerade solche Gebäude schützen soll – durch simple Jutesäcke.
Jutefaser – reißfest und günstig
Amin Davazdah Emami forscht an der Uni Kassel an neuen Werkstofftechniken und interessiert sich für vor allem dafür, was mit Mauerwerksgebäuden im Erdbebenfall passiert. Als er damals die Bilder des Erdbebens in seinem Heimatland im Fernsehen sieht, fasst er einen Entschluss: Er möchte eine Methode finden, um Häuser in erdbebengefährdeten Gebieten vor dem Einstürzen zu bewahren. Seine Idee: Das Mauerwerk der Lehmhäuser soll mit Jutefasermatten beklebt werden, zum Beispiel mit einfachen Reis- oder Kartoffelsäcken - und so stabiler werden. Als Klebstoff verwendet der Bauingenieur ein Zweikomponenten-Spezialharz, das ihm eine Schweizer Firma zur Verfügung stellt.
Der Klebstoff muss besonders dehnbar sein, damit er bei Beanspruchung nicht bricht. Bei einem Erdbeben wirken die verschiedensten Kräfte auf ein Gebäude. Besonders die horizontale Krafteinwirkung machen dem Mauerwerk zu schaffen. Um zu testen wie ein Haus bei einem Beben reagiert, untersuchte der Forscher im Labor verschiedene Mauerwerksproben auf ihre Biege-, Zug- und Schubtragfähigkeit. Einmal verstärkt mit Jutefaser, einmal ohne. Dabei stellte er fest: Durch das Bekleben des Mauerwerks wird dieses nicht nur elastischer, es kann auch bis zu viermal stärkere Kräfte aushalten ohne zu zerbrechen. Der Grund: Die Bastfasern aus den Stängeln der Jutepflanze sind extrem dehnfest und verhindern, dass die Mörtelschicht auseinanderreißt. Das Haus bricht im Falle eines Erdbebens also nicht so schnell zusammen. Den Bewohnern bleibt deutlich mehr Zeit, um sich ins Freie zu retten.
Hilfe zur Selbsthilfe
Auch wenn Naturfasern schon seit Tausenden von Jahren beim Gebäudebau eingesetzt werden, gilt Amin Emami als der erste, der die Technik systematisch untersucht. Im Modellversuch am Computer hat der Bauingenieur herausgefunden: Vor allem gegen die horizontalen Kräfte des Erdbebens ist das naturfaserverstärkte Mauerwerk besser geschützt. Der Materialverbund wird durch die Fasermatten zusammengehalten und kann mehr Energie aufnehmen. Der größte Vorteil der Jutematten: Sie sind fast überall zu bekommen - auch in ärmeren Ländern. Die Menschen müssen keine besonderen Techniken erlernen oder Geräte besitzen und können ihre Häuser in Eigenregie verstärken. Das Prinzip ist so einfach wie tapezieren und kann sowohl innen als auch an der Außenfassade angewendet werden. Auf diese Weise lassen sich auch schwache Mauerwerke nachträglich gegen Erdbeben schützen. Hilfe zur Selbsthilfe, dieses Prinzip ist Amin Emami wichtig - schließlich möchte er, dass die Menschen in seiner Heimat beim nächsten Beben von seiner Forschungsarbeit profitieren. Statt Jute wären theoretisch auch Kokosfasern oder Hanf denkbar, nachwachsende Rohstoffe, die es in vielen Entwicklungsländern gibt.
Lehmhütten im Langzeittest
Auf dem Weltkulturerbe-Gelände hat Amin Emami im Rahmen des „Recovery Project of Bam’s Cultural Heritage“ gemeinsam mit iranischen Helfern zwei Mustergebäude errichtet. Eines aus Ton-, eines aus Lehmziegeln. An ihnen will er die Klebetechnik unter Realbedingungen testen. Wie gut hält der Materialverbund aus Jutefaser und Klebstoff auf der Außenfassade? Welchen Einfluss haben Temperatur und Witterung auf das Mauerwerk? Halten die Modellhäuser auch bauphysikalischen Anforderungen stand? Einen ersten Belastungstest gab es bereits. Ein leichteres Beben der Stärke vier haben die Versuchshäuser unbeschadet überstanden. Unterstützung bekam der junge Forscher bei seiner Arbeit auch von der UNESCO und der Denkmalschutzbehörde im Iran. Doch noch ist das Ganze ein Pilotprojekt. Für weitere Untersuchungen fehlen die Forschungsgelder. Trotzdem könnte die Methode Schule machen, denn sie ist einfach und kostengünstig und könnte gerade in wirtschaftlich schwachen Ländern helfen, Menschenleben zu retten.
Adressen & Links
Forschungen zum Thema Massivbau:
www.uni-kassel.de
Adresse:
Universität Kassel
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Fachgebiet Massivbau
Kurt-Wolters-Straße 3
34109 Kassel
Tel: (0561) 804-2656
Informationen zum Weltkulturerbe in Bam:
www.irania.eu
Autor: Boris Geiger (BR)
Stand: 11.05.2012 13:09 Uhr