So., 31.01.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Spielen für die Wissenschaft
Delfine gelten gemeinhin als die Albert Einsteins unter den Tieren. Und es ist erst knapp 30 Jahre her, als man glaubte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis man die Sprache der Delfine gelernt habe und sich mit ihnen wie mit einem Menschen unterhalten kann. Aber wie sieht es mit der Intelligenz der Delfine wirklich aus? Wie schneiden die Tiere bei streng wissenschaftlichen Intelligenztests ab?
Der Test im Spiel
Wer die Intelligenz von Delfinen erforschen will, hat ein Problem: Er muss einem Tier Fragen stellen, mit dem er nicht reden kann. Im Dolphin Research Center (DRC) im Süden Floridas nutzt man die Verspieltheit der Tiere. Delfine, und ganz besonders Große Tümmler, sind ganz versessen aufs Spielen. Die Forscher denken sich also Spiele aus, in denen sie die "Frage" an die Delfine verstecken. Um zum Beispiel herauszufinden, ob Delfine einfache mathematische Aufgaben lösen können, erfanden sie das Spiel: Zeig' auf die Tafel mit den wenigen Punkten!
Das Spiel funktioniert folgendermaßen: Der Delfin bekommt zwei Tafeln gezeigt, auf die Punkte aufgemalt sind. Das Tier soll nun die Tafeln vergleichen und sich für die entscheiden, die weniger Punkte zeigt. Die Punkte sind jedes Mal anders angeordnet und unterschiedlich groß. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass sich die Delfine tatsächlich für "wenige Punkte" entscheiden und nicht etwa für ein bestimmtes Punktmuster oder die Tafel mit "der kleinsten weißen Fläche".
Am Ende der Monate langen Versuchsreihe stand fest: Ja, Delfine haben gewisse mathematische Fähigkeiten. Sie können MEHR von WENIGER unterscheiden. In über 80 Prozent aller Fälle entschieden sich die Tiere für die richtige Tafel. Fehler machten sie hauptsächlich dann, wenn die Tafeln aufeinanderfolgende Punktzahlen zeigten, zum Beispiel fünf und sechs Punkte. Trotzdem ist das Ergebnis eindeutig, und es gibt auch eine Erklärung für diese Fähigkeit: "Zum Beispiel beim Jagen", sagt Delfinforscherin Emily Guarino. "Zwei Fische sind besser als einer. Aber eine Million Fische sind vielleicht überwältigend viele. Oder wenn Männchen um Weibchen konkurrieren. Da ist es besser, gegen nicht so viele Gegner anzutreten. Delfine wenden in der Natur also einfache Mathematik an, aber bevor man das nicht experimentell bewiesen hat, kann man nicht sicher sein!"
Mit Mitzi fing alles an
Was heute Forschungsinstitut ist, hat mit Delfinfang begonnen. Der Fischer Milton Santini betrieb in Südflorida in den 50er und 60er Jahren einen schwunghaften Handel mit Delfinen. Die nahe gelegenen Aquarien zahlten 100 Dollar für einen Delfin, viel mehr als Santini beim Fischen verdiente. Die gefangenen Delfine wurden in einer mit Netzen abgetrennten Lagune zwischengelagert, dem heutigen Dolphin Research Center. Damals wusste man noch nichts über die Tiere. Die Delfine starben wie die Fliegen und die Aquarien brauchten ständig Nachschub. Santini war auch derjenige, der die Spielbegeisterung und Lernfähigkeit der Delfine entdeckte, und so war es kein Wunder, dass bald Hollywood auf die schlauen Tiere aufmerksam wurde. Seine Delfine waren es, die in den 60er Jahren Flipper in Spielfilmen und TV-Serie darstellten.
Seit den 70er Jahren dient Santinis Lagune als Forschungszentrum. Aber ohne Delfin-Tourismus funktioniert das alles nicht. Denn die Forschung wird mit Hilfe von Eintrittsgeldern finanziert. Und so kann der zahlende Besucher auch Vorführungen sehen, bei denen die mittlerweile 20 Delfine (einer wurde einen Tag nach unseren Dreharbeiten geboren) ihre erstaunlichen Fähigkeiten zeigen.
Such' den Alligator!
Die jüngste Forschungsarbeit des DRC befasst sich mit einer klassischen Frage der Kognitionsforschung bei Tieren: Was versteht ein Delfin von versteckten Objekten?
Die Forscher zeigen dem Tümmler AJ einen Plüschalligator. Dieser wird dann in einen von drei Eimern gelegt, und AJ soll die Frage beantworten: Wo ist der Alligator? AJ tippt fast immer zielsicher auf den richtigen Eimer. Das beweist: Beim Versteckspiel sind Delfine schlauer als ein Kleinkind – denn für Kinder unter einem Jahr existiert ein verstecktes Spielzeug schlicht nicht mehr.
Der Versuch geht aber noch einen Schritt weiter - mit einer verblüffenden Wendung. Wenn man das Stofftier zuerst in einem Plastikrohr versteckt und dann in den Eimer legt, scheitert der Delfin! Möglicherweise liegt das daran, so die Forscher, dass Delfine versteckte Objekte normalerweise mit ihrer Echo-Ortung, ihrem Sonar, suchen. Die Fähigkeit, die das Experiment ermitteln soll, müssen Delfine in der Natur gar nicht beherrschen.
Und das ist die wichtigste Erkenntnis aus über 30 Jahren Intelligenzforschung an Delfinen. Delfine sind -so wie alle Tiere - genauso intelligent, wie sie sein müssen, um in der Wildnis zu überleben. Aber sie sind nicht so intelligent, wie Drehbuchautoren sie sich ausdenken.
Adressen & Links
Die Internetseite des DRC (engl.).
www.dolphins.org
Autor: Ulf Marquardt (WDR)
Stand: 11.05.2012 13:08 Uhr