So., 17.01.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Sturmflutmessung vor der Küste
Sturmfluten an der Nordseeküste
Sie sind zerstörerisch. Sie verschlingen Land, brechen Deiche, überfluten Häuser. Und Sturmfluten haben schon viele Menschenleben gefordert. Die Deutsche Bucht gehört zu den am stärksten gefährdeten Gebieten der Erde, da die Nordsee ein flaches Wattenmeer ist und sich das Wasser hier besonders hoch aufstauen kann. Mit dem Klimawandel wird das Risiko schwerer Sturmfluten sogar noch steigen.
Der Verlauf einer Sturmflut
Eine Sturmflut kann jederzeit in der Deutschen Bucht eintreten. Die Zeit für schwere bis sehr schwere Sturmfluten mit mehr als zweieinhalb Metern über dem Mittleren Hochwasser liegt aber in den Wintermonaten von September bis März. Der Verlauf ist immer ähnlich: Zunächst peitschen schwere Stürme aus West bis Nordwest über die Deutsche Bucht hinweg. Sie drücken das Wasser der Nordsee lang anhaltend gegen die Küste. Wo sonst Ebbe und Flut für einen regelmäßigen Gezeitenwechsel sorgen, führt der Windstau dazu, dass die Flut nicht mehr abfließen kann. An den Deichen steigt der Pegel. Kommt nun eine bestimmte Konstellation von Mond und Sonne hinzu, fällt das Hochwasser noch extremer aus. Stehen sie nämlich wie bei Voll- oder Neumond in einer Linie zur Erde, addieren sich ihre Anziehungskräfte. Es kommt zu einer sogenannten Springtide. Das Wasser läuft an den Deichen noch höher auf als sonst. Schließlich kann auch noch ein drittes Phänomen die Deiche auf die Probe stellen: Fernwellen, die draußen auf dem Atlantik entstehen und die Schwere einer Sturmflut beeinflussen.
Sturmflutforschung
Die Forschungsstelle Küste auf Norderney ist Teil des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (LWKN) und beschäftigt sich mit angewandter Forschung rund um Wasserstände, Seegang und Deichbau. Vor der Insel betreibt sie ein Messfeld mit Türmen, Drucksonden und Bojen, die ihnen gerade während einer Sturmflut wertvolle Daten liefern sollen. Seegangsmessungen gibt es zwar seit rund 35 Jahren, doch seit 1990 setzen die Forscher auf Hightech-Bojen, die Daten zu Wellenrichtung, Wellenenergie und Wasserständen liefern. Rund 20 Geräte gehören zu dem Messfeld vor Norderney. Sie sollen dabei helfen, das Ausmaß künftiger Sturmfluten zu prognostizieren.
Neue Bojen für das Messfeld
Seit einigen Tagen fehlt von einer Messboje auf See jede Spur, eine weitere ist defekt und muss ausgetauscht werden. Im Hafen von Norderney laufen deshalb bereits die Vorbereitungen, um die Geräte auf See zu ersetzen. Mitarbeiter der Forschungsstelle Küste hieven zwei Hightech-Bojen an Deck des Forschungsschiffs "Burchana". Nur bei einigermaßen ruhiger See kann die Crew die Geräte überhaupt sicher zu ihrem Ziel bringen. Obwohl es bereits tiefster Winter ist, wollen die Männer um Hanz Dieter Niemeyer es dennoch versuchen. Denn gerade während der Sturmflutsaison sind die Messdaten für sie so extrem wichtig, um ihre mathematischen Modelle auf "Naturähnlichkeit" zu prüfen. "Wir rechnen ja immer mit einer Sturmflut, die noch nie aufgetreten ist, die viel höher ist als alle, die wir bisher gemessen haben", erläutert Niemeyer, Leiter der Forschungsstelle Küste, die Vorgehensweise. Die größte Gefahr für den Küstenschutz lauert im beschleunigten Meeresspiegelanstieg durch den Klimawandel. Was Deiche in Zukunft aushalten müssen, wo, ob und wie sie erhöht werden müssen, können nur möglichst genaue Rechenmodelle klären.
Manöver auf See
Nach rund 20 Minuten Fahrt erreicht die Burchana ihre erste Position auf See. Von der verschwundenen Boje fehlt jede Spur. Vermutlich wird sie, wie einige andere vor ihr, irgendwann von Fischern geborgen werden. Unterdessen macht sich die Crew startklar, direkt die neue Boje einzusetzen. Zwischen 50.000 und 70.000 Euro kostet ein solches Messgerät. Da nur wenige davon hergestellt werden, sind die Entwicklungskosten entsprechend hoch. Mit einem Kran heben die Männer die Boje vom Schiff. "Sie darf auf jeden Fall nicht gegen die Bordwand schlagen. Sie darf auch nicht aus einer Höhe von zehn Metern aufs Wasser fallen. Die muss langsam abgelassen werden, weil’s ein hoch sensibles Messgerät ist", sagt Messtechniker Holger Karow.
Auf das Signal des Kapitäns geht das sogenannte Grundgewicht von Bord. Die feste Verankerung ist extrem wichtig, damit die Boje ihre Position hält. Alle vier Sekunden sendet die Boje Messwerte per Fernübertragung zur Insel. Im Innern zeichnet ein Beschleunigungsmesser jede Bewegung auf: Auf – Ab, Ost – West. Sanft lassen die Männer der Forschungsstelle Küste die Boje ins Wasser gleiten. Durchschnittlich zehn Sturmfluten im Jahr wird sie messen.
Gefahr "Klimawandel"
Seit 1900 ist das mittlere Hochwasser schon um 25 Zentimeter gestiegen: von 5,95 Meter auf 6,20 Meter. Bis Ende des Jahrhunderts sollen noch 40 Zentimeter dazukommen. Doch der höhere Meeresspiegel allein ist nicht das, was das Team von der Forschungsstelle Küste bei seiner Arbeit antreibt. "Deiche werden dadurch zerstört, dass hohe und lange Wellen über den Deich laufen und ihn von innen her zerstören. Das ist bei allen Katastrophenfluten so gewesen", beschreibt Niemeyer die Hauptproblematik. Ein höherer Meeresspiegel lässt Sturmfluten höher auflaufen. Durch die größeren Wassertiefen werden die Deiche heftigeren Wellen ausgesetzt. Das Watt ist nicht mehr flach genug, um die Wellenenergie abzupuffern.
Eine entscheidende Frage für den Küstenschutz wird also in Zukunft sein, ob das Watt mit dem ansteigenden Meeresspiegel mitwachsen kann. "Wenn wir nicht am Ball bleiben, dann wird uns die Natur böse überraschen. Wir müssen mit allem, was wir können, versuchen, die Zukunft vorherzuahnen", fasst Niemeyer kurz zusammen.
Auch beim Aussetzen der zweiten Boje, die die Wellenenergie am Vorstrand von Norderney messen soll, läuft für die Crew der Burchana an diesem Tag alles glatt.
Die neuen Messbojen vor Norderney jedenfalls senden ihr Signal auf die Insel und werden jede kleine Veränderung in Zukunft aufzeichnen. Zumindest für heute haben es die Männer von der Burchana geschafft. Das Messfeld ist wieder komplett. Der nächste Wintersturm kann kommen.
Autorin: Britta Thein (NDR)
Stand: 21.01.2013 17:16 Uhr