So., 12.09.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Tiefsee-Erdöl aus Angola
Nicht nur im Golf von Mexiko wird Erdöl aus großen Wassertiefen gefördert, sondern auch in einem Gebiet, das als das neue Eldorado der Erdölkonzerne gilt. Die Rede ist vom sogenannten Golf von Guinea, dem Meeresgebiet vor der Westküste Afrikas, zwischen Angola im Süden und Ghana im Norden. Während im Golf von Mexiko die Folgen der Ölpest bekämpft werden, geht die Förderung im Golf von Guinea weiter, als wäre nichts geschehen.
Zu Gast bei Total vor Angola
Im Jahr 2008 ist W wie Wissen zu Gast vor der Küste Angolas. Unfälle von Bohrschiffen in der Tiefsee hat es weltweit damals noch keine gegeben. Mit einem Helikopter fliegen wir zu den Tiefsee-Förderschiffen des französischen Konzerns Total. Sie liegen in rund 150 Kilometer Entfernung von der Küste. Tief unter dem Meeresboden wurde hier vor etwa 20 Jahren Erdöl entdeckt. Damals wusste noch niemand, wie man das Öl fördern soll. Heute herrscht vor Angola Goldgräberstimmung. Bis zu 17 Prozent der weltweiten Ölreserven werden vor der Westküste Afrikas vermutet. Für Total ist die Tiefsee der wichtigste neue Geschäftszweig. Ein Drittel des vom Konzern produzierten Öls soll schon bald aus Meerestiefen von mehr als 500 Metern stammen.
Spinnennetze unter Wasser
Unter Wasser zeigt sich, mit welchem Aufwand Total die Tiefsee erobert. Bis zu 1.400 Meter lange Ölleitungen führen vom Förderschiff hinab. Am Boden unter jedem der Förderschiffe befindet sich nicht nur ein Bohrloch, sondern über 70. Aus der Hälfte davon strömt Öl, über die übrigen werden Wasser und Gas zurück ins Reservoir im Meeresboden gepumpt. Verbunden sind die vielen Ventile mit dem Förderschiff über ein Spinnennetz aus 150 Kilometern Pipelines. Vom Meeresboden aus gehen die Bohrungen weitere 1.000 Meter tief hinab in das Ökosystem Meeresboden – dorthin, wo das Öl liegt.
Doch in der Tiefsee Ölleitungen zu installieren, ist ähnlich kompliziert wie ein Manöver im Weltall. Die Mitarbeiter von Total sind auf Roboter angewiesen. Ferngesteuert über lange Kabel montieren sie auf diese Weise Rohre und Ölventile in immer größeren Wassertiefen. Ein aktuelles Interview zu seinen Aktivitäten vor Angola will uns Total nicht geben. Die Katastrophe im Golf von Mexiko habe mit ihnen nichts zu tun, heißt es. Dabei stoßen die Mitarbeiter von Total am Meeresboden immer wieder auf jede Menge Leben. Ihre eigenen Unterwasser-Kameras filmen Tiere, die nicht einmal einen Namen haben. Regeln zum Schutz der Umwelt gibt es vor Angola nicht. Außer Total dringt niemand hierhin vor.
Sorgen um die Tiefsee
in Zustand, der Meeresforschern seit langem Sorge bereitet. Am Senckenberg-Institut in Frankfurt am Main untersucht Proessor Michael Türkay Meerestiere aus der Tiefsee. Die Forscher kommen mit ihrer Arbeit kaum hinterher, bei jedem Tauchgang entdecken sie neue Lebewesen. Michael Türkay beklagt vor allem, "dass die Technik sehr viel schneller ist als die Forschung". Dadurch wissen die Forscher nicht, welche Ökosysteme bei einem Unfall wie dem der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko überhaupt zerstört werden. "Wir haben auch in der Tiefsee des Golfes von Mexiko bei weitem nicht genügend Daten, und damit können wir auch das Risiko nicht richtig abschätzen," sagt Türkay.
Forscher untersuchen Angolas Tiefsee - im Fördergebiet von Total
Auch vor Angola hat es bisher nur eine einzige Tiefsee-Expedition gegeben. Forscher des staatlichen französischen Meeresforschungsinstituts Ifremer fuhren mit dem Schiff Atalante in die Fördergebiete von Total. Mit einem Tauchroboter wollten sie herausfinden, welche Folgen die Erdölförderung für die Bewohner der Tiefsee hat. Die Expedition hat Total freiwillig zur Hälfte finanziert. Immerhin: Bis heute hat kein anderer Ölmulti solche Arbeiten unterstützt. Zu ihrem Erstaunen stießen die Forscher am Meeresboden auf Korallen. In der Tiefsee wachsen diese nur sehr langsam. Die Forscher entdeckten Hunderte Tierarten, die ihnen bis heute Rätsel aufgeben. So berichtet Dr. Lénaick Menot, Meeresbiologe bei Ifremer, dass sie weder wissen, wie die Tiere sich vermehren, noch wie verbreitet sie sind. Wie sie sich von einem Eingriff in ihren Lebensraum erholen würden, ist ebenfalls noch unklar.
Einmalige Lebensräume werden zerstört
Tiefsee-Korallen gibt es auch im Golf von Mexiko. Michael Türkay glaubt, dass die Ölpest sie großflächig vernichtet hat. Nachgesehen hat am Boden des Golfes von Mexiko bisher niemand. Doch bis die sensiblen Gebilde aus Nesseltieren und Kalk neu wachsen, vergehen Jahrzehnte. Inmitten der Korallen wiederum leben zahllose Fische, Würmer und Krebsarten. Auch wie es um sie steht, ist im Golf von Mexiko vollkommen unklar. Michael Türkay warnt vor der Vernichtung einmaliger Lebensräume.
Vor Angola hat sich nichts geändert
Vor Angola hat sich seit unserem Besuch im Jahr 2008 nichts verändert. Trotz der katastrophalen Ausmaße, die die Ölpest im Golf von Mexiko angenommen hat, werden die Sicherheitsvorkehrungen hier nicht verschärft. Umweltauflagen gibt es nach wie vor keine, die angolanischen Behörden kontrollieren das Treiben der Erdölkonzerne kaum. Nach wie vor holen Supertanker alle zwei Tage das Erdöl von Totals Förderschiffen ab. Sie bringen es nach Europa, China und in die USA. Amerika bezieht inzwischen sogar mehr Öl aus Angola als aus Kuwait – und Total lässt immer neue Förderschiffe für die Tiefsee bauen. Beim Bau und Betrieb der Anlagen achte man auf größtmögliche Sicherheit, sagt man uns. Doch das hat BP bis zum 20. April 2010 auch gesagt.
Literatur
Thies Lübbe, Thomas Höppner, Carlo van Bernem,
Öl im Meer. Katastrophen und langfristige
Belastungen
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Darmstadt, 2002
Rudolf Traub-Merz
Öl-Boom im Golf von Guinea
Friedrich-Ebert-Stiftung
Bonn, 2003
Sarah Zierul
Der Kampf um die Tiefsee. Wettlauf um die Rohstoffe der Erde
Hoffmann und Campe Verlag
Hamburg, 2010
Autorin: Sarah Zierul (WDR)
Stand: 31.01.2013 12:33 Uhr