So., 12.09.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Ölpest - Aus Katastrophen lernen
Bei jeder Ölpest, bei jedem Tankerunglück sind die gleichen Bilder in den Nachrichtensendungen zu sehen: Heerscharen von Helfern bemühen sich, die Strände zu reinigen, verklebte Vögel werden mühsam vom Öl befreit und über dem Ölteppich versprühen Flugzeuge Chemikalien, die das Öl auflösen sollen. Doch jede Ölkatastrophe zeigt von neuem, dass die Reinigungsbemühungen die Sache meistens nur noch schlimmer machen. Die Folgen für die Umwelt sind dabei oft nicht vorhersagbar, denn jede Ölpest hat ihre eigene Dynamik und trifft jeweils auf ein anderes Ökosystem. Trotzdem wäre es für die Ölkonzerne sinnvoll, die Katastrophen der Vergangenheit ganz genau zu analysieren. Aus ihnen lässt sich viel lernen.
Der Fall "Amoco Cadiz" – hilflose Helfer
Als die "Amoco Cadiz" – ein Öltanker größer als die Titanic - die Küste der Bretagne mit einer schwarzen, klebrigen Schicht überzog, erlebte das Fernsehpublikum weltweit zum ersten Mal eine Ölpest hautnah mit. Der Tanker lief 1978 auf ein Riff und zerbrach - 223.000 Tonnen Rohöl schwappten an Land. Eine Armada von Helfern machte sich daran, die Strände mit Schaufeln und Eimern von der klebrigen Masse zu befreien. Die Umwelt, so schien es, würde sich viele Jahre nicht von der Katastrophe erholen. Tatsächlich verendeten unzählige Vögel qualvoll und die Säuberungsbemühungen der Helfer trieben das Rohöl nur noch tiefer in den Sand. Schon damals begann fieberhaft die Suche nach Gegenmitteln in Form von Chemikalien, die im Falle einer Ölpest das Meer säubern sollten. Doch die Labortests waren ernüchternd: Chemikalien lassen zwar das Öl von der Wasseroberfläche verschwinden, verteilen es dafür aber im ganzen Wasserkörper und verseuchen das Meer bis in große Tiefen.
Die Selbstreinigungskräfte der Natur
Im Fall der Amoco Cadiz nahm die Katastrophe eine überraschende Wende. Schon wenige Monate nach der Havarie verschwand das Öl langsam aber sicher von der Küste. Wenn Biologen heute im Strand nach Ölresten graben, finden sie nur sauberen Sand und klares Wasser. Die Erklärung: Bakterien haben hier ganze Arbeit geleistet. Sie haben das Öl im wahrsten Sinne des Wortes aufgefressen. Der starke Seegang und das warme Wetter in der Bretagne sind ideale Bedingungen, um diese natürliche Reinigungskraft anzuregen. Doch auf dieses Wunder kann man sich nicht verlassen. Jede Ölpest ist anders.
"Exxon Valdez" – bleibender Schaden für die Umwelt
Beim Unfall des Öltankers "Exxon Valdez" 1989 in Alaska waren die Lehren aus Frankreich vergessen. Eine noch größere Armada von Reinigungskräften wurde in Gang gesetzt und suggerierte der Welt, dass alles Menschenmögliche gegen die Ölpest unternommen werde. 100.000 Dollar wurden für die Reinigung eines einzigen Seeotters ausgegeben. Doch verschwiegen wurde, dass mehr als die Hälfte der Tiere trotzdem verendete. Der Einsatz von Hochdruckreinigern mit heißem Wasser hinterließ lange Küstenstriche ohne Leben. Die Arten, die zurückkehrten, leiden noch heute unter den Folgen der Ölvergiftung ihres Lebensraumes. Denn unter den Steinen vieler kleiner Buchten findet man immer noch zähen, konzentrierten Ölschlamm. Anders als in Frankreich ist das Klima kalt, die Wellen sind klein, Ebbe und Flut spielen kaum eine Rolle - die Selbstreinigungskräfte haben es daher viel schwerer.
Das wirksamste Mittel: die Ölpest verhindern
Eine wichtige Lehre wurde nach der "Exxon Valdez"-Katastrophe gezogen: Die Supermacht USA griff durch und machte Tanker mit Doppelhüllen zur Pflicht. Weltweit wurde damit eine Technik zur Auflage beim Schiffsbau gemacht, die schon lange existierte, aber aus Kostengründen kaum zum Einsatz gekommen war. Heute haben alle neuen Tanker eine doppelte Hülle. Das bedeutet doppelten Schutz. Tankerunfälle passieren zwar trotzdem, aber ihre Folgen sind viel weniger schlimm.
Diese Lektion haben die Betreiber von Bohrplattformen noch nicht gelernt. Schon 1979 gerät die Plattform Ixtoc 1 im Golf von Mexiko in Brand. Die Notventile auf dem Meeresboden versagen, monatelang tritt Öl aus. Die Ereignisse von damals ähneln auf erschreckende Weise dem Fall Deepwater Horizon. Doch Konsequenzen wurden aus dem Unglück von damals keine gezogen.
Die Ölpest 2010 – die Bilder wiederholen sich
Von April bis August 2010 sprudelt im Golf von Mexiko wieder unkontrolliert Öl ins Meer und der Ölkonzern BP tut so, als wäre diese Katastrophe völlig neu und einzigartig. Die Wahrheit ist: Die Ölindustrie ist schlecht auf den Ernstfall vorbereitet. Stattdessen greift BP zu den untauglichen aber medienwirksamen Maßnahmen der Vergangenheit: Tonnenweise werden giftige Lösungsmittel verspritzt, die das Öl unter die Oberfläche sinken lassen. Und Heerscharen von Helfern säubern Pelikane, von denen die meisten nicht überleben werden. BP handelt, als hätte es frühere Katastrophen nie gegeben. Doch aus früheren Unglücken kann man lernen - wenn man nur will.
Autoren: Thomas Weidenbach, Daniel Münter (WDR)
Stand: 26.02.2014 10:44 Uhr