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Absurde Verschwörungstheorien

Zwei Verschwörungsbücher
Bücher mit Verschwörungstheorien zum 11. September - davon gibt es einige | Bild: SWR

Noch nie wurden so viele Menschen Zeugen eines terroristischen Anschlags wie am 11. September 200 in New York. Um 08:46 rast ein Passagierflugzeug in den Nordturm des World Trade Centers. Nur 17 Minuten später schlägt eine zweite Maschine im Südturm ein. Wenig später stürzen beide Wolkenkratzer in sich zusammen. Schnell wird klar, dass islamistische Terroristen für den Tod von 3.000 Menschen verantwortlich sind, und trotzdem ranken sich bis heute wilde Verschwörungstheorien um die grausame Tat.

Autoren einschlägiger Bücher machen die "wahren" Schuldigen aus: Nicht islamistische Extremisten, sondern die CIA und die US-Regierung haben den Anschlag inszeniert, die Türme gesprengt und das Ganze als terroristischen Akt getarnt. In der Neonaziszene müssen getreu dem alten Feindbild - die Juden als die Schuldigen herhalten.

Die spannende Welt der Verschwörungstheorien

Thomas Grüter
Wissenschaftsautor Thomas Grüter erklärt, wie Veschwörungstheorien entstehen. | Bild: SWR

Der Wissenschaftsautor Thomas Grüter hat sich intensiv damit beschäftigt, wie Verschwörungstheorien entstehen - und warum sie so viele Anhänger finden. Verschwörungsgläubige seien fest davon überzeugt, dass die Regierungen dieser Welt nur die Fassade für andere Hintergrundorganisationen sind. "Ob sie sie nun als Illuminaten bezeichnen, ob sie das Weltjudentum im Verdacht haben oder eben Geheimdienste, die natürlich unbekannterweise zusammen arbeiten: Das alles ist natürlich spannend, weil sich da eine ganz andere Welt eröffnet. Zwar nur im Kopf der Verschwörungsgläubigen - aber die können mit dieser neuen Welt eigentlich alles erklären, was sich so abspielt."

Kaum jüdische Opfer?

Horst Mahler
Hat seine eigenen Theorien: Neonazi Horst Mahler | Bild: SWR

Für Rechtsextremisten sind die Schuldigen schnell gefunden: die Juden. Es habe kaum jüdische Opfer gegeben, weil die alle vorher gewarnt worden seien. Das behauptet unter anderen der Neonazi Horst Mahler. Eine Behauptung, die frei erfunden ist. Über 400 jüdische Bürger sind laut der endgültigen Opferzahl ums Leben gekommen. Doch der braune Aktivist zeigt sich unbelehrbar und erklärt im Jahr 2003 einem Journalisten vor laufender Kamera: "Gewisse Kreise der Judenheit haben die USA praktisch usurpiert. Sie beherrschen die Machtmittel der USA in ihrem Interesse und im Interesse Israels." Der Reporter fragt nach: "Und die haben das World Trade Center angegriffen?" Die unglaubliche Antwort: "Ja sicher. Sie haben diese Show inszeniert, mit diesen Opferzahlen, um ihre Interessen auf diese Weise durchzusetzen." Das sind eben die Worte eines rechtsradikalen Spinners, könnte man denken - der übrigens heute wegen Volksverhetzung im Gefängnis sitzt.

"Die Attentäter waren doch gar nicht dazu in der Lage"

Mathias Bröckers
Mathias Bröckers: "Ein Flugzeug in einen Wolkenkratzer zu fliegen, ist zu schwierigfür 'Hobbypiloten'." | Bild: SWR

Doch es sind nicht nur Rechtsradikale, die Gerüchte in die Welt setzen, die sie nicht beweisen können. So zum Beispiel der anerkannte Journalist Mathias Bröckers: 2003 äußert der Autor und ehemalige Redakteur der "taz" die Vermutung, dass die Attentäter gar nicht die fliegerischen Fähigkeiten hatten, die Flugzeuge gezielt in die Türme zu steuern: "Es wird ziemlich klar, dass die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage waren, diese hoch komplizierten Flugmanöver der vier Maschinen vom 11.09. auszuführen. Das kann kein Hobby-Pilot."

Doch eine Nachfrage beim Fluglehrer von Todespilot Mohamed Atta ergibt schon damals ein anderes Bild. Tom Hammersley, selbst ein erfahrener Linienpilot, stellt fest: "Man muss wirklich nicht viel können, um einen Passagier-Jet in einen Wolkenkratzer zu fliegen."

So funktionieren Verschwörungstheorien

Der zweite Twin Tower stürzt ein
Auch eine Theorie: Angeblich seien die Türme von der CIA gesprengt worden | Bild: SWR

Das Ignorieren von Originalquellen hat bei Verschwörungstheoretikern Methode. Alles, was in ihre Auffassung passt, wird referiert. Alles, was in diese Auffassung nicht passt, wird weggelassen. Thomas Grüter hält das zwar für eine generelle menschliche Eigenschaft. Doch bei Verschwörungstheoretikern sei diese Vorgehensweise besonders auffällig: „Bestimmte Beweise, die nicht in ihr Weltbild passen, ignorieren sie einfach. Sie müssen sie ignorieren, denn sonst würde ihre Theorie zusammen fallen."

So halten sich hartnäckig Gerüchte, die Türme seien gar nicht eingestürzt, sondern von der CIA gesprengt worden. Beweise? Fehlanzeige. Stattdessen wird argumentiert, dass es keine Beweise dafür gebe, dass KEINE Sprengstoffreste gefunden worden seien. (Man vermutet also, dass Sprengstoffreste gefunden wurden, diese "Beweise" aber beiseite geschafft worden sind.)

Verschwörungstheoretiker behaupten auch, sechs der 19 Attentäter würden noch leben, und deren Aufenthaltsort sei auch bekannt. Unklar bleibt, warum keiner der Verschwörungstheoretiker je versucht hat mit ihnen zu sprechen. Warum, so fragen sie stattdessen, wurden die Leichen aus den beiden Flugzeugen, die in das World Trade Center rasten, niemals identifiziert? Die Antwort liegt auf der Hand: Es gab nach dem Feuerinferno und dem Zusammensturz der Türme keine menschlichen Überreste, die man hätte identifizieren können.

Das "Rezept" einer Verschwörungstheorie ist einfach: Es werden scheinbar plausible Fragen aufgeworfen, die sich der Leser bzw. Zuhörer dann selbst beantworten soll – die ihn aber schon auf eine bestimmte Fährte schicken. Außerdem zitieren sich Verschwörungstheoretiker häufig gegenseitig. Dagegen werden Primärquellen wie Augenzeugen oder Experten von ihnen meist gar nicht befragt. So bauen sie ein Konstrukt aus ominösen Vermutungen und angeblich ungeklärten Fragen auf. Dabei gibt es aber - wenn man ganz genau hinsieht - für die Vermutungen keine Beweise und für die "offenen Fragen" schon längst plausible Erklärungen. Die aber werden ignoriert.

Die Rolle der US-Regierung

US-Senat
Die US-Regierung soll die Anschläge selbst inszeniert haben - sagen Verschwörungstheoretiker | Bild: SWR

Trotz fehlender Beweise glauben nach wie vor viele, dass die US-Regierung die Anschläge selbst inszeniert hat. Das liegt daran, dass der US-Regierung gewisse Vorurteile anhaften, erklärt der Wissenschaftsautor Thomas Grüter: "Es verbreiten sich immer solche Verschwörungstheorien gut, die bestehende Vorurteile bestätigen - gegen Gruppen, die als feindlich empfunden werden. Da ist zum Beispiel die amerikanische Regierung: Gerade, wenn extrem konservative und nationalistische Regierungen in Amerika an der Macht sind, existieren in Europa Gruppen, die diesen grundsätzlich misstrauen. Und dann gibt es immer noch viele Leute, die natürlich dem israelischen Geheimdienst Mossad auch tatsächlich alles Mögliche zutrauen würden.“ Und es passt natürlich perfekt ins Verschwörungsbild, dass "die üblichen Verdächtigen" bereits in der Vergangenheit das ein oder andere dunkle Kapitel zu verantworten haben.

Tatsächlich gibt es auch rund um die Anschläge am 11. September 2001 Ungereimtheiten und offene Fragen. Doch so sehr sich Verschwörungstheoretiker und Verschwörungsgläubige darüber ärgern und ereifern mögen: Für ihre Theorie, die Flugzeuganschläge seien von der CIA, der US-Regierung oder den Juden inszeniert worden, gibt es nicht einen stichhaltigen Beweis. Aber allein schon, weil sich Verschwörungstheorien prächtig verkaufen, werden die Spekulationen darüber wohl weiter gehen.

Literatur

Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer: Wie Verschwörungstheorien funktionieren

Thomas Grüter
Fischer (Tb.), Frankfurt, 2008
320 Seiten, 8,95 Euro

Autor: Harald Brenner (SWR)

Stand: 26.06.2015 08:56 Uhr

Sendetermin

So., 11.09.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

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