SENDETERMIN So., 09.01.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Auf Du und Du mit dem Hai

Schwarzspitzenhaie
Vor ihm haben viele Mensche Angst: ein Hai | Bild: BR

Haiangriff - vier verletzte Touristen, ein Todesfall an der ägyptischen Küste im Rotmeer-Badeort Scharm El-Scheich! Anfang Dezember waren das sehr beunruhigende Nachrichten. Was hat das Verhalten der Haie ausgelöst? Wissenschaftler können nur spekulieren. Die Praxis vieler Tourismusunternehmen, Haie für die Taucher durch Fütterung anzulocken, war ein wahrscheinlicher Auslöser, die Überfischung und damit ein Nahrungsmangel für die Tiere wohl ein weiterer. Schuld ist der Mensch.

Gefährdetes Urtier

Katzenhai
Der Katzenhai ist einer von 500 Haiarten | Bild: BR

Seit 400 Millionen Jahren beherrschen Haie die Meere - bald wird es viele der weltweit 500 Arten aber nicht mehr geben. Der Hai wird verfolgt, gejagt, getötet. Seine Flossen sind begehrt, und er verendet qualvoll in unseren Netzen. Die Angst vieler Menschen vor den Räubern ist groß, und Meldungen wie die aus Ägypten beflügeln unsere Ängste.

Es werden gewaltige Anstrengungen unternommen um die Haie von den Küsten und Badestränden fernzuhalten. Dabei beruht diese Angst nur auf Unkenntnis, denn Angriffe sind extrem selten. In Südafrika kämpft der Unterwasserkameramann und Haischützer Charles Maxwell gegen Unwissenheit und Angst.

Mit Meeresbiologen von der Universität Durban führt er verschiedene Projekte durch. So hat der Haischützer eine tote Schildkröte als Köder ausgelegt. Schon nach wenigen Minuten ist der größte Raubhai der Erde, der Tigerhai, direkt am Boot: "Wir möchten herausfinden, wie Tigerhaie sich in der Gruppe bei der Jagd verhalten. Kooperieren sie oder gibt ein dominantes Tier, das keine Rücksicht nimmt und alle Rang niederen Tiere vertreibt. Diese tote Schildkröte ist einzigartige Chance, mehr über das Verhalten von Tigerhaien zu erfahren."

Aug in Aug mit dem Hai

Filmer mit einem Weißen Hai
Filmer mit einem Weißen Hai | Bild: BR

Charles arbeitet seit über 30 Jahren mit Haien. An ihren Bewegungen und Flossenstellung erkennt er, ob ihm die Tiere gefährlich werden. Charles hat Respekt, aber keine Angst. Beim Angriff muss der "Tiger" vorsichtig sein. Seine Augen sind sehr empfindlich – eine Verletzung wäre sein eigenes Todesurteil. Doch dann ist der Bann gebrochen. Das fünf Meter lange Weibchen beachtet den Taucher nicht. Charles kann aus nächster Nähe dokumentieren, wie das Tier vorgeht. Dann kommen immer mehr Tigerhaie dazu: Charles kann als erster Mensch dokumentieren, dass Tigerhaie eine klare Hierarchie haben. Ähnlich wie Löwen jagen sie meist gemeinsam. Der Stärkste frisst zuerst, aber alle bekommen ihren Anteil. Sie zeigen Drohgebärden und sie kommunizieren miteinander. Genug Belege um einen Artikel in den wichtigsten wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu veröffentlichen!

Doch wie die jüngsten Fälle in Ägypten zeigen, ist der Kontakt mit Haien in einer Fresssituation nicht zur Nachahmung empfohlen: "Wenn du so etwas machst, musst du mit Problemen rechnen", sagt Charles. "Es ist ja eine gewaltige Provokation, neben ihrem Futter zu schwimmen. Das darf man den Tieren nicht vorwerfen. Sie handeln instinktiv und wenn etwas passiert, dann habe ich es falsch gemacht. Denn dann wird es für den Menschen richtig gefährlich."

Der Mythos vom Weißen Hai

Weißer Hai jagt Robbe
Ein Weißer Hai jagt eine Robbe | Bild: BR

Am Kap der guten Hoffnung und den südafrikanischen Küsten leben über 50 Haiarten. Doch weil der Mensch fast nichts über sie weiß, dämonisiert er die Tiere - vor allem den Weißen Hai. Unermüdlich ist Charles unterwegs, um Wissenslücken zu schließen. Wie schnell und ausdauernd kann der Räuber schwimmen? Eine Toecam – eine Schleppkamera –soll das beweisen.

Die Zeit drängt. Charles schätzt, dass nur noch 50.000 Weiße Haie in den Ozeanen leben. Wenn niemand handelt, ist die Art in spätestens 50 Jahren ausgestorben. Deswegen kämpft der Südafrikaner für Schutzzonen – und dazu muss er wissen, wohin die Haie schwimmen. Weil die Toecam an einen großen Fisch erinnert, werden die Tiere neugierig. Nach wenigen Minuten ist ein Hai hinter dem Boot. Mühelos folgt der "Weiße", auch wenn das Boot mit 25 Kilometer pro Stunde über die Wellen rast. Charles speichert Daten wie Wassertiefe oder Temperatur. In nur 40 Minuten haben Boot und Hai 17 Kilometer zurückgelegt.

"Wundernetze" für die Wärmeregelung

Hai
Haie sind perfekt an ihre Lebensumwelt angepasst | Bild: BR

Spezielle Blutgefäße sorgen dafür, dass der Weiße Hai bestimmte Muskeln 15 Grad über Wassertemperatur aufheizen kann. Wärme macht schnell. Er kann auch unter Wasser auf 60 Kilometer pro Stunde beschleunigen! Dieses "Rete mirabile", lateinisch für "Wundernetz", ist eine Verzweigung einer Arterie in ein Geflecht aus feinsten Arterien, das sich anschließend wieder zu einer Arterie vereinigt. Bei Haien dienen Wundernetze der Thermoregulation. Die Schwimmmuskeln erzeugen bei diesen Tieren viel Wärme, durch die Wundernetze wird die Wärme im Körperkern gehalten und die lebensnotwendigen Organe haben dadurch eine höhere Temperatur als das umgebende Wasser. Die Wundernetze bestehen hier jedoch aus relativ dickwandigen Gefäßen und ermöglichen keinen Gasaustausch. Damit sind Weiße Haie wechselwarmen Tieren durchaus ebenbürtig.

Haischutz international und regional

Ein Tigerhai greift eine Schildkröte an
Ein Tigerhai greift eine Schildkröte an | Bild: BR

Charles ist mit Hai-Forschern in aller Welt vernetzt. So kam es zu erstaunlichen Entdeckungen. Ein mit einem Sender versehender Weißer Hai schwimmt von Südafrika nach Australien und verliert dort den Sender. Sechs Monate später konnte das Tier vor der südafrikanischen Küste fotografiert und identifiziert werden. In sechs Monaten ist es über 20.000 Kilometer geschwommen. Charles weiß jetzt: Es müssen länderübergreifende Schutzgebiete eingerichtet werden.

Aber auch regionale Konzepte können helfen. In Kapstadt unterstützt Charles ein ambitioniertes Projekt. Es soll das Zusammentreffen von Hai und Mensch verhindern. 90 Prozent seiner Zeit verbringt der Weiße Hai an der Wasseroberfläche. "Haibeobachter" aus den verarmten Townships erhalten eine meeresbiologische Ausbildung. Sie sichern die Strände und sperren das Wasser, wenn eine Flosse auftaucht. Derartige Haibeobachter werden inzwischen auch in Ägypten eingesetzt, die Strände sind wieder freigegeben.

Die traurige Alternative sind Haiabfangnetze. Millionen Meerestiere verenden jämmerlich, um wenige Haiangriffe weltweit zu verhindern! Dagegen sterben durch Fischer und Verschmutzung jährlich mehr als 100 Millionen Haie, schätzen Umweltschutz-Organisationen wie Greenpeace.

Viele Arten sind in nur wenigen Jahren um 90 Prozent dezimiert worden. Um Schlimmeres zu verhindern, sammelt Charles so viel Information wie möglich über die Tiere. Sein Ziel ist es, dass alle Haiarten weltweit als "stark gefährdet" eingestuft werden. Erst dann greifen Schutzmaßnahmen. Denn aus den Jägern sind schon lange Gejagte geworden.

Wahrnehmung der Haie

Haie verfügen über ein erstaunlich entwickelte Sinnesorgane. Ihr Geruchssinn ist phänomenal. Sie können Blutpartikel in einer Verdünnung von 1:10 Millionen wahrnehmen. Einen verletzten Fisch riechen sie über Kilometer. Mit speziellen Poren am Kopf – den sogenannte Lorenzinischen Ampullen – registrieren Haie außerdem minimale Stromfelder. Jede noch so kleine Bewegung unter Wasser ist ein elektrischer Impuls. Einen Fischschwarm wirkt auch auf Kilometer entfernte Haie wie eine Fanfare, die zum Fressen ruft. Schwarmfische versuchen, die elektrischen Sensoren der Haie in die Irre zu führen, indem sie in exakten Formationen den Angriffen ausweichen: Der Schwarm wirkt wie ein riesiger Fisch. Aber jetzt verlassen sich die Haie auf ihre perfekt angepassten Augen. Hai-Augen reagieren wie das menschliche Auge auf Licht – die Pupillengröße verändert sich. Keine andere Fischart ist dazu in der Lage. Schnell und zielsicher suchen sich die Jäger einzelne Opfer heraus.

Literatur

Mark Carwardine
Haie
Delius Klasing Verlag, 2005
168 Seiten

Autor: Florian Guthknecht (BR)

Stand: 13.10.2014 13:55 Uhr

Sendetermin

So., 09.01.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

Sprungmarken zur Textstelle

Externe Links