So., 04.09.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das Hirn im Bauch
Glück geht durch den Magen
Stimmungen entstehen nicht nur im Kopf, sondern auch im Bauch. Forscher der Universität Graz gehen davon aus, dass die Gemütslage des Menschen viel stärker vom Magendarmtrakt und der Ernährung beeinflusst wird als bisher angenommen. Doch kann man sich wirklich glücklich essen?
Schnelle Kalorien für die Psyche
Glücksempfinden oder zumindest eine wohlige Zufriedenheit nach einem guten Essen sind wohl den meisten Menschen bekannt. Auch der erste Biss in einen saftigen Burger oder eine Tafel Schokolade kann das Höchste der Gefühle sein. Evolutionspsychologisch sind diese Emotionen relativ leicht erklärbar: Die schnelle Zufuhr von Fett und Kohlenhydraten liefert dem Menschen, der auf der Suche nach Nahrung ist, neue Energie. Das Belohnungssystem im Gehirn wird aktiviert. Es löst die Ausschüttung von Botenstoffen wie zum Beispiel Dopamin aus. Die Meldung lautet: Satt - der Mensch ist zufrieden.
Bauch-Hirn-Kommunikation
Diese Prinzipien sind vergleichsweise simpel und inzwischen recht gut erforscht. Neurogastroenterologen der Medizinischen Universität Graz jedoch gehen davon aus, dass ein komplexes Wechselspiel zwischen Verdauung und Gehirn maßgeblich unsere wichtigsten Emotionen bestimmen könnte. Die Ursache dafür liegt möglicherweise im Darm: In der Darmwand sitzen über 100 Millionen Nervenzellen - mehr als im Rückenmark. Da Magendarmtrakt und Kopf über das autonome Nervensystem in ständiger Verbindung zueinander stehen, tauschen sie auch permanent Signale aus. Vermutlich ist der Darm dabei mehr als nur der Sklave des Gehirns. Er sendet ebenfalls Botschaften in bestimmte Hirnzentren, wie etwa das limbische System, die maßgeblich für die Entstehung von Gefühlen verantwortlich sind. Könnte eine gezielte Ernährung so möglicherweise auch die Bildung bestimmter Emotionen beeinflussen?
Ein gesunder Darm macht glücklich
Um herauszufinden, ob eine gezielte Ernährung die Emotionen beeinflusst, haben die Grazer Wissenschaftler das Verhalten von Mäusen untersucht. Dazu wurde einem Teil der Tiere zunächst ein bestimmter Stoff ins Trinkwasser gegeben, der eine leichte Entzündung im Darm auslöst und zu einem ähnlichen Zustand führt wie eine fett- und zuckerreiche Ernährung. Im Anschluss wurde das Verhalten dieser Tiere beobachtet und mit dem Verhalten von Mäusen ohne Darmentzündung verglichen. Die Auswertung der Videobeobachtung macht deutlich: Die Tiere mit der Darmentzündung sind ängstlicher und zeigen - soweit man das bei Mäusen sagen kann - ein eher depressives Verhalten. Die gesunden Mäuse jedoch erkunden neugierig das Versuchslabyrinth, sind wesentlich agiler und zeigen insgesamt eine positive Stimmung.
Einfluss der Darmflora: alles nur Bauchgefühl?
Befunde beim Menschen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So belegen weltweit verschiedene Studien, dass Menschen, die viel frisches Gemüse, Fisch und Vollkornprodukte essen, ein geringeres Risiko haben, an Depressionen zu erkranken. Auch der Tübinger Psychologe Paul Enck interessiert sich für den Zusammenhang zwischen Ernährung und psychischem Wohlbefinden. Er geht davon aus, dass vor allem die Bakterien im Darm unsere Stimmungslage beeinflussen könnten. Im Verdauungstrakt befinden sich mehr als eine Billion Mikroorganismen - insgesamt rund zwei Kilo. Diese Bakterien verständigen sich mit Signalstoffen nicht nur untereinander, sondern auch mit ihrem Wirt, dem Menschen. Als Kanal zur Verständigung dienen die vielen Tausend Nervenzellen in der Darmwand, welche die Botschaften über den so genannten "Vagusnerv" direkt ins Gehirn leiten.
Ernährung steuert Darmbakterien
Die Zusammensetzung der Bakterien ist komplex und die Ernährung hat darauf einen enormen Einfluss. Deshalb besitzt auch jeder Mensch eine andere Darmflora - je nach dem, von was er sich ernährt. So haben beispielsweise die Menschen in Italien eine andere Darmflora als die Bewohner Skandinaviens. Ballaststoffe und bestimmte Milchprodukte wie Joghurt gelten als allgemein gut für die Darmflora. Fett- und zuckerreiche Kost dagegen können das Gleichgewicht der Darmbakterien durcheinander bringen und so auch unsere Stimmungslage negativ verändern. Ist bei den Bakterien dagegen alles in Ordnung, fühlt sich auch der Mensch wohl, so die These der Forscher.
Auch wenn sich der Mensch nicht wirklich "glücklich essen" kann: Die Verbindung zwischen Verdauung und Gehirn spielt vermutlich eine größere Rolle für unser psychisches Wohlbefinden als bisher gedacht und könnte unser Ernährungsverhalten in Zukunft maßgeblich verändern.
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Abteilung Innere Medizin VI
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Osianderstraße 5
72076 Tübingen
Autor: Boris Geiger
Stand: 05.08.2015 11:13 Uhr