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Das römische Flusskriegsschiff

Gesicherte römische Anlegestelle (Computeranimation)
Gesicherte römische Anlegestelle (Computeranimation) | Bild: LWL-Römermuseum

Über 200 Millionen Tonnen Güter transportieren Frachtschiffe jährlich über Deutschlands Flüsse. Doch wir modernen Menschen sind keinesfalls die Erfinder der modernen Binnenschifffahrt – das sind die Römer! Schon vor fast 2000 Jahren haben sie die große wirtschaftliche und strategische Bedeutung von Rhein und Donau erkannt. Öl, Getreide und Baumaterial wurden schon damals in großem Stil mit einer umfangreichen Flotte von Frachtschiffen transportiert. Flüsse waren die Autobahnen der Antike, zumindest für den Schwerlastverkehr. Doch die Wasserstraßen waren für die Römer auch von großer strategischer Bedeutung:

Im dritten Jahrhundert nach Christus überrennen die germanischen Barbaren den Limes, ein bis dahin sehr wirksamer Schutzwall im Norden des Römischen Weltreiches. Danach ziehen sich die Römer hinter die natürlichen Grenzen von Rhein und Donau zurück, die sie mit Flusskriegsschiffen verteidigen.

Aus Überlieferungen wissen Historiker, dass die römische Marine über hunderte solcher Boote verfügt hat. Aber konnten die Römer die Flussgrenzen tatsächlich mit Schiffen schützen? Um das zu beantworten, wagen Bootsbauer und Historiker im pfälzischen Germersheim ein spektakuläres Experiment.

Das Experiment: Schiffsbau wie vor 2.000 Jahren

Der Rumpf in einer Halle
Der Rumpf nimmt Form an | Bild: SWR

Ein Jahr lang fallen in einer Lagerhalle der Bundeswehrkaserne Sponeck Späne, es wird gehobelt, gehämmert und gebohrt. Prof. Christoph Schäfer ist Historiker an der Universität Trier und baut hier mit seinem Team ein römisches Kriegsschiff nach - originalgetreu nach historischem Vorbild. Dabei benutzen die Wissenschaftler zwar moderne Werkzeuge, bauen aber nach den Methoden der antiken Bootsbauer. "Mit dem Experiment wollen wir etwas über die Leistungsfähigkeit des Schiffstyps Navis Lusoria herausfinden", erklärt Christoph Schäfer. "Navis Lusoria" - das bedeutet übersetzt "tänzerisches Schiff". Als ein schlankes und äußerst wendiges Boot wird es in historischen Quellen beschrieben. Weil es außerdem nur einen geringen Tiefgang hatte, war es auch in seichten und verschlungenen Gewässern gut zu manövrieren. Wie gut, soll das Schiffsbau-Experiment zeigen.

Zeitreise zu den Anfängen der Binnenschifffahrt

Bauplan
Experten erstellen den Bauplan | Bild: SWR

18 Meter lang und fast drei Meter breit ist das Römerschiff, das die Trierer Wissenschaftler nachbauen. Modell stehen dabei verschiedene Wrackfunde, die bei Mainz entdeckt und ausgegraben worden sind. Stück für Stück entschlüsseln Historiker, Archäologen und Bootsbauer daraus die Geheimisse der Römischen Marine auf Rhein und Donau - eine Zeitreise zurück zu den Anfängen moderner Binnenschifffahrt:

Der Rhein schlängelt sich damals noch ungebändigt durch die Landschaft und ist von dichtem Urwald umgeben. Hier an Land einen Verteidigungswall zu bauen, ist unmöglich - so wird der Fluss selbst zur Grenze. Legionäre sind mit Militärschiffen ständig auf Patrouillenfahrt, um Angriffe der Germanen abzuwehren, und sie versorgen die Legionslager mit Nachschub. Außerdem bieten sie Frachtschiffen Geleitschutz - einen Service, den sich das römische Militär allerdings gut bezahlen lässt. Händler, die nicht bereit sind zu zahlen, bekommen keinen Schutz.

Römerschiffe: antike High-Tech-Geräte

Die Wand des Bootes wird gegutachtet
Auch beim Nachbau ist hohe Präzision gefragt | Bild: SWR

Die Römer waren Meister in Sachen Schiffsbau, ihre Boote waren antike High-Tech-Geräte. Trotz relativ einfacher Werkzeuge erreichten die Handwerker eine große Präzision beim Anfertigen der Bauteile - und ein äußerst strömungsgünstiges Schiffsdesign. Die Germanen hatten dem nichts entgegenzusetzen. Mit ihren einfachen Holzflößen waren sie der modernen römischen Marine haushoch unterlegen. "Doch technische Unkenntnis war nicht der Grund dafür", stellt der Historiker Christoph Schäfer klar. "Vielmehr erforderten so komplexe Konstruktionen wie die römischen Schiffe einen hohen Aufwand bei der Herstellung und intensive Pflege. Außerdem musste man Ersatzteile vorhalten und gut organisiert sein. Dazu brauchte es stabile soziale Strukturen - wie die Römer sie hatten." Die germanische Stammes-Gesellschaft dagegen war viel zu instabil, um solche Strukturen hervorzubringen. Das Ergebnis: Die Römer hatten die absolute Hoheit auf Rhein und Donau.

Die "Wässerung"

Ein Containerkran setzt das Schiff ins Wasser
Ein Containerkran setzt das Schiff ins Wasser | Bild: SWR

Der große Tag: Nach einem Jahr Bauzeit hebt ein Containerkran das fünf Tonnen schwere Schiff ins Hafenbecken. Das Team von der Uni Trier ist angespannt, denn die "Wässerung" ist ein kritischer Moment. Schwimmt der Kahn, und ist der Rumpf dicht? Das Schiff liegt schon einmal gut im Wasser - aber zu Anfang dringt doch Wasser ein... Trotzdem zeigt sich die Crew hoch zufrieden. Sie rechnet damit, dass das Holz innerhalb von ein paar Tagen so stark aufquellen wird, dass schließlich alle Verbindungen des Rumpfes dicht sein werden - da sind sich die Experten sicher. Und sie behalten recht. Schon eine Woche später können sie mit den ersten Versuchsfahrten starten.

Erste Testfahrten beeindrucken

Die Test-Ruderer legen sich in die Riemen
Die Test-Ruderer legen sich in die Riemen | Bild: SWR

24 Ruderer – Studenten der Universität Trier – bringen das Experimental-Römerschiff auf Höchstgeschwindigkeit: beachtliche zehn Kilometer pro Stunde, nur mit Muskelkraft. Außerdem ist das Schiff mit einem Segel ausgestattet – und die Segeleigenschaften erweisen sich als erstaunlich gut! Mit modernsten Geräten messen Ingenieure Geschwindigkeit, Wind, Kurs, die Schlagzahl der Ruderer und einiges mehr. Christoph Schäfer ist beeindruckt von der Manövrierfähigkeit. Das Schiff ist noch viel wendiger als er vermutet hatte. Das muss vor allem in engen Seitenarmen des Rheins von Vorteil gewesen sein. Denn wenn die Römer Angreifer abwehren wollten, mussten sie schnell wenden können.

Mit dem Experiment können die Wissenschaftler historische Quellen bestätigen, die von solchen Wendemanövern berichten. Außerdem stellt die Test-Mannschaft fest, dass sich der richtige Umgang mit Schiff schnell lernen lässt. Ein Muss, denn so konnten gewöhnliche Legionäre die Schiffsmannschaft stellen, ohne dass speziell ausgebildete Seeleute nötig gewesen sind. Auch in diesem Punkt werden alte römische Überlieferungen bestätigt. Für die Fachleute ist damit die Ausgangsfrage des Schiff-Experiments beantwortet: Die römischen Flusskriegsschiffe waren ein hoch effektives Waffensystem – das können sie mit dem Nachbau belegen. Die Sicherung der Flussgrenzen im Norden des Römischen Imperiums war damit möglich.

Literatur

"Lusoria - Ein Römerschiff im Experiment"

Christoph Schäfer
Koehlers Verlagsgesellschaft, 14. April 2008
128 Seiten

Zusatzinfo

Hier noch ein Tipp: Wenn die Testfahrten auf diesem Schiff abgeschlossen sind (im Sommer 2011), wird es Besuchern und Touristen zur Verfügung gestellt. Dann kann jeder in den Gewässern rund um Germersheim mal so richtiges Römer-Feeling erleben. Es empfiehlt sich allerdings dringend, Handschuhe anzuziehen, sonst gibt's schnell Blasen. Rudern ist eine ziemliche Plackerei, aber davon wussten wahrscheinlich auch schon die alten Römer ein Lied zu singen.

Autor: Harald Brenner (SWR)

Stand: 05.08.2015 11:20 Uhr

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