So., 19.06.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Dennis im Astronautentraining
Astronauten müssen Multitalente sein. Die Warteschlangen auf diesen begehrten Job sind endlos. Doch nur Wenigen ist es vergönnt, letztendlich auch zur ISS zu starten. Die Voraussetzung ist absolute körperliche Gesundheit.
Moderator Dennis Wilms hat sich Prüfungen gestellt, durch die auch angehende Astronauten durch müssen: Im European Astronaut Center (EAC) in Köln hat er ein Gefühl dafür bekommen, was die Astronauten im All erwartet.
Dabei kommt es nicht nur auf Fitness und Muskeln an, sondern vor allem auf versteckte Krankheiten, die im All zu Problemen führen könnten. Der Gesundheitscheck der „echten“ Anwärter dauert mehrere Tage. Noch aufwändiger sind die psychologischen Tests. Astronauten müssen mental so stabil zu sein, dass sie mehrere Monate mit den gleichen Personen auf engstem Raum verbringen können. Teamfähigkeit ist absolutes Muss! Viele Menschen sind dieser Herausforderung aber nicht gewachsen.
Mittlerweile sind Astro-, Kosmo- und Taikonauten im All unterwegs – also Raumfahrer verschiedenster Herkunft. Die unterschiedlichen Erfahrungen und Philosophien bezüglich der Aufgaben im All führten dazu, dass in verschiedenen Ländern unterschiedliche Tests durchgeführt werden. Die Prüfungen und Anforderungen ändern sich für die Weltraumfahrer ständig. Etwa sechs Jahre dauert die Vorbereitung eines Astronauten, bis er zur ISS fliegen darf.
Der "Rotating Chair"
Test eins: Dennis wird auf seine "vestibuläre Empfindlichkeit" hin untersucht. Mit Hilfe eines Drehstuhls findet Flugarzt Götz Kluge heraus, wie empfindlich das Gleichgewichtsorgan im Innenohr von Dennis auf ungewohnte Beschleunigung reagiert. Früher gehörte die Prozedur zu den obligaten Tests für Astronauten. Doch dann zeigte sich, dass das Ergebnis im "Rotating Chair" und Probleme in der Schwerelosigkeit nicht unbedingt zusammen hängen. Trotzdem gilt er zum Beispiel in Russland noch immer als Pflichttest.
Dennis erwarten drei Minuten Rotation im Drehstuhl. Der Flugarzt wird Dennis nicht nur beobachten, sondern den Stuhl auch steuern - und dann abrupt stoppen. Bei den ersten Runden zeigen sich keine Symptome. Doch dann fallen Dennis die Bewegungen immer schwerer, er kann Beine und Arme kaum noch kontrolliert bewegen. Außerdem nimmt seine Artikulationsfähigkeit ab. Doch Dennis will nicht abbrechen, noch ist ihm nicht schlecht.
Nervöse Zuckungen
Nachdem der Flugarzt den Drehstuhl abrupt gestoppt hat, hält er Dennis eine so genannte Frenzelbrille vor die Augen. In der Vergrößerung ist deutlich sein Augenzucken zu beobachten: Die Iris beider Augen wandert hektisch hin und her, in der Fachsprache heißt das "postrotatorischer Nystagmus". Der entsteht, weil in den Bogengängen des Innenohrs die Flüssigkeit noch in Bewegung ist, während der Körper aber bereits wieder still steht. Doch der Effekt legt sich schnell. Dennis hat den ersten Test gut überstanden: "Das war weniger schlimm, als ich dachte. Ich hatte ein bisschen Bammel davor. Aber wenn man Achterbahn gut abkann und auch nicht seekrank wird, dann ist der 'Rotating Chair' kein Problem."
Sauerstoffmangel
Übung zwei ist lebenswichtig für die Menschen im All. Jederzeit könnte auf der ISS oder während eines Außeneinsatzes die Luft knapp, also die Sauerstoffversorgung gestört werden. Ein Horrorszenario, denn der Mensch bemerkt nicht, ob er zu wenig oder ausreichend Sauerstoff bekommt. Er hat dafür kein Sinnesorgan. Im Gegenteil: Eine Sauerstoffunterversorgung führt zu Euphorie und verfälscht die Wahrnehmung deutlich. Deshalb müssen zukünftige Astronauten bewusst erleben, wie sich der Mangel an Sauerstoff konkret auswirkt. Nur so können sie "erfühlen", dass etwas nicht stimmt.
Dennis setzt sich an einen Tisch. Vor ihm liegen Stift und Papier. Er bekommt jetzt eine Sauerstoffmaske aufgesetzt. Die Sauerstoffkonzentration beträgt nur 40 Prozent des Normalwertes in Meereshöhe - das entspricht ungefähr dem Sauerstoffgehalt auf einem Berg auf 7.000 Metern Höhe. Doch was kann Dennis unter diesen Bedingungen noch leisten?
Denken ohne Sauerstoff
Dennis atmet gleichmäßig. Nach 20 Sekunden muss er eine "Rechenaufgabe" lösen. Er soll von der Zahl 1.000 ab immer sieben abziehen: 993 - 986 - 979 und so weiter. Die ersten beiden Rechenschritte sind noch kein Problem. Für die folgenden braucht er dann immer länger. Seine Konzentrationsfähigkeit nimmt merklich ab. Immer offensichtlichere Fehler schleichen sich ein. Als er seinen Namen schreiben soll, schreibt er: DENNNIS mit drei "N"… Flugarzt Götz Kluge bricht das Experiment ab. Dennis soll nun ohne Maske von zehn ab rückwärts zählen. Er ringt nach Atem. Das Rückwärtszählen gelingt mehrfach nicht. Ein paar Mal setzt er neu an. Es dauert einige Minuten, dann erst hat er sich wieder im Griff.
Dennis weiß nun, dass er im All sofort reagieren müsste, wenn ihm eine normale Aufgabe schwerer als gewohnt fällt oder nicht erwartungsgemäß in der geplanten Zeit gelingt. Denn das könnte ein Hinweis auf fehlenden Sauerstoff sein!
Schwerelos im Raumanzug
Dennis' letzte Station. Am Trainingsschwimmbecken zieht er eine Art Astronautenanzug an: Ein Taucheranzug, aufgerüstet mit drei Paar Bauhandschuhen, Sicherungsgürtel mit verschiedenen Karabinern und Befestigungsschlaufen und Bleischuhen. Am aufgebauten ISS-Modul "Columbia" übt er die Anwendung verschiedener Karabiner. Es gibt drei Ausführungen, jede hat eine andere Funktion und eine eigene Selbstsicherungsmechanik. Dennis muss sich mit den unbequemen Handschuhen immer wieder aus- und einhaken. Wenn das im All schief liefe, dann verschwände ein Astronaut schnell auf Nimmerwiedersehen.
Als Dennis einigermaßen mit den Karabinern klar kommt, muss er voll ausgerüstet ins Wasser. Dazu kommen ein 40 Kilogramm schwerer Rucksack mit Sauerstoffflaschen und seine Maske. Auf einer Spezialplattform fährt er mit zwei Sicherungstauchern unter Wasser. Dennis verfügt über Funkkontakt nach außen. Vom Kontrollraum aus bekommt er Befehle: "Kleinen Karabiner rechts befestigen. - Großen Karabiner lösen. - Mittleren Karabiner links einhaken." Dennis macht alles richtig. Nach zehn Minuten hat er es geschafft und wird wieder aus dem Becken gefahren.
Sein Fazit: "Es hat mir sehr viel Spaß gemacht!" Ein kleiner Schritt für die Astronauten, aber ein großer Schritt für Dennis Wilms.
Das All liegt noch fern
Dennis hat ein paar der zahlreichen Tests für Weltraumfahrer sehr gut gemeistert. Er könnte sich durchaus um einen der 13 Plätze bewerben, die die ESA ab und zu ausschreibt. Das letzte Mal gab es dafür 22.000 Bewerber! Die Kriterien sind hart: Bewerber müssen zwischen 27 und 37 Jahre alt sein und fließend Englisch sprechen. Die Mindestgröße liegt bei 153 Zentimetern, größer als 190 Zentimeter darf man allerdings auch nicht sein. Dazu wird noch ein Universitätsabschluss in Naturwissenschaften, Maschinenbau oder Medizin verlangt. Nur eins muss man nicht unbedingt können: fliegen!
Autor: Ingo Herbst (NDR)
Stand: 29.10.2015 14:28 Uhr