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Der Neandertaler: tumb und wild?

Ein Neandertaler - nachgestellte Szene
Ein Rätsel: Warum sind die Neandertaler ausgestorben? | Bild: WDR

Seit dem Fund der ersten Neandertaler-Fossilien 1856 rätseln Forscher, wie diese Urzeitmenschen lebten, warum sie ausstarben und wie ähnlich sie uns waren. Viele Jahrtausende lebte der Neandertaler bereits schon in Europa und dem mittleren Osten, als dort auch der moderne Mensch, unser Vorfahr, auftauchte. Was ist dann passiert? Haben sie sich bekämpft oder vermischt? Eine internationale Forschergruppe des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sucht nach Antworten im Erbgut des Frühzeitmenschen. Es ist ihnen gelungen, das gesamte Genom des Neandertalers zu entschlüsseln. Das Ergebnis hat die Wissenschaft überrascht: Die Neandertaler sind gar nicht völlig verschwunden! Etwas von ihnen lebt weiter – und zwar in uns.

Suche nach den richtigen Knochen

Knochen werden mit einem Bohrer angebohrt
In uralten Knochen können noch Reste von Neandertalererbgut stecken | Bild: WDR

Das komplette Erbgut einer ausgestorbenen Art zu analysieren, galt noch vor wenigen Jahren als unmögliches Unterfangen. In mehreren Schritten muss der Träger der Erbinformation, die DNA, aus den alten Knochen gewonnen werden. Doch nur etwa fünf Prozent der DNA, die sich in einem alten Knochen findet, gehörte wirklich einmal einem Neandertaler. Der Rest, also 95 Prozent, stammt von heutigen Menschen, die den Knochen angefasst haben. Oder von Mikroorganismen, die sich im Laufe der Jahrtausende dort ansiedelten. Als Glücksfall erwies sich der Fund in einer kroatischen Höhle. Die hier entdeckten Neandertalerknochen waren besonders gut geeignet für die genetische Untersuchung, sie enthielten relativ wenig fremde DNA.

400 Milligramm statt 20 Kilogramm

Eine Wissenschaftler arbeitet an der Dekodierung des Erbguts
Das Erbgut der Neandertaler wird entschlüsselt. | Bild: WDR

"Es ging im ganzen Projekt ständig hoch und runter", erinnert sich Johannes Krause. "Wir hatten nur einige wenige Knochen und wir haben damals berechnet, wir bräuchten 20 Kilogramm. Das war natürlich absolut utopisch. Es ist schwierig, einen Kurator aus einem Museum zu überzeugen, dass er einem einen ganzen Schädel gibt, den man dann mit einem Mörser zerkleinern kann. Wir mussten also die einzelnen Schritte, wie man die DNA aufbereiten kann, verbessern." Und das gelingt dem Team aus Mikrobiologen, Genetikern, Biochemikern und Informatikern tatsächlich. Sie verbessern die Verfahren, wie sie das in winzige Schnipsel zerfallene Genom sinnvoll zusammenfügen können. Computerprogramme helfen, die Daten zu verwalten. Zudem gibt es enorme technische Fortschritte. Neue Maschinen können inzwischen Millionen von DNA-Sequenzen in kürzester Zeit entziffern. Nach vielen Jahren Arbeit am Neandertaler-Erbgut ist die Sensation geschafft: Das erste Genom eines ausgestorbenen Frühmenschen ist entschlüsselt. Und statt der errechneten 20 Kilogramm haben die Forscher nur 400 Milligramm Knochenmaterial verbraucht.

Der Neandertaler in uns

Neandertalermann mit moderner Frau
Moderne Menschen und Neandertaler haben gemeinsame Nachkommen gezeugt. | Bild: WDR

Eine Frage interessierte die Forscher besonders: Haben moderne Menschen und Neandertaler gemeinsame Nachkommen gezeugt? Bisherige Untersuchungen hatten dafür nie Anzeichen erbracht, und eigentlich waren viele Wissenschaftler der Meinung, dass es keine Vermischung gegeben hat. Die Entschlüsselung des kompletten Neandertaler-Erbguts eröffnet aber nun völlig neue Möglichkeiten. Die Forscher vergleichen das Genom des Neandertalers mit dem von heute lebenden Menschen aus verschiedenen Erdteilen: aus Europa, Asien und Afrika. Sie wollen feststellen, wie nah sie mit dem Neandertaler verwandt sind.

Das Ergebnis ist eine Überraschung: Europäer und Asiaten sind mit dem Neandertaler näher verwandt als die Afrikaner. Bis zu vier Prozent der Gene der Nichtafrikaner stammen vom Neandertaler. Die einzige Erklärung dafür: Die Vorfahren von Europäern und Asiaten hatten Sex mit den Neandertalern und sie haben Nachkommen gezeugt.

Schauplatz Mittlerer Osten

Die Leipziger Wissenschaftler vermuten, dass diese Vermischung schon sehr früh passiert ist, und zwar im Mittleren Osten. Man weiß, dass hier bereits vor 100.000 Jahren moderne Menschen gelebt haben, und auch von Neandertalern gibt es Funde. Möglicherweise sind sich dort die beiden Menschenformen näher gekommen. Später dann bevölkerten unsere Vorfahren ganz Europa und Asien, die Gene des Neandertalers trugen sie fortan mit sich. In unserem Erbgut sind sie heute noch nachzuweisen. Ein bisschen vom Neandertaler steckt also immer noch in uns.

Autorin: Eva Schultes (WDR)

Stand: 16.09.2015 14:21 Uhr

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