So., 17.04.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die Brille im Auge
Alles verschwommen
Jacqueline ist extrem kurzsichtig. Ohne Brille kann sie keine zwei Meter weit sehen. Alles in größerer Distanz ist so unscharf und verschwommen, dass sie nichts erkennt. Ihre Brillengläser und Kontaktlinsen haben einen Brechungsindex von -8 und -9 Dioptrien. Mit deren Hilfe kann sie zwar scharf sehen, dennoch kommt sie nicht mit ihnen klar: "Mit einer Brille ist es natürlich immer nervig. Wenn's regnet hat man Regentropfen drauf, dann beschlägt sie ständig. Und mit der Kontaktlinse hab ich immer mehr Probleme bekommen. Von heut auf morgen hatte ich eine Bindehautentzündung nach der anderen. Das war für mich der Punkt, wo ich gesagt hab, ich möcht nicht mehr, ich möchte endlich richtig sehen."
Lasik statt Brille?
Viele Patienten, die Brille oder Kontaktlinse los werden wollen, lassen ihre Sehschwäche per Laser korrigieren. Bei dem als Lasik bezeichneten Verfahren werden oberflächliche Anteile der durchsichtigen Hornhaut punktgenau verdampft. Der Laser modelliert dabei sozusagen eine Art zweite Linse in die Hornhaut, die den Sehfehler ausgleicht. Das Verfahren eignet sich aber nur zur Korrektur von Fehlsichtigkeiten bis circa sieben bis acht Dioptrien. Die Hornhaut muss zudem dick genug sein, um eine korrigierende Linsenform "hinein zu schleifen". Für Jacqueline kommt Lasik wegen ihrer extremen Kurzsichtigkeit nicht in Frage.
Intraokulare Linse
Auf ihrer Suche nach Alternativen stößt sie auf ein Verfahren, das Professor Michael Knorz von der Uniklinik Mannheim in Deutschland eingeführt hat. Die sogenannte Intraokularlinse. Dabei handelt es sich um eine circa sechs Millimeter große Linse aus weichem Kunststoff, die ins Augeninnere eingesetzt wird. Und zwar direkt vor die Pupille, in die sogenannte vordere Augenkammer. Das ist die kleine Kuppel zwischen der Innenseite der durchsichtigen Hornhaut und der farbigen Regenbogenhaut. Die Linse korrigiert Kurzsichtigkeiten von -6 bis -16,5 Dioptrien. Knorz hat Jacqueline untersucht und die Tiefe ihrer Augenkammern vermessen. 3,5 Millimeter sind mindestens notwendig, damit die Linse genug Platz hat und nirgendwo scheuert. Bei Jacqueline sind es 3,9 Millimeter.
Operativer Eingriff
Die Linse ist rund und hat vier tentakelartige Auswüchse an den Seiten. Diese Tentakel halten das Implantat später dauerhaft in der richtigen Position. Die Operation dauert nur fünf bis zehn Minuten. Jacqueline bekommt eine Beruhigungstablette und eine örtliche Betäubung durch Augentropfen. Dann liegt sie auf dem OP Tisch. Professor Knorz schiebt die Linse zunächst in eine mit Gel gefüllte Spezialpipette. Dabei rollt sich die Linse im Inneren der Pipette auf knapp zwei Millimeter Durchmesser zusammen. Anschließend schneidet der Arzt am Rand einen kleinen Schlitz in die Augenkammer. Durch diese Öffnung schiebt er die Spitze der Pipette und "injiziert" die Linse. Das elastische Implantat entrollt sich im Auge von selbst. Dann positioniert Michael Knorz die Intraokularlinse noch und die Operation ist vorbei. Jacqueline kann direkt nach dem Eingriff die Uhr im OP Saal lesen. Zwar verschwommen, aber das wird von Minute zu Minute besser.
Sensible Strukturen
Die Intraokular-Linse ist nicht unumstritten. Professor Gisbert Richard von der Uniklinik Hamburg warnt vor den Risiken. Denn das Implantat sitzt nahe an hochsensiblen Schichten im Augeninneren. Besonders empfindlich: die Innenseite der Hornhaut, die die Kuppel der Augenkammer bildet. Sie ist mit extrem sensiblen Zellen ausgekleidet, den sogenannten Endothelzellen. Die versorgen die Hornhaut, da diese nicht durchblutet wird. Kommt ein Fremdkörper wie die Intraokularlinse den empfindlichen Endothelzellen zu nahe, etwa weil der Patient sich die Augen reibt und dabei die Innenseite der Hornhaut gegen das Implantat drückt, können die Endothelzellen beschädigt werden. Das kann dazu führen, dass die Hornhaut nicht mehr optimal versorgt wird. Sie kann sich dadurch allmählich eintrüben. Zwar verliert jeder Mensch im Laufe seines Lebens Endothelzellen, aber ein Fremdkörper wie das Implantat kann diesen Prozess beschleunigen. Das ist das Risiko, über das der Arzt den Patienten aufklären muss.
Durchblick ohne Brille
Jacqueline kann bereits einen Tag nach der OP perfekt sehen. Ihre nervige Brille und die störenden Kontaktlinsen ist sie los. Die implantierten Linsen bedeuten für sie ein Stück mehr Lebensqualität. Das mit ihnen verbundene Risiko nimmt sie in Kauf.
Autor: Björn Platz (NDR)
Stand: 30.10.2015 13:58 Uhr