So., 20.03.11 | 17:05 Uhr
Das Erste
Die Gorleben-Alternative
Wegen der Erdbeben-Katastrophe in Japan streiten Parteien und Umweltorganisationen in Deutschland wieder heftig über die Sicherheit der Atomkraftwerke. Dabei wird ein zentrales Thema oftmals vernachlässigt: Im Inneren der zurzeit siebzehn aktiven deutschen Reaktoren entsteht täglich neuer, gefährlicher Atommüll, für dessen Entsorgung es noch immer keine Lösung gibt. Die Kühlbecken der Reaktoren sind bestückt mit tonnenschweren, hochradioaktiven Brennelementen, die auch dann noch weiter strahlen, wenn sie längst abgebrannt sind. Es wird rund eine Million Jahre dauern, bis ihre Radioaktivität auf ein relativ harmloses Maß gesunken ist – ein Zeitraum, der jede menschliche Vorstellungskraft sprengt.
Zeitbombe Zwischenlager
Bisher wird der hochradioaktive Atommüll in so genannte Castor-Behälter verpackt und in Zwischenlagern untergebracht. An jedem Atomkraftwerk steht inzwischen eine solche Betonhalle, um Castor-Transporte quer durch Deutschland zu vermeiden. In den Zwischenlagern in Gorleben und Ahaus kommen nur noch die Reste aus Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien an: Castor-Behälter mit Glaskokillen, in denen hochradioaktive Abfälle eingeschmolzen sind und die ebenfalls für rund eine Million Jahre strahlen. Bisher lagern insgesamt über 13.000 Tonnen hochradioaktiver Atommüll in den deutschen Zwischenlagern. Bis zum Ende aller Laufzeiten könnten es bis zu 22.000 Tonnen sein. Dabei sind die Zwischenlager tickende Zeitbomben, denn sie sind nur für einen sicheren Betrieb von vierzig Jahren ausgelegt. Lediglich Wind und Wetter halten sie von den Castor-Behältern fern – bieten aber kaum Schutz vor Kriegen, Großbränden oder Terroranschlägen.
Gorleben: ein geeignetes Endlager?
Zuständige Experten und sogar Atomkraft-Kritiker sind sich einig: Der Müll muss so schnell wie möglich unter die Erde gebracht werden. An einen Ort, der so sicher ist, dass aus ihm eine Million Jahre lang keine Radioaktivität austreten kann. Seit Herbst 2010 untersuchen Geologen deshalb wieder den Salzstock von Gorleben. Unter Aufsicht des Bundesamts für Strahlenschutz, so hat es die schwarz-gelbe Bundesregierung beschlossen. Zuvor waren die Arbeiten hier zehn Jahre lang unterbrochen gewesen. Nun bohren die Forscher 820 Meter tief unter der Erde neue Tunnel auf und führen Tests durch. Für ein Endlager in Gorleben spricht bisher, dass Risse im Salz sich von selbst abdichten. Außerdem hat sich der dreißig Kilometer lange Salzstock seit Jahrmillionen kaum verändert, auch Grundwasser ist in dieser Zeit nicht eingetreten.
Doch Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) haben im und unter dem Salzstock kleine Gasvorkommen entdeckt – sowie Erdöl, das an einigen Stellen aus dem Salz quillt. Sollte sich noch mehr solche Vorkommen finden und stünden sie in Kontakt mit der Umgebung des Salzstocks, könnte es das Aus für Gorleben bedeuten. Ein anderes mögliches Problem sind so genannte Anhydrit-Schichten: ein poröses Salzgestein, das möglicherweise künftig Grundwasser in den Salzstock leiten könnte. Ob Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht, wird daher frühestens in etwa fünfzehn Jahren feststehen.
Alternativen zu Gorleben: Es gibt sie!
Trotz der Unsicherheiten – und trotz massiver Proteste, die die Region im östlichen Niedersachsen seit über dreißig Jahren in Atem halten – lassen Politiker einzig und allein Gorleben als Endlager erkunden. Dabei kennen Volkmar Bräuer und seine Kollegen an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover längst Alternativen. Schon 1994 haben sie zunächst alle Salzstöcke in Deutschland unter die Lupe genommen. Ganz Norddeutschland ist durchzogen mit Salzstöcken, die nach der Austrocknung eines Urmeers vor rund 200 Millionen Jahren entstanden sind.
Die BGR-Forscher halten außer dem Salzstock in Gorleben vier weitere Salzstöcke für "untersuchungswürdig" für ein Endlager: Wahn und Zwischenahn bei Bremen, sowie Gülze-Sumte in Niedersachsen und Waddekath in Sachsen-Anhalt. Im Jahr 2007 haben sie außerdem Tonschichten in ganz Deutschland untersucht, indem sie Daten der Öl- und Gasindustrie mit neuesten Messergebnissen kombinierten. Ihr Ergebnis: Sowohl in Nord- als auch in Süddeutschland gibt es zahlreiche Regionen, die für ein Endlager geologisch in Frage kommen. Zonen, in denen Erdbeben oder Vulkanausbrüche drohen könnten, haben sie dabei ausgeschlossen. Die Karten der BGR wurden mit Steuergeldern finanziert und liegen der Bundesregierung seit Jahren vor – doch bisher dürfen die Geologen trotzdem keine anderen Orte als Gorleben untersuchen.
Zur Endlagerforschung in die Schweiz
Regelmäßig fahren die Forscher der BGR ins Schweizer Juragebirge, in ein Labor, das hierzulande kaum jemand kennt. Im Inneren des Berges Mont Terri arbeiten sie sich in hundert Meter dicke Tonschichten vor, die sich hier vor langer Zeit mit dem Gebirge aufgefaltet haben. So können sie das gleiche Gestein untersuchen, das auch in Süddeutschland tief im Boden liegt: so genannter Opalinuston. Die Arbeit ist Teil eines internationalen Forschungsprojekts mit Experten aus acht Ländern. Im Unterschied zu Gorleben soll im Mont Terri niemals Atommüll gelagert werden, es dient nur als Testlabor. Seit über zehn Jahren entnehmen die Mitarbeiter der BGR dem Berg immer neue Bohrkerne und vergleichen das Tongestein mit dem, was sie über Salz wissen. Sie finden heraus, dass Ton für ein Atommüll-Endlager sowohl Vor- als auch Nachteile hat. Zum Beispiel ist Ton nicht wasserlöslich, ein Vorteil. Ähnlich wie Salz dichtet auch Ton Risse nach und nach wieder ab. Doch die Hitze des Atommülls leitet Ton nicht so gut ab. Und ein Bergwerk muss mit höherem Aufwand errichtet werden, da Tunnel in Tongestein nicht von allein offen halten. Grundsätzlich jedoch halten die Forscher ein Endlager in Ton für genau so möglich wie in Salz.
Die Bundesregierung verspielt wertvolle Zeit
Die Wissenschaftler haben alles vorbereitet, um die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Deutschland neu zu beginnen. Gorleben könnte mit mindestens einem weiteren Standort verglichen werden. Es wäre dringend nötig, denn nur so ließe sich der Streit um den Atommüll lösen, meinen die Experten. Ohne einen wirklich „ergebnisoffenen“ Vergleich wird Gorleben auch in Zukunft weiter auf Widerstand stoßen, egal ob der Salzstock geeignet ist oder nicht. In den vielen Jahren seit Vorlage der Karten durch die BGR hat die Bundesregierung wertvolle Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Denn von den vierzig Jahren, für die die Zwischenlager ausgelegt sind, sind schon fünfzehn abgelaufen. Und während sich die Endlagersuche weiter hinauszögert, wird der gefährlichste Stoff, den die Menschheit je produziert hat, zu einer Bedrohung für uns alle.
Autor: Sarah Zierul (WDR)
Stand: 30.07.2015 16:15 Uhr