So., 07.08.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die Krabbenkrise
Trotz voller Meere - kein Kutter unterwegs
Im Mai dieses Jahres war es ruhig in den Krabbenfischer-Häfen entlang der Nordseeküste. Von Holland über Deutschland bis hoch nach Dänemark streikten die Krabbenfischer. Nicht ein Kutter fuhr, und das zur besten Fangzeit. Zum ersten Mal streikten Fischer gleichzeitig in drei Ländern.
Nach langer Winterpause fuhren die Fischer im April zunächst hinaus und fischten erfolgreich. Über die vollen Netze aber freuten sie sich zu früh: Als sie ihren Fang den Händlern anboten, da zahlten die nur noch knapp über 1,50 Euro pro Kilogramm Krabben. Gerold Conradi, der Sprecher der Krabbenfischer von Greetsiel, fasst das Drama so zusammen: "So zahlen wir drauf! Da sind die Kosten für Diesel und Versicherung sowie für die Arbeitszeit höher als der Erlös." Also blieben die Fischer in den Häfen, um den Handel unter Druck zu setzen.
Der Krabbenkompromiss - kein Durchbruch
Am Ende einigte man sich auf einen Kompromiss: Der Kilopreis wurde schrittweise auf drei Euro erhöht. Und die Fischer erlegten sich eine Fangbeschränkung von 1.500 Kilogramm pro Kutter und Woche auf.
Nach dem Ende des Streiks nimmt uns Gerold Conradi mit auf eine seiner ersten Fahrten, und das Problem wird in seinem ganzen Ausmaß deutlich. Die Krabbenfischer kämpfen um ihr Überleben. Nicht nur wegen der Preise: So soll im besten Fanggebiet vor Borkum das Kabel für einen Off-Shore Windpark verlegt werden. Während der Bauarbeiten müssen die Fischer ihre traditionellen Fanggebiete verlassen. Aber viele der älteren Kutter können nicht viel weiter hinaus auf die Nordsee. Das heißt, sie können nichts fangen und eine Entschädigung bekommen sie auch nicht. Zudem gibt es Pläne, das Schleppnetzfischen im Naturpark Wattenmeer ganz zu verbieten. Die Netze rumpeln über den Meeresboden und sollen das Ökosystem zerstören. Zumindest die Krabben aber zeigen sich unbeeindruckt.
Die Krabbenschwemme - keine gute Nachricht
Während der Fangfahrt holt Gerold Conradi ein volles Netz nach dem anderen an Bord. Es gibt Krabben im Überfluss in der Nordsee, erzählt er. Das Wasser im Wattenmeer hat sich um etwa ein Grad Celsius erwärmt. Das habe die Fische, die natürlichen Feinde der Krabben, weiter nach Norden getrieben. Aber den Krabben macht das wärmere Wasser nichts aus und sie vermehren sich munter. Der Mensch, sagt der Fischer Gerold Conradi, sei der einzig verbliebene Feind der Krabben. Und der schaffe es nicht, die Population zu verringern.
Das Paradoxe: Der Krabbenüberfluss ist Teil des Problems der Fischer. Denn je mehr sie fangen, desto weniger ist es wert. Das alte Problem von Angebot und Nachfrage. Zurück an Land drücken die Händler die Preise.
Der Krabbenmarkt - keine Gnade
Der Krabbenhandel ist zu fast 90 Prozent in den Händen der Firmen Heiploeg und Klaas Puul aus Holland. Nachdem die EU die Hygienevorschriften für das Krabbenschälen verschärft hatte, haben die Holländer Schälstationen im Billiglohnland Marokko aufgebaut. Fast alle deutschen Krabben werden jetzt in Marokko, zum kleineren Teil in Polen geschält. Hinzu kommt, dass die beiden Großhändler sich gegenseitig unterboten haben, um einen Liefervertrag mit einem großen deutschen Discounter zu bekommen. Der niedrige Preis sollte dann an die Fischer weitergegeben werden - und das führte zum Streik.
Die Krabbenpulmaschine - keine Lösung
In Friedrichskoog in Schleswig Holstein trotzt eine der wenigen Krabbenpulmaschinen Deutschlands dem holländische Duopol. Ihr Besitzer Alfred Urthel ist stolz auf seine Anlage und will weitere Maschinen aufstellen. Seine Krabben sind fangfrisch und nicht eine Woche alt, wie die aus Marokko, wenn sie in den Handel kommen. Diesen Vorteil muss der Kunde allerdings auch zu schätzen wissen, denn Alfred Urthel räumt ein: Er ist mit seiner Krabbenpulmaschine teurer als die in Marokko geschälten Krabben, trotz der Transportkosten. Und der Preiskampf auf dem Lebensmittelmarkt ist gnadenlos.
Die Krabbenfischer - keine Zukunft?
Auf der Nordsee fischen Gerold Conradi und seine Kollegen gegen ihren Untergang an. Sie müssen die Verluste aus den Streikwochen wieder ausgleichen. Doch wenn sie zu viel fangen, verderben sie die Preise wieder. Eine fast ausweglose Situation. Gerold Conradi und seine Kollegen haben eine düstere Prognose gestellt: Wenn kein Wunder geschieht, sind am Ende dieses Jahres bis zu 25 Prozent der Krabbenfischer pleite und müssen sich einen anderen Beruf suchen.
Autor: Ralf Hoogestraat (NDR)
Stand: 30.10.2015 14:11 Uhr