So., 07.08.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die Pangasius-Lüge
Fisch ist gesund. Das hat der deutsche Verbraucher über Jahre gelernt. Fast 16 Kilo verzehrt er mittlerweile pro Jahr. Einer der beliebtesten Speisefische der vergangenen Jahre ist der Pangasius. Vor zehn Jahren in Europa noch praktisch unbekannt, vertilgen allein die Deutschen inzwischen jährlich 40.000 Tonnen des asiatischen Glattwelses.
Pangasius, das klingt exotisch, nach unberührter Natur, nach weiten Strömen, aus denen Fischer in traditioneller Netzfangtechnik die Welse an Land holen. Mit diesem Klischee wirbt zumindest die Pangasius-Industrie. Doch unter welchen Bedingungen wird der Fisch wirklich aufgezogen? Und zu welchem Preis für Mensch und Umwelt?
Spurensuche am Mekong
Rund 90 Prozent des weltweit gehandelten Pangasius stammen aus dem Mekong-Delta im Süden Vietnams. Gemeinsam mit der Biologin Catherine Zucco vom WWF machen wir uns auf eine Reise in die Region. Die Provinzhauptstadt Long Xuyen gilt als Zentrum der Pangasius-Industrie. Eine erste Fahrt auf dem Fluss zeigt, dass sich hier Fischfarm an Fischfarm reiht. Denn anders als die Werbung suggeriert, wird der Pangasius nicht aus dem Mekong gefangen, sondern in Aquakulturen gezüchtet und schlachtreif gemästet.
Unsere Versuche, einen der Betriebe zu besuchen, scheitern zunächst. Dass wir nicht willkommen sein würden, hatte sich schon bei unseren ersten Kontaktaufnahmen von Deutschland aus abgezeichnet. Erst ein lokaler Kontaktmann schafft es schließlich, uns Zugang zu einer Fischfarm zu verschaffen - einem Vorzeigebetrieb, wie es heißt.
Medikamentencocktails im Futter
Die Anlage wirkt gepflegt. Das Wasser macht einen sauberen Eindruck, auch wenn es von Fischen nur so wimmelt: 20 Welse pro Kubikmeter Wasser drängen sich in den Teichen. Das ist wenig, erfahren wir. Woanders sollen es bis zu 60 sein. Doch schon bei 20 ist die Dichte so hoch, dass Krankheitserreger den Bestand leicht gefährden können. Als Gegenmaßnahme werden Medikamente ins Futter gemischt. Vorsichtshalber.
Wie viele verschiedene Medikamente in Vietnam eingesetzt werden, will WWF-Biologin Catherine wissen. Viele, sagt Kontaktmann Antoine, allein etwa 50 Antibiotika.
Mit einer gewissen Hartnäckigkeit gelingt es Catherine Zucco, sich Zutritt zum Medikamenten- und Chemikalienlager zu verschaffen. Und tatsächlich, dort lagern säckeweise Medikamente und Gifte wie Algenkiller und Desinfektionsmittel für die Zuchtbecken. Wenn es so in einem Vorzeigebetrieb zugeht, wie mag es dann erst in weniger gepflegten Anlagen aussehen?
Verlierer und andere kleine Fische
Durch große Beharrlichkeit überzeugt Antoine schließlich einen der lokalen Bauern, uns seine Fischfarm zu zeigen. Viele kleine Farmer haben Kredite von den großen Fischverarbeitungsbetrieben bekommen, um damit ihre Zucht aufzubauen. Im Gegenzug müssen sie nun billigen Fisch liefern. Doch viele übernehmen sich. Rund 70 Prozent gehen pleite, sagt Antoine.
Auch der von uns besuchte Kleinbetrieb vermengt das Futter mit Medikamenten. Doch anders als im Vorzeigebetrieb wissen die Arbeiter offensichtlich nicht, wie das Futter professionell ausgebracht wird. Von einem Boot aus kippen sie es säckeweise ins Wasser. Die Folge: Ein Teil davon sinkt direkt zu Boden und verrottet dort. Der Teich ist eine dreckbraune Suppe, die Ränder mit schmutzigem Algenschaum verklebt. In Ufernähe dümpeln vereinzelt tote Fische. Der Betrieb ist einer der Zulieferer der Nam Viet Corporation, kurz Navico, die unter anderem auch den deutschen Markt beliefert.
Schäden für Mensch und Umwelt
Zahllose dieser kleinen Farmen säumen die Ufer des Mekong. Und sie alle leiten ihre Abwässer direkt und ungeklärt in den Fluss. "Der ganze Dreck, der hier produziert wird", sagt Catherine Zucco, "also der Fischkot, die Chemikalien, die Krankheitserreger, alles kann frei in den Fluss rein fließen." Nicht nur schädlich für die Flussnatur und die dort lebende Tierwelt. Nein, vor allem auch für die Armen, deren Behausungen flussabwärts liegen. Denn der Fluss ist ihre Haupttrinkwasserquelle.
Und auch die Produktion des Fischfutters ist umweltgefährdend: Der Pangasius wird in erster Linie mit einer Mischung aus Soja und Fischmehl gemästet. Für das Fischmehl wird alles verarbeitet, was den lokalen Fischern in die Netze gerät: Vor allem noch nicht geschlechtsreife Jungfische, so dass WWF-Expertin. Catherine Zucco befürchtet, dass die Bestände bestimmter Fischarten im Südchinesischen Meer bald drastisch zurück gehen werden.
Tod als Erlösung
Am "Erntetag" kehren wir zu unserem Vorzeigebetrieb zurück. Alle zwei Wochen werden die Welse geerntet, denn von "Fischfang" kann man nicht direkt sprechen: Mit Eimern werden die Fische in große Tragekörbe geschaufelt. Da passen bis zu hundert Kilo Pangasius rein - die zuunterst liegenden Tiere werden förmlich erdrückt. Doch nicht genug damit: Die Fische werden nicht vor Ort getötet, sondern in den Tragekörben ohne Wasser zu einem Transportschiff gefahren, ständig dem Erstickungstod nah.
Der Rumpf des Transportschiffs ist ein schwimmender Käfig, in den die Fische aus den Tragekörben gekippt werden. Wie viele Fische dort hinein gequetscht werden, will Catherine wissen. Rund 20 Tonnen, schätzt Antoine. Der Rumpf ist zum Bersten gefüllt.
Erst am nächsten Tag erreichen Schiff und Fische ihr Ziel: den Schlachtbetrieb. Nicht alle Fische haben den Transport überstanden. Die noch Lebenden erhalten den Todesstich und landen zum Ausbluten in einem vom Blut tiefrot gefärbten Becken.
Aufgepepptes Billigfilet
Im Akkord wird das zarte, grätenfreie Filet heraus getrennt. Alles andere landet im Müll. Die Filets werden geputzt und dann in eine Art Waschmaschine gepackt. Doch nicht zur Reinigung... "Hier werden Phosphate und Zitronensäure beigemischt", erklärt Catherine Zucco. "Das ist typisch in der Lebensmittelindustrie. Phosphat bindet Wasser. Das heißt: Das Fischfilet wird aufgebläht und gewinnt dadurch bis zu 20 Prozent an Gewicht."
Klingt nach Verbrauchertäuschung, ist aber legal, wenn es auf der Verpackung deklariert wird. Überprüfungen durch ein unabhängiges Labor zeigten allerdings, dass das oft nicht der Fall ist. Im Vergleich zu "aus den fließenden Wassern des Mekong" aber nur eine kleine Lüge...
Nachtrag:
Als Folge des Besuchs kam es zu Verhandlungen der vietnamesischen Regierung und des WWF über die Umstellung der Produktionsmethoden. Die vietnamesische Seite verpflichtete sich, bis 2015 wenigstens 50 Prozent der Fischzucht auf nachhaltige Produktion umzustellen.
Autoren: Michael Höft, Thomas Wagner (NDR)
Stand: 26.02.2014 09:17 Uhr