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Die skurrilsten Selbstversuche

Selbstversuche in der Forschung

Manchmal geht es nicht anders und ein Forscher muss sich selbst zum Testobjekt machen. Dann zum Beispiel, wenn das Leben des Probanden in Gefahr geraten kann. Oder der Experimentator auf das Erfahren der eigenen Eindrücke angewiesen ist, um seine Forschung voranzutreiben. Zum Selbstversuch gehören also eine Menge Mut und Verantwortungsbewusstsein. Am Ende winken dann wissenschaftliche Erkenntnisse, die oft erstaunlichen Nutzen haben.

John Paul Stapp (*1910, †1999)

John Paul Stapp rast auf dem Raketenschlitten in die Bremsvorrichtung
Mit über 1.000 Stundenkilometern durch die Wüste | Bild: US Air Force

Der Militärarzt wollte wissen: Kann ein Mensch den Ausstieg aus einem Überschalljet überleben? Um das herauszufinden, lässt Colonel John Stapp in den 1940er Jahren immer schnellere Raketenschlitten bauen. Das sind Schienenfahrzeuge mit Raketenantrieb, die für Geschwindigkeitsversuche benutzt werden. Am 10. Dezember 1954 wagt er sein letztes Experiment.

Noch Jahrzehnte später erinnert er sich: "Ich war schon fünf Mal die ganze Prozedur durchgegangen und dachte dann nur: Bring‘s hinter dich." Der Raketenschlitten "Sonic Wind 1" beschleunigt Stapp auf über 1.000 Kilometer pro Stunde. So schnell wie kein Mensch zuvor an Land. Beim Bremsmanöver wirkt das 42fache der normalen Erdanziehungskraft auf seinen Körper. Es ist, als ob er mit 160 Kilometer pro Stunde gegen eine Betonwand rast. Stapp überlebt ohne bleibende Schäden. Seine Selbstversuche revolutionierten die Sicherheitstechnik in der Luftfahrt. So wurden zum Beispiel die Sicherheitsgurte für wesentlich höhere Belastungen ausgelegt.

Werner Forßmann (*1904, †1979)

Forßmann schiebt sich den Katheter selbst in die Armvene
Forßmann beim Selbstversuch (Szene nachgestellt) | Bild: MDR

Kann man mit einem Katheter zum schlagenden Herzen vordringen, um dort gegebenenfalls zu operieren? Diese Frage trieb den jungen Arzt Werner Forßmann an. Da ihm Patientenversuche verweigert wurden, schob er sich im Frühjahr 1929 selbst den dünnen Gummischlauch in die Armvene: "Da hab ich mich hinter den Schirm gestellt und da hat mir eine Schwester den Spiegel vor den Durchleuchtungsschirm gehalten. Und ich konnte sehen, wo die Spitze des Katheters lag." So beschreibt Forßmann sein Vorgehen später. Eine mutige Tat, doch damals kostete ihn der Selbstversuch den Job. Auch heute noch wird Forßmanns mangelhafte Vorbereitung kritisiert.

Forßmann wandte sich damals der Urologie zu und der Versuch geriet in Vergessenheit. Erst Jahre später griffen die Mediziner Cournand und Richards Forßmann Erkenntnisse auf. Gemeinsam erhielten sie 1956 den Nobelpreis für Medizin. Forßmann hatte bewiesen, dass es möglich ist, mittels Herzkatheter zu operieren.

Barry Marshall (*1951)

Was lässt Magengeschwüre entstehen? Der australische Internist Barry Marshall ist Anfang der 1980er Jahre auf einer heißen Spur. Sind vielleicht Bakterien der Auslöser? Ein Pathologe hatte sie in der Magenschleimhaut von Patienten entdeckt. Doch für den Zusammenhang zwischen Magenerkrankungen und den Bakterien fehlt der Beweis. Deshalb macht Marshall einen simplen, jedoch unangenehmen Selbstversuch.
Er trinkt 1984 einen Bakteriencocktail und bekommt tatsächlich eine schwere Magenschleimhautentzündung – oft die Vorstufe eines Geschwürs. Marshalls Frau ist entsetzt: "Ich sagte zu ihr: 'Ich hab die Bakterien genommen und bin krank geworden' - und sie sagte nur: 'Was?'“

Zum Glück lässt sich Marshalls Gastritis durch die Einnahme von Antibiotika heilen – denn die Antibiotika töten die Bakterien wieder ab. Also ein zusätzlicher Beweis dafür, dass sie tatsächlich für die Entzündung verantwortlich waren. 2005 wurde Barry Marshall für seinen Selbstversuch belohnt: mit dem Nobelpreis für Medizin.

Joseph Kittinger (*1928)

Joseph Kittinger fliegt kurz nach dem Verlassen der Ballonkapsel der Erde entgegen.
Absprung aus über 31 Kilometern Höhe | Bild: US Air Force

Ist es möglich, mit dem Fallschirm zur Erde zurückzukehren, wenn die Rakete versagt? Um das herauszufinden, will der Testpilot Joseph Kittinger von der Grenze der Erdatmosphäre mit dem Fallschirm abspringen. Am 16. August 1960 bringt ihn der mit Helium gefüllte Ballon auf über 31 Kilometer Höhe. Es herrschen beinahe ein Vakuum und eine Temperatur von minus 70 Grad Celsius, als Kittinger die Kapsel verlässt.
Mit 988 Kilometern pro Stunde rast er der Erde entgegen. Ein Rekord, der bis heute ungebrochen ist. Ein Fallschirm stabilisiert seinen Flug. Nach viereinhalb Minuten erreicht er die Wolkendecke. Der Bremsfallschirm öffnet sich und Kittinger landet 14 Minuten später unbeschadet auf der Erde.

Kevin Warwick (*1954)

Können Mensch und Maschine eins werden? Sogenannte Cyborgs sind Maschinenmenschen und schon lange kein Science Fiction mehr: Der britische Wissenschaftler Kevin Warwick ist bereit, seine Gesundheit für die Forschung aufs Spiel zu setzen. 2002 lässt er sich einen Computerchip in den linken Arm einpflanzen. Der Chip sendet die Signale seiner Armnerven an einen Roboterarm und umgekehrt. Und das funktioniert auch über weite Distanzen. Fühlt die Roboterhand in England etwas mit den Fingerspitzen, kann Warwick in New York spüren, wie stark die Roboterhand zugreift. Mit dem Chip sind Warwick und der Roboterarm über den Atlantik hinweg verbunden. Doch das ist erst der Anfang. Den nächsten Chip will Warwick sich ins Gehirn pflanzen lassen.

Autor: Hilmar Liebsch (SWR)

Stand: 05.08.2013 09:31 Uhr

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