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Der Traum vom Fliegen

Zwei Männer stehen in Wingsuits an der Kante einer Felswand
Kurz vor dem Absprung | Bild: NDR

Die zwei Männer stehen am Abgrund. Hinter ihnen liegt ein Schneefeld, daneben erhebt sich das majestätische Felsmassiv der Eiger Nordwand. Bis ins Tal sind es 2.600 Meter Höhenunterschied. Sie sind hergekommen, um zu fliegen. Mit Spezialanzügen, bei denen sich zwischen Armen und Beinen Stoffflügel befinden. Wingsuit heißt diese Montur. Die Männer zählen gemeinsam bis drei, breiten die Arme aus und stürzen sich in die Tiefe.

Fliegen in einer Luftmatratze

Ein Springer in einem Wingsuit in der Luft
Die Flügel zwischen den Armen und den Beinen verlängern die Flugphase | Bild: NDR

Nach etwa 150 Metern werden aus fallenden Körpern plötzlich gewandte Flieger. Von oben sieht es fast so aus, als würde ein wagemutiger Pilot sein Flugzeug aus dem Sturzflug hochziehen und wieder auf Kurs bringen. Die beiden Männer fliegen jetzt wie menschliche Raketen vorwärts. Mirko Schmidt, Wingsuit-Pionier: "Wir haben hier bei diesen Wingsuits Flügel zwischen den Armen und den Beinen, und die befüllen sich im Fluge mit Luft. Das heißt, die haben hier Kammer innen drin und Einströmöffnungen und Ventile. Der Fahrwind pumpt sie prall auf. Dadurch haben sie genau dieselbe Form wie eine Flugzeugtragfläche. Das heißt, es entsteht ein Auftrieb, und der ermöglicht es uns sehr, sehr lange in der Luft zu bleiben, sehr weit zu fliegen vor allen Dingen und sehr langsam zu fallen."

Väter der Flugklamotte

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es wagemutige Männer, die mit selbstkonstruierten Flügelanzügen versuchten, die Lüfte zu erobern. Seit der Erfindung des Heißluftballons war der Mensch zumindest in der Lage, in große Höhen aufzusteigen. Erste Absprünge mit primitiven Fallschirmen hatten gezeigt, dass er auch im gebremsten Fall lebend zur Erde zurückkehren konnte. Folgerichtig tüftelten Visionäre an tragbaren Flügeln, die diesen Fall zum Flug werden lassen sollten. Oft mit tödlichem Ausgang. Im Februar 1912 reiste der österreichische Schneider Franz Reichelt nach Paris, um mit einem selbst entwickelten Flügelanzug aus Stoff vom Eiffelturm zu springen. Er schlug alle Bedenken in den Wind und stürzte sich schließlich vor den Augen der versammelten Presse aus 56 Metern Höhe hinab. Der Flug dauerte rund vier Sekunden, Geschwindigkeit beim Aufprall knapp 120 Kilometer pro Stunden, Einschlagtiefe im gefrorenen Boden 14 Zentimeter.

Trotz Reichelts tragischen Todes wurden die Flügelanzüge in den folgenden Jahrzehnten weiter entwickelt. Seine Nachfolger sprangen in wesentlich größerer Höhe aus Propellerflugzeugen und landeten kurz vor dem Boden mit dem Fallschirm. Der US Amerikaner Clem Sohn brachte es als "First Batman" zum Star diverser Flugshows. Er verdiente Zehntausende Dollars mit seinen Flügeln aus Baumwollstoff und Holzstreben bevor er 1937 auf der Pariser Air Show tödlich verunglückte. Sein Fallschirm hatte sich nicht geöffnet.
Zwischen 1920 und 1970 starben schätzungsweise 70 "Vogelmänner".

Batmans Erben

Der "Flügel"
Die Lufkammern der Flügel füllen sich beim Fall mit Luft | Bild: NDR

Auch heute noch ist Wingsuit Fliegen ein gefährlicher Sport. Doch die Flugeigenschaften der Anzüge haben sich enorm verbessert. Mittlerweile gibt es eine fundierte Ausbildung, die das Wingsuit-Fliegen sicherer macht. Mirko ist ein erfahrener Fallschirmspringer und Basejumper. Robert Pečnik könnte als einer der Väter des modernen Wingsuits bezeichnet werden. Er hat vor rund zehn Jahren mit einem Kollegen die ersten serientauglichen Flügelanzüge entwickelt. Testsprünge mit neuen Suits machen Robert und Mirko zunächst aus dem Flugzeug. Erst wenn sie die Anzüge sicher beherrschen, wagen sie sich an Türme, Brücken oder steile Berge heran.

Gleitwinkel 3:1 – Mehr Fliegen als Fallen

Zwei Springer
Über 2.000 Meter ist die Flugstrecke lang | Bild: NDR

Jeder Sprung wird per GPS dokumentiert. So lässt sich die exakte Flugroute rekonstruieren. Ein spezielles Computerprogramm errechnet die Beschleunigung und den Auftrieb, den die Piloten mit ihren Anzügen in der Luft erreicht haben. Die Daten zeigen: Die Vogelmänner haben schon einen Gleitwinkel von drei zu eins. Das bedeutet drei Meter Vorwärtsflug bei einem Meter Höhenverlust. In den 47 Sekunden Flugzeit haben sie eine Strecke von 2.372 Metern zurück gelegt.

Runter kommen sie alle

Ein Springer am Fallschirm
Die Landung erfolgt mit Hilfe eines Fallschirms | Bild: NDR

Zur Landung brauchen die tollkühnen Männer allerdings weiterhin einen Fallschirm. Auch bei verbesserten Gleitwinkeln ist eine Landung nur mit dem Flügelanzug utopisch. Schmidt: "Wir liegen ja in dem Wingsuit drin wie auf einer Luftmatratze. Nur dass wir in dem Flügel sind. Wir sind selber der Flügel. Und das heißt, wir kommen mit der Brust und dem Kinn zuerst auf. Und das kann der Körper nicht gut finden. Es gibt sicherlich Leute, die glauben, man könnte auf einem steilen Berg im Schnee das Ding irgendwie absetzten. Aber die Frage ist, ob das Landen wäre."

Deshalb ist dieser rasante Sport auch noch keine Massenbewegung geworden. Man benötigt neben einer gehörigen Portion Mut auch viel Erfahrung im Fallschirmspringen. Außerdem sind die meisten Absprungplätze in den Bergen nur mit dem Hubschrauber oder nach stundenlanger Wanderung zu erreichen. Ein hoher Aufwand für eine knappe Minute Flugzeit.

Literatur

Birdmen, Batmen, and Skyflyers: Wingsuits and the Pioneers Who Flew in Them, Fell in Them, and Perfected Them

Michael Abrams

ISBN 978-1400054916 (englisch)

Stand: 24.09.2012 11:22 Uhr

Sendetermin

So., 23.01.11 | 17:03 Uhr
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