So., 30.10.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Ein Schmetterling auf Höllentour
Der Monarchfalter ist ein Wanderschmetterling: Jedes Jahr im Spätsommer unternehmen Millionen von Monarchfaltern eine Reise von Südkanada über die Vereinigten Staaten bis nach Mexiko – um dort im Bundesstaat Michoacán zu überwintern. Das Klima in den Bergen von Mexiko bietet den Schmetterlingen optimale Lebensbedingungen.
Experten befürchten, dass das Phänomen der Monarchfalterwanderung die kommenden 50 Jahre nicht überleben wird. Denn obwohl die Monarchfalter von den Menschen geliebt und verehrt werden, sind sie auf Dauer zu zerbrechlich für das, was der Mensch ihnen antut. Sie sind inzwischen zum Symbol für die Gefahr durch Genmais, Kahlschlag und Klimaveränderung geworden. Wie gefährdet sind sie wirklich: die wundervollen Wanderschmetterlinge, deren Massenwanderung zu den atemberaubendsten und schönsten Naturphänomen dieser Erde zählt?
Aufbruch: auf dem Highway der Schmetterlinge
Unsere Reise mit den Monarchfaltern beginnt, als in Südkanada die wilden Astern blühen. Die letzte Faltergeneration des Sommers ist aus ihren Puppen geschlüpft. Sie haben wesentlich stärkere Flügel als die Generationen davor und werden fast zehnmal so lange leben wie ihre Eltern, Großeltern und Ur-Großeltern. Sie haben Großes vor sich. Sobald die Tage kürzer werden, werden sie das riesige Gebiet östlich der Rocky Mountains verlassen und viele tausend Kilometer nach Süden fliegen, um Eis und Schnee zu entgehen. Insgesamt brauchen sie für die komplette Strecke rund acht Wochen. Und die Reise wird immer gefährlicher...
Um die großen Seen herum sammeln sie sich auf Landzungen, um sich noch einmal mit Nektar zu stärken, bevor sie den Flug entlang des Wassers antreten. Doch es gibt hier immer weniger Wildblumenwiesen. Städtische Zersiedelung, besonders in der Osthälfte des Landes, zerstört ihren Lebensraum. Straßenränder werden gemäht, Pestizide vernichten das Unkraut und nehmen den Tieren ihre Lebensgrundlage. Wo sollen sie sich nun mit Nektar für die weite Reise stärken?
Hunger, Hurrikane und Hitze
Viele Tausende Monarchfalter überfliegen Ende August den sogenannten Cornbelt. Amerikas größtes Getreideanbaugebiet ist eine Durststrecke für hungrige Monarchfalter. 90 Prozent des Landes wird landwirtschaftlich genutzt: nur Mais- und Sojabohnenfelder soweit das Auge reicht, keine Wildblumen... Die weitere Reise Richtung Süden fällt zusammen mit der Hurricane-Saison. Die Stürme werden immer häufiger und heftiger – eine Folge der Klimaveränderung. Wenn schlechtes Wetter die Reise der Falter verzögert, werden die Spätsommertage kürzer und die Temperaturen fallen. Viele Tiere schaffen es dann nicht rechtzeitig ins Winterquartier nach Mexiko und gehen ein.
Alle wandernden Falter müssen jetzt durch Texas und über die Grenze nach Mexiko. Die zunehmende Trockenheit, auch Folge des Klimawandels, ist ein Problem für die zarten Schmetterlinge – besonders in dem heißen Bundesstaat Texas. Monarchfalter brauchen genug Feuchtigkeit, sonst trocknen sie aus. Dieses Jahr hat die anhaltende Hitzewelle in den USA aber sogar die letzen kleinen Rinnsale und Sümpfe versiegen lassen.
Am Ziel und doch nicht in Sicherheit
Die „Seelen der Verstorbenen“ sind wieder zurück! So nennen die Indianer im mexikanischen Städtchen Zitácuaro die Falter, die auch dieses Jahr wieder pünktlich zu Allerheiligen eintreffen. Viele Millionen Flügelschläge erzeugen ein deutlich hörbares Rascheln. Bunte Schleier tanzen um die Indianer, die zum Friedhof pilgern, und hüllen ihre Gräber ein. Dann verziehen sich die Schmetterlingsschwärme in Richtung Berge und versammeln sich auf einer Fläche so groß wie zehn Fußballfelder. Wie ein gewaltiger Bienenschwarm bedecken die orangen Falter hier die Tannen und Fichten auf den 3.000 Meter hohen Bergen, so dass die Nadeln kaum noch zu sehen sind – und sogar die Äste unter dem Gewicht der Falter brechen.
Ohne Bäume droht der Tod!
Die Schmetterlinge schützen sich vor Wind und Kälte, indem sie eng zusammenrücken. Ursprünglich herrschten hier zum Überwintern paradiesische Bedingungen: Temperaturen leicht oberhalb des Gefrierpunktes verlangsamen bei den Insekten den Stoffwechsel, Nebel sorgt für die nötige Feuchtigkeit. Wenn tagsüber die Sonne durchbricht, erwachen die Falter aus ihrer Lethargie und flattern auf der Suche nach Nektar durch den Wald: Millionen orangene Punkte im "Wald der Schmetterlinge", ein faszinierendes Naturschauspiel voller Poesie. Aber die größte Gefahr für die Falter lauert hier in ihrer Winter-Zufluchtsstätte: die drohende Abholzung der Bergwälder. Der durch Kahlschlag ausgedünnte Wald kann die zarten Tiere nicht mehr wie früher vor Stürmen und Kälte schützen. Holz ist knapp in Mexiko, die Bevölkerung arm, Vorschriften helfen wenig. Auch in der Kernzone der Monarchreservate in Michoacán werden immer wieder Bäume geschlagen. Doch wenn das Überwinterungsgebiet weiter zerstört wird, bedeutet das ihr Aus. Erst letzen Winter sind hier viele Millionen Falter bei einem Kälteeinbruch erfroren. Es waren 60 Prozent der ganzen Population.
Das Spiel beginnt von vorn
Im März werden die Monarchfalter den langen beschwerlichen Rückflug antreten. Auf dem Weg werden sie Hochzeit halten und Eier ablegen. Die meisten Falter sterben dann unterwegs. Ihre Kinder setzen die nordwärts gerichtete Wanderung fort und sorgen ihrerseits für Nachkommen. So füllt sich allmählich gegen Sommer ganz Nordamerika mit den bunten "Sommervögeln", den "Seelen der Verstorbenen".
Doch die Reise mit den Schmetterlingen hat gezeigt, wie gefährdet sie sind. Und wie arm die Erde ohne dieses einzigartige Naturphänomen wäre…
Literatur
Chasing Monarchs
Robert Michael Pyle
Mariner Books, New York 1999
ISBN 0-395-82820-1
Autorin: Angela Graas (BR)
Stand: 03.11.2015 13:49 Uhr