So., 04.12.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Intelligente Fassaden
Mitten im österreichischen Linz steht eines der weltweit ersten Niedrigenergiehochhäuser: der 74 Meter hohe Power Tower des örtlichen Energieversorgers. Gut 300 Tonnen CO2 sollen hier im Vergleich zu ähnlichen Gebäuden gespart werden. Die Fassade trägt ihren Teil dazu bei: Obwohl sie zu zwei Dritteln aus Glas besteht, heizen sich die Innenräume nicht sonderlich auf - was vor allem an sonnigen Tagen in verglasten Bürobauten oftmals üblich ist. Mit der Konsequenz, dass die Klimaanlagen in normalen Bürogebäuden auf Hochtouren laufen und Energie verbrauchen.
Linz: der Power Tower
Beim Power Tower verhindern das die vollautomatischen Jalousien. Deren Lamellen sind so geriffelt, dass zwar das Licht durchkommt, die Wärmestrahlung aber reflektiert wird. So wird der Innenraum hell, ohne ihn gleichzeitig aufzuheizen. Da die Jalousien innerhalb der mehrfach verglasten Scheiben verlaufen, funktionieren sie bei jedem Wetter.
So viel automatische Energiesparkunst geht schnell auf Kosten der Mitarbeiter, die der Technik ausgeliefert sind. Doch es gibt ein Hintertürchen, so der Gebäudewart Franz Hinterreiter-Kern: "Die Steuerung ist vom Mitarbeiter beeinflussbar, wird aber innerhalb von einer Stunde wieder in den automatischen Status versetzt."
Dank der Jalousie werden gut 90 Prozent weniger Energie für die Kühlung aufgewendet. Die Westfassade des Turms erzeugt sogar Energie: Die Photovoltaik-Anlage produziert 42.000 Kilowattstunden pro Jahr. Die Fassade deckt so etwa sechs bis acht Prozent des Strombedarfs.
Zürich: Phasenwechselmaterial in der Fassade
Gut 600 Kilometer weiter westlich am Stadtrand von Zürich steht die Zentrale eines großen Gastronomiebetreibers. Das Bürohaus besteht vor allem aus Holz, Fenstern und gläsernen Fassadenelementen, die das Tageslicht in die Räume lassen. Auf eine Klimaanlage wurde ganz verzichtet. Das funktioniert dank einer speziellen Fassade, so der Ingenieur Simon Felsenstein von GlassX: "Wir haben in die Fassade ein spezielles Glas eingebaut, das Phasenwechselmaterial enthält. Das heißt: Obwohl Wärme von der Sonne hereinkommt und von den Menschen, die drinnen arbeiten, erwärmt sich das Haus nicht weiter als 26 Grad Celsius. Auf der anderen Seite: Im Winter muss ich das Haus überhaupt nicht heizen, sondern es genügt die Wärme, die von draußen durch die Sonne in das Haus hineinkommt." Gemeinsam mit der Körperwärme der Angestellten und der Abwärme der Technik reicht das für eine ausreichende Raumtemperatur.
Der Trick steckt in der Füllung der Glaselemente, dem sogenannten Phasenwechselmaterial. Das ist eine Salzlösung, die bei Abkühlung unter 26 Grad Celsius auskristallisiert. Dabei wird Wärme frei, die an den Raum abgegeben wird. Heizt die Sonne die Fassade auf, schmilzt die Salzlösung und speichert die Energie. Dadurch bleibt der Innenraum kühl. Außerdem verhindern Prismen auf der Außenseite der gläsernen Fassadenelemente, dass im Sommer zu viel Sonnenlicht direkt einfällt. Erst im Herbst und Winter kommt die flachstehende Sonne durch die Prismen hindurch. Insgesamt ist man in Zürich sehr zufrieden mit der transparenten Fassade. Und dank fehlender Energiekosten habe sich die Mehrinvestition gelohnt, so ein Mitarbeiter.
Hamburg: Algen heizen ein!
Die sinnvolle Nutzung vorhandener Fassaden beschäftigt auch Forscher in Hamburg. Sie verfolgen einen anderen Ansatz: In flachen Aquarien züchten sie Algen. Die so genannten Bioreaktoren sollen auch an Gebäude montiert werden. "Ziel ist, Wärme und Biomasse zu erzeugen. Die Algen sollen also Lichtenergie in Wärmeenergie beziehungsweise in Biomasseenergie umwandeln", so der Biologe Martin Kerner. Er ist Kopf und Ideengeber der SSC GmbH in Hamburg (SSC: Strategic Science Consult). Das Unternehmen hat sich auf Mikroalgentechnologie spezialisiert. Die ersten Ergebnisse einer Pilotanlage: "Insgesamt erhalten wir aus der Sonnenenergie, die einstrahlt, etwa 37 Prozent - oder wenn's gut läuft vielleicht 40 Prozent - in einer speicherbaren Energieform."
Um die Biomasse "zu ernten", werden die Algen, die in den Aquarien gewachsen sind, abgetrennt und getrocknet. Diese Biomasse kann dann in Wasserstoff, Methan oder in Öle umgewandelt werden. Also in Treibstoffe, die sogar CO2-neutral sind. Denn die Algen verbrauchen genauso viel CO2, wie bei der Verbrennung der Treibstoffe entsteht.
Seit 2008 läuft die Pilotanlage in Hamburg. Mittlerweile ist die Technologie weit genug, um den Praxiseinsatz zu wagen. 2013 wird das erste Gebäude mit den flachen Aquarien ausgestattet werden. Geschäftsführer der SSC Martin Kerner ist vom Potenzial der Bioreaktorfassade überzeugt. Entsprechend kritisch beurteilt er die "brach liegende" Fassade eines Lagerhauses: "Das ist ein Verlust von Fläche. Ganz viel Energie, die auf die Fassade einstrahlt und nicht genutzt wird. Höchstwahrscheinlich haben die auch noch Isolationsprobleme und dieser Kasten muss stark isoliert werden, weil er sonst aufheizt."
Sicher wird es sich erst in der Praxis zeigen, wie gut die Bioreaktoren als Fassade funktionieren. Eins ist jedenfalls jetzt schon klar: Fassadenflächen können intelligenter genutzt werden, als es bisher meistens der Fall ist.
Autor: Hilmar Liebsch (SWR)
Stand: 11.05.2012 13:04 Uhr