So., 24.07.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Mammutbäume brauchen Nebel
Sie sind die größten und mächtigsten Bäume der Welt, werden über 110 Meter hoch und bis zu 3000 Jahre alt: die majestätischen Redwoods oder Küstenmammutbäume. Vor über 140 Millionen Jahren bedeckten sie große Teile unseres Erdballs und waren sogar in Europa verbreitet. Heute sind die Baumriesen nur noch in einem schmalen, zirka 750 Kilometer langen und 50 Kilometer breiten Streifen an der nordkalifornischen Küste zu finden – und ihre Zukunft ist ungewiss. Jahrelange extensive Holzwirtschaft hat den Wäldern stark zugesetzt. Nur fünf Prozent der noch vor 150 Jahren vorhandenen alten Baumbestände hat den gierigen Zugriff des Menschen überlebt. Heute werden zwar immer mehr Bäume in Nationalparks geschützt, doch ein neuer Feind setzt den Bäumen zu – der Klimawandel. Steigende Temperaturen verändern die klimatischen Gegebenheiten an der kalifornischen Küste. Was genau dies für den Fortbestand der Baumriesen bedeutet, ist Gegenstand eines aktuellen, spektakulären Forschungsprojektes.
Küstennebel als Wasserspender
So groß die Redwoods auch sind, so eng sind die klimatischen Rahmenbedingungen, unter denen sie überleben können. An der Nordküste Kaliforniens herrschen genau diese Bedingungen – niederschlagsreiche, milde Winter und warme, feuchte Sommer. Eine klimatische Besonderheit der Region ist dabei entscheidend: der kalifornische Küstennebel. In den heißen Sommermonaten zieht er fast täglich vom Meer ins Landesinnere. Mit ihren riesigen Baumkronen fangen die Redwoods winzige Wassertröpfchen aus dem dichten Nebel und leiten sie über ihre Rinde in den Erdboden ab. Bis zu 40 Prozent ihres Wasserbedarfs decken sie mit dieser Technik. Doch der lebenswichtige Nebel wird seltener, steigende Temperaturen vermindern seine Entstehung. Messungen haben ergeben: Der Nebel tritt pro Tag um durchschnittlich drei Stunden weniger auf als noch vor 100 Jahren – und die durchschnittlichen Jahrestemperaturen steigen weiter an…
Spektakuläre Forschungsinitiative
Die „Save the Redwoods League“ ist eine gemeinnützige Organisation, die sich seit über 100 Jahren für den Erhalt der Küstenmammutbäume einsetzt. 2010 initiierte sie ein Forschungsprojekt der Extraklasse, die „Redwoods and the Climate Change Initiative“. Führende Redwoodexperten der California Academy of Sciences, der Humboldt University und der Universität of California in Berkeley arbeiten gemeinsam daran, die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf das Ökosystem der Riesenbäume genau zu verstehen und schon jetzt Strategien zum Erhalt der Wälder zu entwickeln. Noch nie wurden die Bäume so genau untersucht. Für ihre Forschung steigen die Wissenschaftler bis in die Kronen der Baumriesen, um dort Messgeräte zu installieren. Über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren sollen dort aktuelle Daten über Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Wachstum der Bäume gemessen werden. Mit Spezialkameras fotografieren die Forscher regelmäßig die Baumkronen der Bäume, um auch kleinste Veränderungen über lange Zeiträume dokumentieren zu können. In 16 an der ganzen Küste verstreuten Testarealen führen die Wissenschaftler ihre Messungen durch. So sollen mit einer bisher einzigartigen Datendichte die Reaktionen der Bäume auf das sich verändernde Klima live erfasst werden.
Aus Gestern für Morgen lernen
Und nicht nur der Blick in die Zukunft interessiert die Forscher – auch der Blick in die Vergangenheit bietet ihnen wertvolle Erkenntnisse. Zum ersten Mal entnehmen sie Bohrkerne aus lebenden Bäumen. So können sie, je nach Alter der Bäume, über 2000 Jahre kalifornische Klimageschichte rekonstruieren. Denn die Jahresringe der Bäume bieten den Wissenschaftlern viele Informationen. Über Isotopenanalysen können sie ganz genau bestimmen, wie viel Prozent seines Wasserbedarfs ein Baum in einem speziellen Jahr aus dem Nebel gedeckt hat. Daraus lassen sich die Klimabedingungen der Vergangenheit rekonstruieren und Rückschlüsse ziehen, wie der Baum auf Veränderungen reagiert hat. Noch sind die Analysen nicht abgeschlossen, doch erste Ergebnisse zeigen, dass es auch in der Vergangenheit immer wieder klimatische Schwankungen gab – auf die die Bäume je nach Alter ganz unterschiedlich reagiert haben. Waren die Bäume jung, reagierten sie sehr viel sensibler auf nebelarme Jahre und schränkten ihr Wachstum ein.
Wo sind die Rückzugsgebiete?
Dass besonders junge Bäume mit wenig Nebel schlecht zurechtkommen, besorgt die Forscher. Denn die heutigen klimatischen Veränderungen sind um ein vielfaches rasanter und umfassender als die Schwankungen der Vergangenheit. In Klimamodellen haben sie die klimatische Zukunft für Kalifornien simuliert. Schreitet die Erderwärmung weiter so schnell fort wie bisher, wird es in den nächsten Jahrzehnten einen drastischen Rückgang an Regionen geben, in denen Klimabedingungen herrschen, unter denen Redwoods heute wachsen. Vor allem junge Bäume hätten es dann zunehmend schwer, sich zu halten – das ganze Ökosystem wäre bedroht. Deshalb ist ein Ziel der Forschungsinitiative, schon jetzt klimatisch stabile Rückzugsorte zu definieren, um diese möglichst bald unter Schutz zu stellen und optimal für das Überleben der Bäume vorzubereiten. Die Daten der nächsten Jahre sollen dabei helfen, die überlebenswichtigen Parameter für die Bäume immer besser zu bestimmen. Selbst die Bevölkerung wird dafür zur Hilfe aufgerufen. Über ein spezielles und frei erhältliches Programm kann jedermann Fotos von Mammutbäumen machen, die dann automatisch mit Geodaten und Aufnahmezeitpunkt versehen und in eine Datenbank eingespeist werden. Die Bilder sollen den Forschern helfen, den Zustand des aktuellen Redwood-Bestandes noch umfassender zu erfassen und einen Überblick über die aktuelle Lage zu bekommen.
Die Zukunft ist veränderbar
Neben den düsteren Zukunfts-Szenarien gibt es jedoch auch Hoffnungsschimmer: Eine Erkenntnis der Forscher ist nämlich auch, dass Redwoods in der Vergangenheit kleinere klimatische Veränderungen durchaus überlebt haben, indem sie mit diversen Anpassungsstrategien darauf reagierten. Falls die aktuelle Klimaerwärmung abgebremst würde, zum Beispiel durch eine deutliche Reduktion des CO2-Ausstoßes, könnten sich die Bäume in einem „Best Case Szenario“ trotz unweigerlicher Veränderungen wahrscheinlich an deutlich mehr Orten halten. Für die Naturschützer eine große Chance. Sie sehen die Mammutbäume als Ikonen und Symbole, die Menschen bewegen und sie an ihre Verantwortung gegenüber der Natur erinnern können.
Krischan Dietmaier (WDR)
Stand: 05.11.2015 14:29 Uhr