So., 23.01.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Mit dem Kanu durch die Südsee
Zwei- bis dreimal die Woche treffen sie sich an dem kleinen Bootshaus in Ammerland am Starnberger See in Bayern. Kaufleute, Polizisten, Sportstudenten, Computerleute, ein Grafiker, ein Rechtsanwalt – sie haben eine Herausforderung angenommen, die sie im November in die Südsee führen wird. Dorthin, wo alljährlich ein spektakuläres Rennen der sechssitzigen Auslegerboote stattfindet. Auslegerboote: Das sind Kanus, die für eine bessere Stabilität im Wasser mit einem Schwimmer verbunden sind, der parallel zum Boot verläuft. Keine halbe Stunde dauert es, dann hat das "Team Fischermichel", wie sich die Freizeitsportler nach einer Fischerfamilie aus Ammerland nennen, das Auslegerboot zusammengebaut. Sie trainieren fast ein Jahr auf dieses Marathon-Rennen hin. Denn das ehrgeizige Ziel heißt – neben dem Absolvieren der Regatta – nicht als schlechteste Mannschaft das Ziel zu erreichen.
Deutschland: Fußball. Polynesien: Va'a!!
Französisch-Polynesien: Von hier stammt der Sport, der die Bayern in die Südsee lockt. Vor 2.000 Jahren besiedelten die Polynesier mit Auslegerkanus die entferntesten Inseln in der Südsee und entdeckten auch Neuseeland – heute sind Rennen mit den Va'a dort Nationalsport. Va'a: So heißen die Auslegerboote hier. Das bekannteste Rennen mit den Va'a führt in drei Etappen von der Insel Huahine nach Raiatea bis zur Insel Bora-Bora, insgesamt 130 Kilometer lang ist die Strecke. Über 80 Auslegerboote kämpfen sich an drei Tagen hintereinander durch Wellen und Strömungen. Es sind die besten Mannschaften aus dem pazifischen Raum, die hier ihren Meister suchen.
Und hier will nun also auch die Mannschaft aus Bayern antreten. Doch der meist ruhige Starnberger See ist nur bedingt vergleichbar mit den Bedingungen in der Südsee... Ein "last minute"-Training über sieben Tage soll auf Tahiti die bayerische Mannschaft vor allem mit den Eigenheiten der Hochsee bekannt machen. Doch das Meer zeigt sich gerade jetzt von einer eher ruhigen Seite. Kann der einheimische Trainer, an den das Team hohe Erwartungen stellt, den Erfahrungsmangel noch ausgleichen?
Etappe eins: Kentern gleich Scheitern?
Schon das erste Rennen bringt die Ernüchterung: In Sachen Geschwindigkeit können sie keinem Boot aus dem Pazifik das Wasser reichen. Je höher die Wellen, desto anstrengender wird es für die Deutschen, überhaupt Kurs zu halten. Kaum auf offener See, kentert ihr Boot. Dieses Erlebnis verunsichert die "Fischermichel" noch weiter – und bestärkt die einheimischen Stimmen, die meinen, dieses Boot würde kaum Chancen haben, jemals am Ziel anzukommen. Schon das erste Etappenziel erscheint zunächst unerreichbar, doch die Bayern vom Starnberger See kommen – wenn auch mit über zweieinhalb Stunden Rückstand – schließlich auf Raiatea an.
Die Fahrt hat Spuren hinterlassen. Der Schlagmann, der von vorne die Geschwindigkeit und die Dynamik der ganzen Besatzung bestimmt, ist völlig ausgepowert. Der überlange Kurs, auf den sie der Trainer geschickt hat, hat keinerlei Vorteile gebracht. Im Gegenteil: Einige Paddler sind an die Grenze ihrer Belastbarkeit gelangt.
Etappe zwei: David gegen Goliath
Am nächsten Tag muss der deutsche Schlagmann das Rennen von einem Begleitboot aus verfolgen. Mit dem nötigen Abstand erkennt er: Zwischen seinem Team und den Mannschaften, die schon als Kinder in Auslegerbooten unterwegs sind, liegen Welten! Wegen ihrer enorm hohen Schlagfrequenz und ihrer Ausdauer erreichen diese Boote ein Tempo, das sie auf hohen Wellen bisweilen sogar surfen lässt. Doch auch einheimische Sportler bleiben mitunter auf der Strecke. Für die Bergung kollabierter Paddler sorgen dann eingespielte Rettungsteams. Weil beim das Boot eines Konkurrenten der Ausleger bricht, werden die "Fischermichel" diesmal nur Vorletzte.
Etappe drei: Die Sportlerehre siegt!
Auf der letzten Etappe, mit 58 Kilometern auch die Längste, muss die Mannschaft noch ein letztes Mal "durch die Hölle". Nicht das offene Meer zwischen Tahaa und Bora Bora zwingt sie fast zum Aufgeben. Es ist die erste Stunde – die Lagune von Tahaa mit ihren Strömungen – die einfach nicht zu Ende geht. Doch schließlich erreichen die "Fischermichel" das Ziel: Die richtige "Mischung aus Willenskraft und Automatismus" treibt das Team nach Bora Bora. In der Gesamtwertung werden sie Vorletzte – "dank" des eines ausgeschiedenen Teams. Nicht ohne Bewunderung überreichen die Polynesier den Bayern einen Ehrenpreis. Auch, wenn die "Fischermichel" fast immer als letzte ins Ziel gekommen sind - sie hatten den weitesten Weg hierher.
Autor: Eberhard Meyer (SWR)
Stand: 24.09.2015 14:09 Uhr