SENDETERMIN So., 13.02.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Mit einer Operation gegen Epilepsie?

EEG eines Epilepsie-Patienten
Ein Anfall ist wie ein Gewitter im Gehirn | Bild: NDR

Schwachsinnig oder besessen. So dachte man früher über Menschen mit Epilepsie. Reste dieses Irrglaubens bekommen Betroffene allerdings auch heute noch zu spüren. "Wenn ich neue Menschen kennenlerne, muss ich ihnen ja bald erzählen, dass ich Anfälle habe. Und das schreckt leider viele ab", erzählt der 27-jährige Felix. Und auch im Epilepsiezentrum in Hamburg kennt man dieses Problem nur zu gut. "Statistisch gesehen kennt jeder von uns mehrere Personen, die an Epilepsie leiden", sagt Dr. Stefan Stodieck. "In der Regel weiß man es aber gar nicht. Epilepsie ist leider immer noch eine stigmatisierte Erkrankung, über die nicht viel geredet wird."

Dabei ist Epilepsie die häufigste chronische Krankheit in Deutschland. Etwa 800.000 Menschen sind betroffen. Ursachen gibt es viele: Stoffwechselerkrankungen, Vergiftungen, Entzündungen oder eine genetische Vorschädigung. Jede Verletzung des Gehirns kann dazu führen, dass Menschen eine Epilepsie entwickeln.

Leben mit der Epilepsie

Bunte Würfel, die bei einer Gedächtnisübung benutzt werden
Mit Gedächtnisübungen soll herausgefunden werden, welche Auswirkungen die Anfälle haben | Bild: NDR

Seinen ersten epileptischen Anfall hatte Felix mit drei Jahren. Mit der Zeit wurden sie so stark, dass er sein Studium abbrechen musste. Es gibt mittlerweile gute Medikamente, die Anfälle unterdrücken können, aber bei Felix wirken sie nicht. Immer noch hat er fast jede Woche einen epileptischen Anfall. Dabei werden die Nervenzellen in seinem Gehirn viel zu stark erregt: Ein richtiges Gewitter bricht in Felix‘ Kopf los. Er verliert das Bewusstsein, seine Muskeln zucken. Nach einem Anfall ist er oft noch eine ganze Zeit ziemlich verwirrt, deshalb muss Felix im Alltag Sicherheitsvorkehrungen treffen: Den Schreibtisch hat Felix zuhause direkt vors Fenster gerückt, damit er in einem verwirrten Moment nicht hinausspringt. Tee aus dem Wasserkocher ist das einzig Heiße, was er sich zu Hause zubereitet. Seinen Herd hat er schon lange vom Strom genommen. Das Risiko, während eines Anfalls in die heiße Herdplatte zu fallen, ist einfach zu groß.

Kann eine Operation Felix helfen?

Die Epilepsie behindert Felix erheblich. Und die ständigen Anfälle schädigen auf Dauer das feine Netz der Nervenzellen im Gehirn. Darunter leidet seine Gedächtnisleistung bereits. Die Ärzte im Epilepsiezentrum Hamburg wollen deshalb herausfinden, ob eine Operation für ihn in Frage kommen könnte. Neurochirurg Dr. Oliver Heese vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf arbeitet eng mit dem Epilepsiezentrum zusammen und erklärt, wie diese Operation funktioniert: "Man muss sich das so vorstellen, dass man versucht, eine Stelle im Gehirn zu finden, die der Ursprung der Anfälle ist. Wenn die gefunden ist, können wir zur Tat schreiten und diese Stelle, die wie ein Schalter für die Epilepsie ist, entfernen."

Schwierige Entscheidung

Schematische Darstellung der Entfernung des linken Hippocampus
Der linke Hippocampus müsste entfernt werden | Bild: NDR

Die neurologischen Untersuchungen der Ärzte ergeben: Bei Felix wird eine solche Operation schwer. Die Anfälle entstehen tief in seinem Gehirn, im linken Hippocampus. Um den zu entfernen, müssten die Ärzte einen weiten Weg durch das Gehirn gehen, vorbei am Sehnerv, an der Hauptschlagader. Felix ist ein komplizierter Fall, auch wenn die Operation technisch einwandfrei verläuft, können die Ärzte das Ergebnis nicht vorhersagen. Im besten Fall hätte er nie wieder einen Anfall und wäre endlich geheilt. Im schlechtesten Fall könnten die Anfälle nach der OP wiederkehren. Auch verstärkte Probleme mit dem Gedächtnis oder Sehstörungen sind nicht auszuschließen. Es besteht die Gefahr, dass er zu einem "double loser" wird, wie es medizinisch heißt, zu einem doppelten Verlierer.

Und trotzdem raten die Ärzte Felix zur Operation: "Es ist seine einzige Chance", meinen Stefan Stodieck und Oliver Heese. "Und jung ist er auch, das spricht für ihn." Die Entscheidung muss Felix alleine treffen, es wird die schwierigste seines Lebens. Er hat Angst vor der OP und möglichen Nebenwirkungen, aber mit der Epilepsie weiterleben: Das kann er sich auch nicht vorstellen. Felix beschließt, die Operation zu wagen.

Operation erfolgreich

Operation am Gehirn
Die schwierige Operation war erfolgreich | Bild: NDR

Der Eingriff verläuft nach Plan. Ohne andere Hirnareale zu beschädigen, entfernen die Chirurgen ein daumennagelgroßes Stück aus Felix' Gehirn – das soll die Ursache für seine Anfälle gewesen sein. Im Anschluss an die OP geht Felix für ein paar Wochen in die Reha, hier erholt er sich von den Strapazen.

Sechs Monate später: Felix hat seit dem Eingriff keinen einzigen Anfall mehr gehabt. Das ist für ihn zunächst ungewohnt: Denn er muss erst einmal lernen, keine Angst mehr vor einem möglichen Anfall zu haben – seit 24 Jahren das erste Mal. Er muss außerdem sein Gedächtnis in Schwung bringen. Denn die Epilepsie hat in seinem Gehirn Spuren hinterlassen. Aber die Operation hat ihm neue Möglichkeiten eröffnet: Felix kann sein Leben nun wieder selbst in den Griff nehmen.

Adressen

Epilepsiezentrum Hamburg - Ev. Krankenhaus Alsterdorf GmbH
Abteilung für Neurologie und Epileptologie
Chefarzt: Dr. med. Stefan Stodieck
Bodelschwinghstrasse 24
22337 Hamburg
Tel: (040) 5077-3507

Autorin: Christine Buth (NDR)

Stand: 06.06.2013 12:03 Uhr

Sendetermin

So., 13.02.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

Sprungmarken zur Textstelle

Links in der ARD