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Reiner Rhein?

Peter Diehl auf der MS Burgund
Die MS Burgund ist ein schwimmendes Labor | Bild: SWR

Die MS Burgund und ihre Besatzung hat einen besonderen Auftrag: Die Crew des Schiffes soll die Qualität des Rheinwassers untersuchen und beaufsichtigen. Deshalb hat die "schwimmende Mess-Station" hat auch ein komplettes Labor an Bord. Mit dabei ist Peter Diehl. So seltsam es klingt: Der Biologe verdankt seinen Job der Chemie-Katastrophe vom 1. November 1986. In der Basler Chemiefabrik Sandoz brennt es damals. Große Mengen giftiger Chemikalien geraten mit dem Löschwasser direkt in den Rhein. Ein gigantisches Fischsterben ist die Folge.

"Vor 25 Jahren war der Rhein an vielen Stellen mit einem Teppich von toten Fischen bedeckt. Diese Ur-Katastrophe am Rhein führte zu einem komplett neuen Denken, zu einer neuen Arbeitsweise am Rhein", sagt Peter Diehl. "Das Schiff gäbe es ohne diese Katastrophe nicht, meinen Job gäbe es ohne diese Katastrophe nicht. Wir haben seitdem viele Schritte unternommen, um den Rhein wieder gesund zu machen."

Die Industrie erwärmt das Rheinwasser

Rheinwasser läuft in ein Untersuchungsgefäß
Im Labor des Schiffes kann das Rheinwasser direkt untersucht werden | Bild: SWR

Die Anrainerstaaten einigten sich nach der Katastrophe auf die Einrichtung mobiler Kontrollinstrumente wie die MS Burgund. Im Bauch des Messschiffes liegt das Labor. Hier fließt der Rhein direkt aus dem Wasserhahn. So kann die Crew Temperaturwerte, Leitfähigkeit und die Chemie des Wassers kontrollieren. Seit der Sandoz-Katastrophe sind die chemischen Belastungen immer weiter zurückgegangen. Grundsätzlich gilt der Rhein heute als sauberer Fluss. Einige Probleme mit Kraftwerken oder der Industrie gibt es allerdings immer noch, erklärt Peter Diehl. Die leiten nämlich ihr Kühlwasser nach getaner Arbeit wieder zurück in den Fluss geleitet – das ist dann aber alles andere als kühl. "Wir können das sehr gut messen: In der Fahne der Industriebetriebe oder der Kraftwerke haben wir an dem einen Ufer bis zu einem oder eineinhalb Grad höhere Wassertemperaturen als am anderen Ufer. Der Einfluss ist deutlich spürbar."

Bodenproben bringen Zustand ans Licht

Muscheln aus der Bodenprobe
Diese Muscheln kommen aus Asien | Bild: SWR

Die MS Burgund muss stoppen, um vom Grund des Rheins Bodenproben zu entnehmen. Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft auf den Steinen vom Grund des Gewässers gibt Auskunft über den Zustand des Flusses. Nachdem die Sandoz-Katastrophe alles Leben im Rhein vernichtet hatte, haben sich hier ganz andere Tierarten angesiedelt als zuvor. Auffällig ist, erklärt Peter Diehl, dass die Lebensgemeinschaft auf diesen Steinen geprägt ist von Neubürgern – von Einwanderern aus anderen Erdteilen, sogenannten Neozoen. "Die Muscheln, die wir hier sehen, kommen aus Asien. Die Krebse kommen aus Amerika. Und es ist durchaus denkbar, dass diese neuen Arten im Rheinsystem sich deswegen so konkurrenzstark durchsetzen können, weil sie gegen gewisse Schadstoffbelastungen einfach toleranter sind."

Tierische Güteprüfer

Wasserflöhe
Wasserflöhe dienen den Forschern als Anzeiger für schlechte Wasserqualität | Bild: SWR

Die meisten Flussbewohner reagieren auf chemische Belastungen sehr empfindlich. Diese Eigenschaft macht sich Peter Diehl zunutze. In der Rheingütestation Worms stellt er winzige Flohkrebse in Dienst. Durch ihr Verhalten zeigen die Tiere schneller als jedes technische System an, wenn irgendwelche giftigen Substanzen in den Rhein gelangen. "Sie werden dem Rheinwasser ständig ausgesetzt. Mit einem Videokamera-System verfolgen wir die Bewegungsspur jedes einzelnen Tieres", so der Biologe. "Jedes Tier ist auch farblich individuell gekennzeichnet. Wir werten verschiedene Parameter in dieser Bewegung aus – zum Beispiel: Wie schnell sind die Tiere, wo bewegen sie sich in der Kammer. Und dann rechnen wir aus, ob das ein Hinweis auf eine Vergiftung des Rheins ist, oder ob alles in Ordnung ist."

Inzwischen schlagen die Tiere allerdings nicht mehr so häufig Alarm wie früher: "In der Anfangszeit unseres Betriebes vor etwa fünfzehn Jahren gab es fast zehn in einem Jahr. Danach ging die Zahl der Alarme immer weiter zurück, so wie der Rhein immer sauberer wurde und Industrie immer sicherer wurde."

Belastungsfaktor Landwirtschaft

Ein Finger zeigt auf eine Karte mit dem Flusssystem des Rheins
Noch immer ist die Belastung der Rheinzuflüsse, etwa mit Pestiziden, hoch | Bild: SWR

Für den Rhein mit seinen vielen Naturschutzgebieten sind die Abwässer der chemischen Industrie nicht mehr das größte Problem. Belastungen werden allerdings noch immer durch die vielen Nebenflüsse eingetragen. Pestizide aus der Landwirtschaft gelten heute laut Peter Diehl als eines der größten Probleme, die dem Rhein zu schaffen machen. "Man muss es leider so sagen: Eine ganz gewichtige Rolle für diese Situation spielt die Landwirtschaft. Es werden noch immer zu viele Pestizide, Pflanzenschutzmittel, Insektenvernichtungsmittel und Unkrautvernichtungsmittel in die Bäche eingetragen. Die leiten dann die Schadstoffbelastung in den Rhein. Die Werte sind einfach noch zu hoch. Hier ist noch einiges für uns zu tun."

Belastungsfaktor Mensch

Peter Diehl und ein Kollege schauen auf einen Computerbildschirm
Wasseranalysen weisen viele chemische Stoffe nach, etwa aus Medikamenten-Rückständen | Bild: SWR

Ein weiteres Problem sind Substanzen aus Kosmetik- und Hygieneprodukten oder Medikamenten-Rückstände. Einbringungen aus den Haushalten, die keine Kläranlage filtern kann. "Das sind zehn, 20, 100 Wirkstoffe, die dann alle zusammen im Fluss sind. Die Wirkung auf Fische und auf Kleinorganismen, vor allem die Kombination dieser verschiedenen Stoffe, ist weitgehend unbekannt. Da muss alleine das Vorsorge-Prinzip uns dazu bringen, dass wir hier gegensteuern und zu einem anderen Verhalten kommen - auch als Privatmenschen."

Auch 25 Jahre nach Sandoz hat die Burgund also viel Arbeit vor sich. Denn nicht nur Chemie-Katastrophen setzen dem Rhein zu, sondern auch die Umweltbelastungen des Alltags.

Autor: Axel Wagner (SWR)

Stand: 13.11.2015 13:45 Uhr

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