So., 03.07.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Rettungswürmer: Roboter im Einsatz
Die ersten 72 Stunden nach einem schweren Erdbeben sind entscheidend, das wissen die Rettungskräfte weltweit. Danach sinken die Chancen, noch Überlebende zu finden, rapide. Doch in dem Chaos nach einer Katastrophe fehlt den Helfern zumeist der Überblick: Welche Zerstörungen hat es gegeben, welche Gefahren drohen den Hilfskräften und vor allem: Gibt es Überlebende, und wo befinden sie sich? Diese Informationen sind unverzichtbar für die Einsatzplanung, doch ihre Beschaffung erfordert Spezialausrüstung und kostet wertvolle Zeit. Zeit, die die Opfer meist nicht haben. Professor Andreas Birk von der Jacobs University Bremen will diese Zeit deutlich verkürzen. Mit Hilfe von Robotern, die nach einem Erdbeben dort arbeiten können, wo es für Menschen zu gefährlich geworden ist. Oder dort, wo menschliche Retter nicht hinkommen: "Roboter können über Wärme Opfer detektieren, sie können 2D- oder 3D-Bilder von der Lage machen und daraus Karten erstellen, die dann den Rettungskräften helfen können, den Einsatz zu planen." Auf einem Übungsplatz für Rettungskräfte des Technischen Hilfswerks testet er in einem praxisnahen Szenario, wie die Zusammenarbeit verschiedener Rettungsroboter funktioniert.
Luftaufklärer
Surrend schwebt AirRobot über dem Gelände der Jacobs University. Der vierrotorige Flugroboter ist GPS-gesteuert und hat eine Weitwinkelkamera unter dem Bauch. Sie funkt ständig Bilder an eine Bodenstation. Eine von den Bremer Forschern entwickelte Software generiert daraus in Echtzeit eine Übersichtskarte. Sie ähnelt denen bei Google Earth, ist aber höher aufgelöst und ganz aktuell. Da AirRobot bei Bedarf auch sehr niedrig fliegt, können die Retter mit seiner Kamera sogar in interessante Gebäude und Öffnungen hinein gucken. All das hilft, die Rettungskräfte an die richtigen Stellen zu schicken, sie auf dem Weg dorthin um Hindernisse herumzuführen und vor eventuellen Gefahren zu warnen. Flugroboter wie AirRobot sind ein einfacher und vergleichsweise auch günstiger Weg, aktuelle Übersichtskarten zu erstellen. Bislang müssen die Retter noch in einen Hubschrauber steigen und mit Fotoapparaten Bilder machen, die dann erst am Boden zu Karten zusammengeklebt werden. Hier sind Flugroboter eindeutig überlegen - allerdings nur bis zu Windstärken von zwei bis drei. Bei böigem Wind müssen sie am Boden bleiben.
Bodentruppen
Mit den Daten der Flugroboter lassen sich auch Landroboter besser steuern: Andreas Birk und seine Forscherkollegen füttern zwei Fahrzeuge auf Raupenketten mit dem Kartenmaterial und markieren darauf Punkte, die vielversprechend aussehen. Mögliche Zugänge zu eingestürzten Gebäuden zum Beispiel. Dann machen sich Robi 1 und Robi 2 auf den Weg durch die Trümmerwüste auf dem Übungsplatz. Sie erkennen selbstständig Hindernisse und bewältigen auch Steigungen und kleine Treppen.
Das Wichtigste an ihnen sind ihre eingebauten Sensoren. Robi 1 hat eine Wärmebildkamera an Bord. Sie kann mögliche Opfer über deren Körpertemperatur orten. Das funktioniert teilweise sogar durch lose liegende Trümmer hindurch. Robi 2 hat neben seinen normalen Kameras einen Laserscanner eingebaut. Mit ihm erstellt der Roboter ein dreidimensionales Modell der Umgebung. Sie sind detaillierter als die Überblickkarten der Flugroboter und eine wertvolle Hilfe für die Retter, die sich auf dem gefährlichen Terrain bewegen müssen. Zusätzlich tüfteln die Forscher an kleinen GSM-Zellen (GSM: Global System for Mobile Communications), die die Roboter mit an Bord haben. Bei Naturkatastrophen fallen in der Regel auch die Telefonnetze vor Ort aus. Mit einer GSM-Zelle könnten die Roboter ein eigenes kleines Handynetz aufbauen, die Handys verschütteter Personen orten und sie möglicherweise sogar direkt anrufen.
Rettungswürmer
Haben die Roboter ein Gebäude identifiziert, in dem sich möglicherweise noch Überlebende befinden, sind menschliche Helfer gefragt. In der Regel rücken Spezialisten an, zum Beispiel vom Technischen Hilfswerk, um mit schwerem Gerät die Trümmer zu beseitigen. Allerdings können sie oft nur auf Verdacht arbeiten.
Die Frage, ob sich hinter einer Betonplatte ein Hohlraum befindet, kann bislang nur geklärt werden, indem ein Loch in die Platte geflext wird. Das kostet Zeit, Energie und ist nicht zuletzt auch viel Geld. Doch auch hier gibt es Hilfe durch die Maschinen: Professor Satoshi Tadokoro, ein Kollege von Andreas Birk, hat am National Rescue Institut im japanischen Sendai eine Art Endoskop entwickelt und nimmt damit am Feldversuch in Bremen teil. Sein Gerät kann sich selbst durch sehr kleine Spalten ins Innere von Gebäuden vorarbeiten und dort nach Verschütteten suchen. Es sieht aus wie ein fünf Meter langer Wurm mit drahtigen Borsten. In dessen Kopf sitzt eine hochauflösende Kamera mit LED-Beleuchtung, dahinter befindet sich ein vibrierender Motor. Er sorgt dafür, dass das Gerät vor und zurück schwingt. Durch die Vibrationen stoßen sich die Borsten des Wurmes vom Boden ab und er gleitet langsam vorwärts. Das funktioniert auch um enge Kurven herum und an kantigen Hindernissen vorbei.
Stark im Team
Den perfekten Roboter, der alleine loszieht und Menschen rettet, wird es wohl auf absehbare Zeit nicht geben. Aber eine Kombination von Rettungsrobotern, die koordiniert zusammen arbeiten, kann die menschlichen Helfer in Katastrophenregionen effektiv unterstützen und so kostbare Zeit gewinnen. Allerdings ist noch etwas Entwicklungsarbeit nötig, bis die Roboter uneingeschränkt feldtauglich sind. Staub, Hitze, Wind und Regen machen den Maschinen derzeit noch ziemlich zu schaffen. Immerhin: Die Software zur Kartenerstellung der Bremer Forscher kam schon bei Aufklärungsflügen in Fukushima zum Einsatz.
Autor: Björn Platz (NDR)
Stand: 13.11.2015 13:52 Uhr