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Raus aus dem Tunnel!

Ausgebranntes Auto in einem Tunnel
Ein Feuer im Tunnel kann verherrend sein | Bild: SWR

Es verursacht oft ein mulmiges Gefühl im Bauch, mit dem Auto in einen Tunnel einzufahren. Besonders, wenn der Tunnel lang ist. Nicht ganz zu Unrecht, denn die Liste der Tunnelkatastrophen mit vielen Toten ist lang. Berühmte Beispiele:

Im französischen Mont-Blanc-Tunnel gerät am 24. März 1999 ein Lastwagen in Brand. Der Grund: eine weggeworfene Zigarettenkippe. Die Röhre verwandelt sich in ein Feuerinferno, das 24 Stunden lang nicht gelöscht werden kann. 39 Menschen sterben.

Im österreichischen Tauerntunnel löst im gleichen Jahr am 29. Mai ein Auffahrunfall eine Explosion aus. Die traurige Bilanz: zwölf Todesopfer.

Und im 17 Kilometer langen Schweizer Gotthardtunnel stoßen am 24. Oktober 2001 zwei Lastwagen zusammen. Elf Menschen verlieren ihr Leben.

Falsches Verhalten trägt zu Tragödien bei

Grafik eines Tunnelunfalls
Nach einem Unfall in einem Tunnel heißt es, sich richtig zu verhalten | Bild: SWR

Autofahrer verhalten sich bei Brand im Tunnel oft falsch. Der Verkehrspsychologe Berthold Färber und sein Team vom Institut für Arbeitswissenschaften der Universität der Bundeswehr München befragte per Internet 400 Personen - mit alarmierendem Ergebnis. 19 Prozent der Teilnehmer haben keine Vorstellung, was zu tun wäre, wenn sie Rauch oder gar Feuer in einem Tunnel sehen würden. 16 Prozent würden auf jedem Fall im Fahrzeug sitzen bleiben. Und 42 Prozent glauben, ihnen bliebe relativ viel Zeit, sich noch zu retten. Das Auto wird oft fälschlich als Schutzraum erlebt, in dem sich die Insassen geborgen fühlen. Außerdem haben viele ihre Koffer oder andere Besitztümer im Wagen und wollen sie nicht zurücklassen. Und genau das ist fatal: wertvolle Zeit verstreicht, das Auto wird zur Todesfalle. Denn nicht das Feuer, sondern der Qualm tötet binnen weniger Minuten. Er erstickt alles Leben, bevor die Hilfskräfte eintreffen.

Experiment im Nazi-Bunker

Eine Frau geht durch eine Tür
Der Notausgang ist oft die Rettung | Bild: SWR

Die Leute müssen also so schnell wie möglich ihr Fahrzeug verlassen und zum Notausgang laufen. Das lässt sich allerdings nicht leicht erreichen. Aufklärungsschriften hat man im Katastrophenfall nicht mehr im Kopf. Sprachdurchsagen werden im Tunnel oft schlecht verstanden und Ausländer können damit nichts anfangen. Der Verkehrspsychologe Berthold Färber war also auf der Suche nach einer Methode, die Menschen aus den Autos förmlich raus zu treiben. In einem Simulationstunnel in einem alten Bunker auf dem Unigelände erprobte er dabei verschiedene Töne. Eine Polizeisirene beispielsweise bewirkte nicht den gewünschten Effekt: die Testpersonen meinten, Hilfe sei im Anzug und warteten erst recht ab. Als sehr wirkungsvoll zeigte sich dagegen ein tiefer Ton, der kaum noch im wahrnehmbaren Bereich lag, aber als starke Vibration wahrgenommen wurde. Fast alle Probenden stiegen instinktiv aus.

Mit Laser und Vogelgezwitscher in die Freiheit

Notausgangsschild
Hinweisschilder reichen oft nicht aus | Bild: SWR

Doch mit der Flucht aus dem Fahrzeug ist es nicht getan. Die Menschen müssen den Notausgang oder das Tunnelende erreichen - im Dunkeln, im Qualm, in Panik.

Dazu entwickelte Berthold Färber ein Leitsystem aus Laserlicht und "lockenden" Tönen. Die Probanden bekamen in finsteren, mit Theaterrauch vernebelten Räumen Vogelgezwitscher vorgespielt oder einen Ton, der als "weißes Rauschen" bezeichnet wird. Das "weiße Rauschen" ist sehr gut zu orten und lotst die Testpersonen in die richtige Richtung. Lautes Vogelgezwitscher wird offenbar instinktiv mit „draußen“ verbunden - auch von diesen Naturtönen ließen sich die Versuchsteilnehmer hervorragend leiten. Ergänzend zu akustischen Systemen entwickelte das Wissenschaftlerteam eine Kombination aus Lauflichtern, Handläufen und Laserstrahlen. Mit einer Wärmebildkamera beobachteten sie das Verhalten der Probanden im abgedunkelten Raum. 80 Prozent aller Testpersonen fanden mit dieser Kombination die rettenden Ausgänge. Das neue Leitsystem hat seine Tauglichkeit also erwiesen - und auch alte Tunnel ließen sich relativ leicht damit umrüsten. Trotzdem fehlt im Moment das Geld für solche Maßnahmen.

Risikofaktor Mensch

Aufnahme einer Übrewachungskamer
Pannenfahrzeuge sollen im Tunnel möglichst weit rechts stehen | Bild: SWR

Ein Leitsystem im Tunnel zur Verbesserung der Sicherheit wäre sicher eine gute Sache. Allerdings würden sich die Autobahndirektionen und der ADAC schon freuen, wenn Autofahrer noch mehr dazu beitragen würden, Brände gar nicht erst entstehen zu lassen.

Aufnahmen von Überwachungskameras der Betriebszentralen offenbaren oft fahrlässiges Verhalten. Eine große Gefahrenquelle bilden zum Beispiel Pannenfahrzeuge. Diese sollten immer so tief wie möglich in einer Parkbucht abgestellt werden - oder wenn möglich sogar noch aus dem Tunnel herausgefahren werden. Aktionen wie Wendemanöver im Tunnel oder unerlaubtes Hineinfahren in einen gesperrten Tunnel sind lebensgefährlich für den Fahrer und andere. Und trotzdem kommen solche Aktionen erschreckend häufig vor. Ebenso Geschwindigkeitsüberschreitungen und zu geringe Abstände - Risiko für Auffahrunfälle mit Brandfolge. Man kann jeden Tunnel immer noch sicherer bauen. Aber den Zusammenstoß im Gotthardtunnel, die Zigarettenkippe im Mont Blanc-Tunnel und die Karambolage im Tauerntunnel, die erst die Katastrophe auslösten: Das haben Menschen verursacht.

Autorin: Tamara Spitzing (SWR)

Stand: 13.11.2015 13:59 Uhr

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