So., 08.05.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Singen macht fit!
"Stopp! Das würde ich gerne nochmal machen. Bitte etwas mehr Präzision!" Der Leiter des St.-Lamberti-Chores in Oldenburg unterbricht seine Sänger immer wieder. Mitten im gefühlvollen "Lacrimosa" aus Mozarts Requiem lässt er sie mehrmals neu ansetzen. Die 30 Hobbysänger müssen sich ganz schön anstrengen. Erholsamer wäre es da doch, eine gute CD einzulegen und sich an Mozart aus der Konserve zu erfreuen - könnte man meinen. Aber die Sänger genießen das Musizieren: "Wenn ich nach so einer Probe nach Hause komme, ist es völlig egal, mit welcher Laune ich hingegangen bin - ich komme glücklich raus!", erzählt eine Altistin. Ein Kollege aus dem Bass ergänzt: "Nach einem stressigen Tag kann ich in der Chorprobe die Anspannung loswerden, da fällt alles von mir ab."
Nur Spaß am Hobby?
Das Phänomen kennen Musikwissenschaftler wie Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg schon länger: Chorsänger berichten von einem Wohlgefühl nach dem Singen und finden, dass ihnen der Gesang körperlich gut tut. Doch sind das nicht vielleicht nur Einzelmeinungen von Menschen, die einfach nur Spaß an ihrem Hobby haben? Darüber gab es bislang kaum Erkenntnisse. Genauso wenig dazu, ob es nicht noch besser wirkt, wenn man sich schöne Musik in Ruhe auf CD anhört. "Für mich war spannend: Was passiert da kurzfristig im Körper von Chorsängern? Mich hat interessiert, ob sich da im Körper etwas messen lässt", erzählt der Musikwissenschaftler. Zusammen mit Psychologen und Medizinern entwarf er eine Studie: Die Wirkung einer Chorprobe auf die Stimmung, auf das Immunsystem und auf die Ausschüttung von Stresshormonen sollte wissenschaftlich untersucht werden - und zwar im direkten Vergleich zum bloßen Hören von Musik.
Speichelanalysen klären auf
25 Sänger eines Kirchenchores machten bei der Studie mit. Vor Beginn der Chorprobe füllten alle einen Fragebogen zu ihrer momentanen Gefühlslage aus und gaben eine Speichelprobe ab. So konnten die Wissenschaftler die Konzentration des Stresshormons Cortisol und die von Immunglobulin A messen - ein Stoff, der für die Immunabwehr wichtig ist. Die Sänger erlebten dann eine ganz normale Chorprobe. Anschließend gab es wieder den Stimmungsfragebogen und die Speichelprobe.
Der Vergleich mit dem passiven Konsum der Musik erfolgte in einem zweiten Durchgang: Dieselben Sänger hörten die Teile des Requiems, die sie zuvor geprobt hatten, als Profi-Aufnahme von einer CD. Auch bei diesem Durchgang beantworteten die Probanden zweimal den Stimmungsfragebogen und gaben Speichelproben ab.
Das Immunsystem reagiert auf das Singen
Ergebnis: Beim Singen in der Chorprobe stieg die Zahl der Abwehrstoffe im Körper signifikant an - beim Hören nicht. Die Konzentration des Stresshormons Cortisol sank zwar in beiden Durchgängen, jedoch stärker beim Singen. Massiv besser fiel vor allem die Stimmung der Sänger nach dem Singen aus, anders als nach dem Hören. Die Studie von Gunter Kreutz und seinem Team an der Universität Frankfurt sorgte für einige Furore - nicht nur in Sängerkreisen. Denn damit wurde bestätigt, dass Singen im Chor sich tatsächlich positiv auf Körper und Psyche auswirkt.
Aktives Singen: besser als hören
Singen könne sich langfristig auch gesundheitlich auswirken, glaubt der Musikwissenschaftler Gunter Kreutz. Denn schließlich singen Menschen, die in einen Chor gehen, regelmäßig: "Singen ist ja eine Beschäftigung, die man in der Regel wöchentlich betreibt, etwa für ein bis zwei Stunden, und die meisten Sänger singen über Jahre und Jahrzehnte. Wir vermuten, dass es da wirklich signifikante gesundheitliche Effekte geben kann, eine Art Training der Immunkompetenz." Damit ist das aktive Singen dem bloßen Hören deutlich überlegen. Was genau die positiven Effekte ausmacht, soll noch weiter erforscht werden. Man will genau wissen, ob es zum Beispiel die körperliche Aktivität beim Singen ist, oder ob es ganz andere Faktoren sind, auf die die positiven Wirkungen zurückgehen.
Am Anfang war Musik
Der Musikforscher Gunter Kreutz ist fest davon überzeugt, dass es längst nicht so viel bringt, alleine vor sich hin zu trällern: "Singen in Gruppen stärkt das Gemeinschaftsgefühl, weil die Mitglieder der Gruppe sich einschwingen auf einen Rhythmus - das stärkt die gefühlsmäßige Bindung. Das lässt sich aus der Evolution heraus erklären und ist sehr tief verwurzelt in der Menschheitsgeschichte", erklärt er. "Die ganz frühe Mutter-Kind-Beziehung ist geprägt ist von musikalischen Momenten, nämlich in der Ammensprache – das ist der melodische Singsang, mit dem sich Mütter mit ihren Säuglingen beschäftigen. Das machen alle Mütter auf der Welt ganz instinktiv. Daraus erwächst eine sehr gefühlsgeladene Kommunikation, die für die Entwicklung von Kindern unbestritten sehr wichtig ist."
Gunter Kreutz fordert daher, dass Chorsingen bei Kindern viel stärker gefördert wird - besonders in der Schule. Denn wer als Kind nicht im Chor war, steigt im Erwachsenenalter nur selten ein. Wer allerdings früh im Chor singt, macht das oft bis ins hohe Alter - und tut damit vielleicht lebenslang etwas für die Gesundheit.
Autorin: Johanna Bayer (WDR)
Stand: 18.11.2015 13:44 Uhr