So., 27.03.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Tätowierungen - Gefährlicher Schmuck
Eine Rose auf der Brust – wer ein solches Tattoo trägt, könnte zur russischen Mafia gehören. Tätowierungen signalisieren häufig die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Gang, besonders im Knast war das früher üblich. Heute ist die Farbe in der Haut oft einfach nur Schmuck und längst zu einem Massenphänomen geworden: Jeder vierte Deutsche unter 30 Jahren hat ein Tattoo. Aber mit der Anzahl der gestochenen Tätowierungen steigt auch die Sorge um die Folgen: Sind die Farben, die dabei in den Körper gelangen, wirklich sicher?
Die Folgen sind nicht sofort sichtbar
Bis Anfang 2009 gab es in Deutschland keinerlei Regelungen für Tätowierfarben. Sogar Stoffe, die nicht einmal als Kosmetika zugelassen waren, konnten verwendet werden. Zu den Zutaten gab es keine Studien – bis ein Team von Wissenschaftlern rund um den Regensburger Dermatologen Prof. Michael Landthaler damit begann, Tätowierfarben im Labor zu analysieren. Sie fanden neben zahlreichen Verunreinigungen auch giftige Azofarbstoffe und krebserregende Substanzen. Wie oft Tätowierfarben jedoch tatsächlich der Auslöser für eine Krebserkrankung sind, bleibt unklar. Langzeitstudien fehlen, da Tätowierungen lange Zeit als Randgruppen-Phänomen galten. Wissenschaftler und Verbraucherschützer entwickelten erst spät Interesse an dem Thema.
Eindeutig auf eine Tätowierung zurückführen lassen sich meist nur die kurzfristigen Folgen: Allergien, Knötchen und andere Unverträglichkeitsreaktionen zeigen sich oft schon innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Tätowierung gestochen wurde. Sie können sehr hässlich aussehen, meist jedoch erfolgreich behandelt werden. Größere Sorgen machen den Wissenschaftlern die versteckten Folgen. Experimente zeigen, dass ein Teil der gestochenen Farbe in den Körper hinein wandert und innere Organe erreicht. Ob sie dort Schaden anrichtet, können die Wissenschaftler noch nicht sagen. Weil die Farben nicht nur auf, sondern unter die Haut gebracht werden, müssten sie eigentlich genauso streng reguliert werden wie Arzneimittel, fordert Prof. Wolfgang Bäumler von der Uni Regensburg.
"Ferrari Rot" geht unter die Haut
Die Farbpigmente, die in Tätowierungen enthalten sind, werden meist für ganz andere Anwendungen hergestellt. Die Großindustrie produziert sie in riesigen Mengen, zum Beispiel für Autolacke. "Ferrari Rot" ist da nur ein Beispiel. Je bunter ein Tattoo ist, desto wahrscheinlicher sind Unverträglichkeitsreaktionen. Rote Farbtöne verursachen am häufigsten Probleme, erläutert der Dermatologe Michael Landthaler.
Aber auch in schwarzen Tätowierfarben fanden die Regensburger Wissenschaftler problematische Substanzen: "In 19 von 20 schwarzen Farben haben wir auch giftige und möglicherweise krebserregende Substanzen wie Phenol oder Polyaromatische Kohlenwasserstoffe gefunden", erklärt Landthaler. Schwarze Tätowierungen enthalten „Carbon Black“, also Ruß. Benötigt wird der zum Beispiel, um Autoreifen elastisch zu machen. Um es gefahrlos unter die Haut stechen zu können, müsste der Ruß aufwändig gereinigt werden. Die Untersuchungen der Regensburger Wissenschaftler zeigen aber, dass sich nicht alle Hersteller diese Mühe machen.
Wenig Sicherheit trotz Verordnung
Nur in wenigen Ländern gibt es gesetzliche Regelungen über die Inhaltsstoffe von Tätowierfarben. Deutschland gehört inzwischen dazu: Seit Anfang 2009 gilt hier die Tätowiermittel-Verordnung. Sie enthält eine Negativliste, auf der zahlreiche Substanzen verzeichnet sind, die in Deutschland nicht mehr verwendet werden dürfen, weil sie erwiesenermaßen gesundheitsschädlich sind. Doch für die Tätowierer gibt es keine Möglichkeit, die Farben, die sie einsetzen, zu überprüfen. Sie können nur versuchen, verantwortungsvoll einzukaufen – also bei Herstellern, denen sie vertrauen.
Einige deutsche Farbhersteller zeigen mittlerweile Eigeninitiative und lassen ihre Farben von unabhängigen Laboren prüfen. Zertifikate darüber kann man sich in einem seriösen Tätowierstudio zeigen lassen. Totto Jeratsch betreibt ein solches Tattoo-Studio in Hamburg. Er stellt jedoch immer wieder fest, dass die meisten seiner Kunden sich für die Sicherheit der Farben herzlich wenig interessieren: "Wenn ich diesen Leuten einen abgelaufenen Joghurt verkaufen würde, würden die ganz klar sagen: Ich will diesen Joghurt umtauschen!", erklärt Jeratsch. "Aber die Farben hinterfragen sie nicht. Dieses Phänomen beobachte ich schon lange und habe keine Erklärung dafür, warum diese Menschen so naiv an die Sache heran gehen."
Risiko: Tattoo-Entfernung
Die unklare chemische Zusammensetzung der Farben macht auch bei der Entfernung mit dem Laser Probleme. Die Laserblitze erhitzen die Pigmente in der Haut auf mehr als 800 Grad Celsius und lassen sie regelrecht explodieren. Bunte Farben können dabei umschlagen und schwarz werden, erklärt Dr. Wolfgang Kimmig von der Uniklinik in Hamburg. Das optische Ergebnis nach dem Lasern lässt sich überhaupt nicht vorhersagen.
Die Regensburger Wissenschaftler befürchten außerdem, dass durch das Laser die Farben so verändert werden, dass (noch mehr) krebserregende Stoffe freigesetzt und zu inneren Organen transportiert werden. Das ist bisher jedoch noch nicht bewiesen. Wer sich also im Nachhinein sorgt, was für Stoffe in seine Haut tätowiert wurden, sollte sich das Tattoo nicht unbedingt entfernen lassen, rät Wolfgang Kimmig. Das Weglasern könnte es noch schlimmer machen.
Wer trägt die Verantwortung?
Die Tätowiermittel-Verordnung, die seit 2009 gilt, war wichtig und richtig – darüber sind sich Wissenschaftler und Tätowierer einig. Aber die Negativliste mit verbotenen Farben reicht noch nicht aus. Denn leider sind nicht alle Farben, die nicht darauf verzeichnet sind, sicher. Manche sind einfach nur noch nicht getestet worden.
Um diese Unsicherheit zu überwinden, fordern immer mehr Wissenschaftler, Prüfstellen und Tätowierer eine "Positivliste" mit nachweislich sicheren Farben. Die zu untersuchen würde jedoch acht bis zehn Jahre dauern und etwa zehn Millionen Euro kosten – pro Farbnuance. Und: Der Gesetzgeber müsste die Verantwortung für diese Positivliste übernehmen. "Ich sehe nicht, dass momentan jemand die Verantwortung übernimmt, und auch die entsprechende Haftung dafür", erklärt Prof. Wolfgang Bäumler. "Eine Positivliste wird es wahrscheinlich in absehbarer Zeit für diese Substanzen nicht geben."
Autorin: Christine Buth (NDR)
Stand: 26.06.2015 12:45 Uhr