So., 09.10.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Verdruss durch den Verschluss?
Mit scharfen Messern und Äxten schälen die Männer die Rinde von den Korkeichen. Es ist Sommer, die Zeit der traditionellen Korkernte auf der iberischen Halbinsel. Die Bäume bleiben bei dem Prozedere unversehrt und können etwa alle neun Jahre geschält werden. Diese im besten Sinne nachhaltige Bewirtschaftung der Korkeichenwälder bildet die Lebensgrundlage für viele Tausend Familien. Ihr wichtigstes Produkt sind Flaschenkorken. Doch seit einigen Jahren sinkt die Nachfrage: Viele Winzer verzichten auf die natürlichen Verschlüsse, da sie den berüchtigten Korkgeschmack fürchten. Wegen der schwindenden Nachfrage wurden schon einige Korkeichenwälder gerodet. Ein herber Verlust für die Umwelt, denn sie zählen zu den artenreichsten Lebensräumen Südeuropas.
Korkgeschmack ohne Kork
Riecht der Wein nach nassem Hund, dann gilt bisher meist der Korken als Ursache. Alternative Weinverschlüsse verdrängen ihn daher zusehends. Nur noch etwa jede dritte Weinflasche trägt einen Stopfen aus Kork. Auf den meisten stecken Kunststoff- oder Schraubverschlüsse. Doch das Problem ist damit nicht gelöst, denn auch bei Weinflaschen ohne Korkverschluss treten die gefürchteten Mufftöne auf, weiß Rainer Jung vom Weinforschungsinstitut Geisenheim: "Man spricht ja landläufig vom sogenannten Korkgeschmack, weil man einen dumpf-muffigen Fehlton kannte, der durch Naturkorken verursacht werden kann. Doch trotz der Alternativverschlüsse gibt es den Fehlton noch immer. Einen kausalen Zusammenhang nur mit dem Naturkorken kann man also nicht ziehen".
Seit Anfang der 80er-Jahre ist bekannt, dass hinter den Fehltönen im Wein halogenierte Anisole stecken. Vor allem Trichloranisol (TCA) macht den Winzern Kopfzerbrechen. Schon in geringsten Mengen - im Nanogrammbereich - kann diese Substanz einen Wein verderben. "Das ist, als wenn Sie ein paar Stücke Würfelzucker in den Bodensee werfen", erläutert Jung. TCA entsteht beispielsweise, wenn Mikroorganismen wie Schimmelpilze phenolhaltige Stoffe wie Naturkork in Gegenwart von Chlorverbindungen zersetzen. Als Chlorquelle kommen zum Beispiel scharfe Reinigungsmittel in Betracht.
Mufftöne aus dem Keller
Da TCA auch in Weinen auftaucht, die nie einen Korken gesehen haben, nahmen die Geisenheimer Weinforscher den gesamten Prozess der Weinherstellung unter die Lupe. Fündig wurden sie in den Wein-Kellereien. Das feucht-warme Klima dort schafft ideale Voraussetzungen für das Wachstum von Schimmelpilzen. Das allein muss noch keine negativen Folgen haben. Oft schlummern aber zusätzlich giftige Altlasten im Weinkeller, wie etwa chlorhaltige Holzschutzmittel, die früher sogar als Fassbehandlungsmittel eingesetzt wurden. Die in den Kellern häufig vorhandenen Schimmelpilze wehren sich gegen die für sie giftigen Chlorphenole, indem sie sie chemisch umbauen. Das Resultat dieser chemischen Umwandlung sind die harmlosen, jedoch äußerst geruchsintensiven Anisole.
Diese können in den Wein gelangen, wenn er mit der kontaminierten Luft in Berührung kommt. Aber auch der Umweg über den Verschluss ist möglich: Werden in einem kontaminierten Raum Weinverschlüsse aus Kunststoff gelagert, dann können diese das TCA regelrecht aufsaugen und später an den Wein abgeben - fertig ist der Muffton. Selbst bei Schraubverschlüssen ist das möglich, denn auch in denen steckt Kunststoff als Dichtungsmaterial.
Ein Filter soll helfen
Als Quelle der Kontamination kommen diverse Holzbauteile in Betracht, wie etwa eine mit Flammschutzmitteln behandelte Palette oder eine Holzdecke im Lagerraum. Sind gar tragende Teile mit Holzschutzmitteln behandelt, dann hat der Winzer ein Problem. Für kleinere Betriebe käme ein Abriss der Kellerei einem wirtschaftlichen Totalschaden gleich.
Kein Wunder, dass sich viele Winzer für eine nachträgliche Entfernung der Mufftöne mittels Filter interessieren. Bisher standen dafür nur Methoden zur Verfügung, die dem Wein gleichzeitig auch Aromastoffe entziehen. Eine neuartige Filterschicht soll jedoch die Mufftöne aus dem Wein filtern, ohne das Aroma zu beeinträchtigen. Eingesetzt wird sie im Rahmen der üblichen Entkeimungsfiltration, die kurz vor der Abfüllung der Weine erfolgt, um weinschädliche Keime zu entfernen. "In die neue Filterschicht ist Aluminiumsilikat eingearbeitet, das die mufftonverursachenden Substanzen zurückhält", sagt Jung. "Das Verfahren funktioniert zwar, ist aber in Europa bisher noch nicht zugelassen." Dennoch fragen schon heute viele Winzer die Geisenheimer Weinexperten nach dem neuen Filter.
Korken bleibt Edelverschluss
Für Edelwinzer sind Mufftonfilter freilich keine Alternative. Ebenso wenig wie Kunststoffstopfen oder Schraubdeckel, denn diese gelten als Verschlüsse für Billigware. Bei hochwertigen Weinen erfreut sich der natürliche Flaschenverschluss daher weiterhin großer Beliebtheit. "Naturkorken werden heute zwar in sehr viel geringerem Umfang eingesetzt als früher ", sagt Jung, "aber dafür kann man sich die besten Qualitäten aussuchen." Zudem haben die großen Korken-Hersteller ihre Produktionsanlagen modernisiert und das Qualitätsmanagement verbessert. Die Wahrscheinlichkeit für einen "Korkschmecker" ist daher stark gesunken. Für die Korkeichenwälder Südeuropas besteht also Anlass zur Hoffnung. Denn nur mit einer nachhaltigen Nutzung haben sie eine Zukunft.
Adressen
Forschungsanstalt Geisenheim
Von-Lade-Straße 1
65366 Geisenheim
Tel.: (06722) 502-0
E-Mail: info(at)fa-gm.de
Autor: Güven Purtul (NDR)
Stand: 16.09.2015 13:41 Uhr