So., 26.02.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Bio in der Großküche: Die "grüne" Kantine
Eine Krankenhausküche macht alles selbst - in Bio-Qualität
Rund 80 Prozent aller Vollzeit-Beschäftigten und Jugendlichen essen mittags außer Haus, viele davon in Kantinen. Doch in den Betriebsküchen und Schulmensen gibt es eher selten "bio". Meist scheitert es am Preis, an den Gewohnheiten oder am Personalaufwand. Zudem wird in Großküchen immer weniger frisch gekocht - halbfertige, so genannte "Convenience-Produkte" sind im Trend. Sie sparen Zeit und Personal, sind oft vorgekocht, werden verpackt geliefert und häufig nur noch aufgewärmt und abgeschmeckt. Dass in einer Großküche, die über 1.000 Essen am Tag an den Gast bringt, alles selbst gekocht wird, erscheint da kaum vorstellbar - von Bio-Qualität ganz zu schweigen.
Frisch und handwerklich gekocht
Doch es geht: Im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke machen die Köche alles von Hand, aus regionalen oder Bio-Produkten - und das für nur einen Euro mehr pro Essen. Küchenchef Patrick Wiesen setzt Bratensoße selbst an, mit frisch gerösteten Knochen, Tomatenmark und selbst zusammengestellten Gewürzen. Das Fleisch stammt von Bio-Schweinen aus der Region, für den Karamellpudding lässt eine Köchin Zucker schmelzen und rührt Bio-Milch und Bio-Stärke an. Nicht einmal Joghurt wird fertig gekauft, sondern mit Bio-Vollmilch und Bakterienkulturen im Reifeschrank hergestellt.
Alles das, sagt Patrick Wiesen, koste nicht mehr Zeit als die herkömmliche Convenience-Küche mit vorgekochter Fertig-Ware: "Auch Fertig-Soßen muss man aufmachen, verdünnen, aufwärmen, abschmecken, das sind mehrere Arbeitsschritte - und die Fertigsoße ist dazu noch teurer. Stattdessen haben wir bei unseren hausgemachten Soßen einen individuellen Geschmack ohne Geschmacksverstärker oder Zusatzstoffe. Und der Kunde weiß genau, was drin ist."
Ware nur aus der Region oder vom Biobauern
In Herdecke wird nur verarbeitet, was nachhaltig erzeugt wurde und ökologisch vertretbar ist, erklärt Wiese. Die Produkte kommen von zertifizierten Bio-Bauern oder, wenn das in Ausnahmefällen nicht geht, aus der Region und haben keine langen Transportwege hinter sich: "Uns geht es um Nachhaltigkeit, wir würden im Winter also jederzeit einen guten konventionellen Apfel vom Bodensee dem teuren Bio-Import aus Chile vorziehen und Erdbeeren oder Spargel gibt es bei uns im Winter auch nicht", sagt Geschäftsführer Klaus Richter, der auch für den Einkauf zuständig ist.
Bei Fleisch, traditionell das Teuerste in der Bio-Küche, gibt es ab und an auch Ware von konventionell arbeitenden Betrieben aus der Umgebung. Doch alle Lieferanten sind geprüft und persönlich bekannt und sie stammen aus dem Umland. Die kurzen Wege erlauben auch regelmäßige Besuche. "Wir kennen alle unsere Lieferanten und besuchen die Betriebe einmal im Jahr", sagt Richter. Wo es möglich ist, arbeiten die Herdecker mit sozialen Betrieben zusammen – so schält etwa eine Behinderteneinrichtung die Kartoffeln und liefert sie ins Krankenhaus.
Die Idee: Es soll schmecken wie bei Oma
Seinen Anfang hat das Konzept schon 1969 mit der Gründung des Gemeinschaftskrankenhauses genommen, damals die erste anthroposophisch geführte Klinik in Deutschland. Gutes Essen, so die Vorstellung der Gründer, kann und soll zur Genesung der Patienten beitragen. Nicht als Medizin wie in anderen Ernährungslehren, sondern schlicht als Beitrag zum Wohlbefinden: "Das ist ein Faktor, der sich im Kopf der Menschen abspielt. Wenn das Essen schmeckt, geht es einem Menschen besser. Er fühlt sich wohler und wird vielleicht schneller gesund – das ist unser Ziel", erklärt Klaus Richter. Statt der üblichen Krankenhausverpflegung mit dünnen Suppen und geschmackloser Schonkost gibt es herzhafte Hausmannsküche mit Gerichten, die, so der Wunsch von Klaus Richter, schmecken sollen "wie bei Oma": Schweinebraten mit Kruste und kräftiger Soße, Gulasch, Rouladen, Rippchen; Pudding und Nachspeisen aus Vollmilch, frische Salate, würziges Brot und knusprige Brötchen, vom Bäcker eigens nach Rezepten des Gemeinschaftskrankenhauses frisch gebacken.
Die Wende hin zu biologischen und regionalen Produkten war innerhalb der anthroposophischen Ausrichtung nur konsequent. Ausdrücklich wurden und werden weder Light- noch besondere Diätprodukte oder Süß- und Ersatzstoffe eingesetzt. Nicht nur, weil das nicht zum Bio-Konzept passen würde, sondern auch, weil es medizinisch sinnvoll ist. Diabetes-Patienten etwa, erklärt Klaus Richter, sollten besser den Umgang mit ganz normalen Lebensmitteln lernen, statt sich auf künstliche Produkte zu beschränken.
Budget gut kalkulieren
So gehen heute 1.500 Essen jeden Tag raus, doch nicht nur für Patienten und Mitarbeiter des Krankenhauses: Auch umliegende Schulen, Kindergärten und Altenheime bestellen täglich. Das Konzept ist so erfolgreich, dass daraus 2011 ein Geschäftsmodell entstand: Die Rebional GmbH. Geplant ist jetzt eine moderne Großküche für 5.000 Essen und für einen erweiterten Kundenkreis. Außerdem bietet die junge Firma ihr nachhaltiges Küchen-Konzept anderen Großküchen an. Schwerpunkt ist der soziale und gesundheitliche Bereich. Denn in Schulen, Altenheimen oder Kliniken sind meist die Ansprüche hoch und Bio-Produkte erwünscht, aber die Kassen sind notorisch klamm. Daher ist das Know-how der Rebional-Küchenchefs gefragt, die nach einer eingehenden Analyse des Betriebes so beraten, dass die Umstellung auf die teurere Ware und die Handarbeit auch in einem begrenzten Budget gelingt.
Ganz ohne Aufwand geht es allerdings nicht: "Das Personal muss geschult werden und für die zahlenden Gäste wird es etwas teurer. Aber der Unterschied ist kleiner, als viele glauben", sagt Geschäftsführer Klaus Richter. Als Einkäufer großer Mengen kann er straff verhandeln, außerdem bestehen die enormen Preisunterschiede, die es zwischen Bioladen und Supermarkt gibt, im Großhandel nicht. Richter vertreibt das Konzept und spricht mit den Kunden, Hilfe in der Praxis gibt es dann von den Küchenchefs: Patrick Wiesen und seine Kollegen coachen ihre Kunden in deren eigener Küche. Dazu fahren sie in die jeweiligen Betriebe und helfen beim Einspielen der Arbeitsschritte - das Gesamtziel: Eine ökologische Betriebsführung von Einkauf über Zubereitung und Resteverwertung bis zur Entsorgung.
Nur ein Euro mehr pro Essen
Die Mehrkosten für die Umstellung auf Handarbeit und Bioprodukte betragen in der Regel 30 Prozent. Das ist weit weniger als viele befürchten. Im Krankenhaus Herdecke zum Beispiel kostet das Mittagsgericht statt 3,50 Euro nur einen Euro mehr: 4.50 Euro. Die Gäste der Kantine legen das gerne drauf: "Bio muss man wollen, das ist klar. Letztlich ist die Preissteigerung aber vertretbar, das sehen wir an der Nachfrage", sagt Geschäftsführer Klaus Richter.
Dass es tatsächlich schmeckt wie hausgemacht oder bei Oma, bestätigen die Gäste auf Nachfrage. Einige von ihnen arbeiten weder im Krankenhaus noch sind sie Patienten oder Angehörige - aber sie wissen das gute und günstige Essen zu schätzen. Denn wie Oma alles selbst zu kochen, wäre in jeder Hinsicht aufwändiger und teurer. Gegenüber einer guten Großküche hat es ein Kleinhaushalt schwerer, wie Klaus Richter vorrechnet: "Ein warmes Essen mit Biofleisch und Biogemüse samt Nachtisch für unter fünf Euro, so billig kann kein Mensch zuhause kochen!"
Autorin: Johanna Bayer (WDR)
Stand: 29.07.2015 12:26 Uhr