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Braunes Fettgewebe

Warum braunes Fett nicht fett, sondern schlank macht

Wissenschaftler sitzen vor den Bildern einer PET-CT AUfnahme
Erst auf Aufnahmen eines PET-CTs konnten Ärzte das braune Fett erkennen. | Bild: NDR

Im Halbdunkel des fensterlosen Raumes flackern ungewöhnliche Bilder auf den Kontrollmonitoren. Sie zeigen Gehirn, Herz, Nieren und Skelett eines Patienten so real und plastisch, dass man meint, eine Kamera sei im Körperinneren installiert. Professor Norbert Stefan vom Universitätsklinikum Tübingen interessiert sich besonders für ein bisher wenig beachtetes Detail des erwachsenen, menschlichen Organismus: Braunes Fettgewebe. Es liegt in der Schulter-Nackenregion und verbrennt Kalorien, statt sie zu speichern wie das weiße Depotfett. Das braune Fett war nur zu erkennen, wenn man es mithilfe eines bildgebenden Verfahrens der Nuklearmedizin sichtbar machte: Die Positronen-Emissions-Tomographie in Verbindung mit der Computertomographie, kurz PET-CT (Erklärung siehe Infokasten).

Professor Norbert Stefan beschäftigt sich als Endokrinologe mit den hormonellen Prozessen im menschlichen Körper und forscht zu den Themen Übergewicht und Diabetes: "Wir versuchen seit Jahren, eine wirksame Therapie gegen krankhaftes Übergewicht zu finden. Diese Technologie hat uns dabei ein Stück weiter gebracht, denn sie hat uns geholfen, das braune Fett besser zu erforschen."

braunes Fett - das Heizkraftwerk des Körpers

Verteilung des braunen Fettes beim Säugling
Bei Säuglingen ist der Anteil des braunen Fettes am Körper bei zwei bis fünf Prozent. | Bild: NDR

"Man muss sich das braune Fett wie eine Heizung vorstellen. Es verbrennt Energie und macht daraus Wärme", sagt Norbert Stefan. Diesen Mechanismus kennen Mediziner von Säuglingen schon lange. Die haben besonders viel braunes Fett, damit sie nicht auskühlen. Denn Babys besitzen kurz nach der Geburt wegen ihrer geringen Muskelmasse noch nicht die Möglichkeit, Wärme durch Muskelzittern zu produzieren. Auch haben Neugeborene ein größeres Körperoberfläche-Volumen-Verhältnis und zusammen mit der proportional größeren Kopfoberfläche führt das zu einem höheren Wärmeverlust. Bei den Kleinsten macht der Anteil des braunen Fettes noch zwei bis fünf Prozent des Körpergewichtes aus. Im Laufe der ersten Lebensjahre wird dieser Anteil aber immer geringer.

Die Wiederentdeckung einer körpereigenen Waffe gegen Übergewicht

Verteilung des Braunen Fettes beim Erwachsenen
Erwachsene verfügen auch noch über braune Fettzellen. | Bild: NDR

"Wir haben lange Zeit geglaubt, dass der erwachsene Mensch nur noch nutzlose Reste des braunen Fettes im Körper hat. Bis im Jahre 2009 drei wissenschaftliche Arbeiten im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden. Ihr Inhalt war eine kleine Sensation und hat die Fachwelt aufhorchen lassen", so Prof. Stefan. Denn hier wurde erstmals belegt, dass auch Erwachsene das braune Fett noch als Heizung nutzen - und Kalorien in Wärme umwandeln können. Diese Entdeckung haben die Wissenschaftler der in den 1990er-Jahren eingeführten PET-CT-Technologie zu verdanken. Das Verfahren wurde ursprünglich eingesetzt, um Krebszellen aufzuspüren. Bei ihren Untersuchungen stießen die Forscher aber regelmäßig auf hochstoffwechselaktives Gewebe, das sie nicht bestimmen konnten. Es dauerte lange, doch 2009 konnten sie schließlich beweisen, dass es sich um braunes Fettgewebe handelt.

Junge und schlanke Menschen haben viel aktives braunes Fett

Steinzeitmenschen sitzen am Feuer- nachgestellte Szene
Fett in Wärme umwandeln: Eine gute Strategie für das Überleben im Freien. | Bild: NDR

Anhand systematischer Auswertungen von PET-CT Messungen haben Forscher herausgefunden, dass das braune Fett nur bei vier bis sieben Prozent der bei Raumtemperatur untersuchten Menschen aktiv ist. Dagegen hatten 90 Prozent der Probanden aktives braunes Fettgewebe erst bei einer Umgebungstemperatur von 16 Grad Celsius. Außerdem zeigten diese Untersuchungen, dass junge Menschen mehr braunes Fett haben als alte Menschen und Schlanke mehr als Übergewichtige. Damit war klar: Ein wichtiger 'Schalter' um das braune Fett zu aktivieren, ist Kälte. Da wir uns heute aber in geheizten Räumen aufhalten und viel weniger der Kälte ausgesetzt sind als noch vor 100 Jahren, fängt das Gewebe bei vielen Menschen gar nicht erst an zu arbeiten.

Eine neue Therapie könnte das braune Fett aktivieren

Professor Norbert Stefan will die Erkenntnisse zum braunen Fett nutzen, um seinen Patienten zu helfen, ihre krank machenden Pfunde zu verlieren. Er hat eine Methode entwickelt, die die schlummernden Heizkraftwerke mithilfe von Hormonpräparaten aktivieren soll. In tierexperimentellen Versuchen haben Wissenschaftler nachgewiesen, dass sich braune Fettzellen durch bestimmte Hormone und Enzyme aktivieren lassen. Die Tübinger wollen das aus der Schilddrüsenbehandlung bekannte Hormon L-Thyroxin einsetzen, um das braune Fett 'anzuschalten'. Bei einem Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion war das bereits erfolgreich.

Für belastbare Aussagen müssen aber wesentlich mehr Menschen untersucht werden. Bisher war das ein großes Problem. Denn PET-CT Untersuchungen sind so belastend für den Organismus, dass sie sich für reine Forschungszwecke kaum eignen. Deshalb haben die Radiologen des Tübinger Uniklinikums eine neue Methode entwickelt, die die Belastung für den Körper so reduziert, dass die Forscher sogar fettleibige Kinder untersuchen können. Dabei handelt es sich um die PET-Magnetresonanztomographie, kurz PET-MRT (siehe Infokasten). Mit dieser Technik wollen die Mediziner nun in einer Studie Menschen mit Schilddrüsenunter- und Überfunktion untersuchen und herausfinden, welchen Zusammenhang es zwischen ihrer Krankheit und der Aktivität ihres braunen Fettes gibt.

Abnehmen bald auf Rezept?

Die These der Forscher: Menschen mit Schilddrüsenunterfunktion haben gar kein aktives braunes Fett. Sollte sich das Gewebe durch eine dreiwöchige Gabe von L-Thyroxin anschalten lassen, dann wäre es ein Beleg dafür, dass das braune Fett auf dieses spezielle Hormon reagiert. Und das wäre nicht nur für übergewichtige Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion eine gute Nachricht, sondern auch für diejenigen, die eine normal arbeitende Schilddrüse haben. Denn auch sie könnten das Hormon unter ärztlicher Aufsicht zur Aktivierung ihres braunen Fettes bekommen.

Ein bequemer Weg, ein paar überflüssige Pfunde los zu werden, wird das in Zukunft aber nicht sein. Denn für Professor Stefan ist klar, dass nur krankhaft übergewichtige Menschen unter ärztlicher Aufsicht von dieser Therapie profitieren dürfen.

Zusatzinfos

Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

Die Positronen-Emissions-Tomographie kommt seit den 1990er-Jahren in Kliniken als bildgebendes Verfahren zur Diagnostik verschiedener Krankheiten zum Einsatz. Sie erzeugt Schnittbilder von lebenden Organismen, indem sie die Verteilung einer schwach radioaktiv markierten Substanz im menschlichen Körper sichtbar macht und damit biochemische und physiologische Funktionen abbildet.

Computertomographie (CT)

Die Computertomographie ist ein etabliertes Röntgenverfahren, mit dem feinst strukturierte Schichtbilder des Körpers mithilfe von Röntgenstrahlen erstellt werden.

Magnetresonanztomographie (MRT)

Die Magnetresonanztomografie, auch bekannt als Kernspintomografie, ist ein Verfahren zur Darstellung der inneren Organe und Gewebe mithilfe von Magnetfeldern und Radiowellen.

Positronen-Emissions-Tomographie/Computertomographie (PET/CT)

Die PET/CT ist eine Kombination aus Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Computertomographie (CT) in einem Gerät. Sie vereint zwei unterschiedliche bildgebende Verfahren und ermöglicht so die Erstellung eines präzisen Bildes, indem Körperstruktur und Körperfunktion in einem Bild vereint dargestellt werden.

Autorin: Julia Offen (NDR)

Stand: 29.07.2015 13:29 Uhr

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So., 15.01.12 | 17:03 Uhr
Das Erste

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