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Der Rhythmus des Ätna

Feurige Galavorstellung

Neu entstehender Kegel einer Flankeneruption 2001
Durch eine Flankeruption ist ein neuer Kegel entstanden. | Bild: BR

Er ist der größte Vulkan Europas und einer der aktivsten der Erde: Der Ätna auf Sizilien. Seine Ausbrüche sind ein beeindruckendes Naturschauspiel: Über 2.000 Meter hoch können die Lavafontänen bei seinen kurzen, aber umso heftigeren Tobsuchtsanfällen in den Himmel schießen - die großen Feuerberge auf Hawaii schaffen gerade mal ein Drittel. Alle paar Wochen gibt es solche kürzeren Ausbrüche, alle paar Jahre gewaltige Eruptionen. Und im Schnitt alle 250 Jahre bricht er sogar weit weg von seinen Gipfelkratern irgendwo an seiner Flanke aus - wo seine Lavaströme ganze Städte verschlingen können. Trotz der regen Tätigkeit gelten die Ausbrüche des Ätna für die Menschen als relativ ungefährlich - doch ist das wirklich so? Im vulkanologischen Institut in Catania versuchen die Forscher den Berg besser zu verstehen. Sie lauschen nach Hinweisen aus der Tiefe - und der Berg liefert ihnen große Oper.

Der große Unbekannte

Die "Zyklopeninseln" bei Aci Castello, Reste des "Ur-Ätna"
Die Zyklopeninseln bei Aci Castello sind Reste des "Ur-Ätna". | Bild: BR

"Der Ätna ist für uns Vulkanologen deshalb ein so interessantes Forschungsobjekt, weil er praktisch die gesamte Bandbreite vulkanischer Tätigkeiten bietet", so der Vulkanologe Boris Behncke. Tatsächlich lässt sich der Ätna in kein gängiges Schema einordnen - wie der Vulkan wirklich funktioniert, bleibt für die Wissenschaftler ein Rätsel. Der Sockel des gewaltigen Bergmassivs, das eine Fläche von 200 Quadratkilometern bedeckt, erscheint wie ein klassischer Basaltvulkan, ähnlich wie die hawaiianischen Feuerberge. Solche Basaltvulkane stoßen relativ dünnflüssiges Magma aus, das bei seinem Weg zur Erdoberfläche bereits einen großen Teil seiner gelösten Gase verloren hat. Es ist die Kraft dieser Gasausdehnung, die das Magma aus dem Schlot treibt - wie bei einer Sektflasche, der man den Korken zieht. Je dünner die Gesteinsschmelze, desto leichter kann das Gas entweichen und desto ruhiger verlaufen die Ausbrüche. Deshalb sind solche "effusiven" Eruptionen meistens recht harmlos - obwohl bei ihnen oft gigantische Mengen flüssigen Gesteins gefördert werden. Lange Zeit galt der Ätna als ein solcher ruhiger "roter" Vulkan - doch er kann auch ganz anders!

"Plattensalat" mit Folgen

Ausbruch des Ätna
Explosive Ausbrüche | Bild: BR

Jüngere Forschungen belegen eindeutig, dass der Berg sein Ausbruchsverhalten zunehmend ändert. Sein oberer, jüngerer Teil ähnelt eher den spitzkegeligen, explosiven Vulkanen. Es scheint, als würden sich zu dem basaltischen Magma auch Schmelzen aus einer anderen Quelle mischen, die ein eher explosives Ausbruchsverhalten verursachen, wie bei den gefährlichen "grauen" Vulkanen, beispielsweise dem Vesuv. Bei solchen Vulkanen sind die Gase in zähen Gesteinsschmelzen gefangen und dehnen sich schlagartig aus, wenn der Druck auf das Magma nachlässt. Die Folge: Gewaltige Explosionen und "pyroklastische Ströme", so genannte "Glutlawinen".

Der Ätna kann beide Ausbruchsformen zeigen, denn er steht in einem Gebiet, wo sich zahlreiche große und kleine tektonischen Platten verschieben - und sich offenbar flüssiges Gestein aus unterschiedlichen Quellen tief im Berg sammelt und vermischt. Die Wissenschaftler nennen ihn deshalb "Vulkankomplex" - und horchen Tag und Nacht, was in dem feurigen Sizilianer so vor sich geht.

Mal tiefer Bass, mal heller Sopran

Kraterkette auf der "Pernicana-Spalte", Flankeneruption 2002
Manchmal reißt die Erde entlang einer Spalte auf. | Bild: BR

Das Grollen und Brummeln des brodelnden Magmas tief unter der Erde beobachten Boris Behncke und seine Kollegen mit Hilfe von Seismografen. Die Forscher versuchen hinter den Signalen aus der Tiefe ein Muster zu erkennen, das einen möglichen Ausbruch des Berges ankündigen könnte. Eines der wichtigsten ist der vulkanische Tremor, eine Dauervibration, ausgelöst durch das Ausperlen von Gasbläschen in dem flüssigen Gestein - ähnlich dem Säuseln des Sprudels in einem Glas Limo. Beim 3.350 Meter hohen Ätna mit seinem gewaltigen Magmareservoir klingt dieses Sprudeln allerdings ein klein wenig anders: "Der Vulkan verhält sich hier wie ein sehr voluminöser Klangkörper, wie ein kräftiger, beleibter Bass-Sänger", erklärt Boris Behncke.

Tatsächlich verrät die Frequenz des Tremors den Forschern viel darüber, wie der Berg gerade tickt: Je höher die Schwingungen, desto explosiver werden die Eruptionen. Doch der Wissenschaftler kann beruhigen: "Diese explosiven Ausbrüche, so gewalttätig sie auch wirken mögen, sind sehr oberflächliche Phänomene, mit sehr kleinen Volumina." Der Ätna ist eine launische Diva und es ist ein Glück für Boris Behncke und seine Kollegen, dass diese Diva kein Geheimnis aus ihrer Gemütsverfassung macht.

Vorhersagen durch die "Ätna-Sinfonie"

Die "klassischen" drei der inzwischen fünf Hauptkrater der Ätna
Die klassischen drei Hauptkrater: Nordostkrater, "Voragine Grande" (Großer Schlund) und "Bocca Nuova" (Neuer Mund). | Bild: BR

Der Tremor ist keineswegs das einzige Signal, das die Wissenschaftler mit Argusaugen beobachten: Das Magma in den Schloten löst bei seinem gemächlichen Köcheln auf kleiner Flamme immer wieder schwache Erdbeben aus: "Man muss sich so etwas wie einen Kochtopf vorstellen, mit einer ganz dicken Tomatensoße". Dieses rhythmische Blubbern ist beinahe so etwas wie ein Puls des Vulkans. Erreicht der Pulsschlag mehr und mehr die Erdoberfläche, sendet er nicht nur Erdbebenwellen, sondern auch atmosphärische Schwingungen aus. Diese Infraschalltöne liegen knapp unter der menschlichen Wahrnehmungsschwelle, können aber von Tieren durchaus gehört werden. Zusammengenommen bilden die unterschiedlichen Signale ein Orchester, in dessen Zusammenspiel der Schlüssel zu einer Vorhersage von Ausbrüchen liegt: Hier haben die Wissenschaftler eine Software entwickelt, die nach bestimmten Mustern in dem Durcheinander sucht, die auf ein bevorstehendes Ereignis hindeuten. Erreicht der Tremor eine bestimmte Frequenz, und steigt der Pulsschlag an, gibt es ab einem gewissen Punkt kein Zurück mehr. Das System arbeitet nach Angaben der Forscher inzwischen mit einer Genauigkeit von weit über 90 Prozent - einmalig in der Welt.

Ein harmloser Vulkan?

Die Ausbrüche des Ätna sind groß und spektakulär, gefährden aber nur selten Menschenleben. Meistens betreffen sie die vulkanische Wüste in den oberen, unbewohnten Teilen des Bergmassivs. Doch hin und wieder dringen die Lavaströme auch bis in menschliche Siedlungen vor - 2002 fiel ihnen ein Skigebiet zum Opfer, eine komplette Ortschaft wurde zuletzt 1928 verschlungen. Doch es muss nicht bei diesen relativ kleinen Schäden bleiben, denn die Wissenschaftler beobachten auch ein anderes, besorgniserregendes Phänomen: Der Berg bricht unter seinem eigenen Gewicht auseinander. Wird der Druck in seinem Innern zu groß, reißen über eine Länge von mehreren Kilometern Spalten auf, an denen das flüssige Gestein an dutzenden verschiedenen Stellen an die Oberfläche schießt. Bei solchen Flankeneruptionen bewegt sich die gesamte Ostseite des Berges um bis zu zwei Meter von dem Hauptmassiv weg - eine Gesteinsmasse von rund 2.000 Kubikkilometern!

Theoretisch können sich diese Spalten auch in den unteren, bewohnten Gebieten des Ätna öffnen - rund 900.000 Menschen leben in diesem Gebiet. Es ist nicht auszuschließen, dass sich eines Tages wieder ein Lavastrom durch die Straßen von Catania wälzt, wie zuletzt im Jahre 1669. Doch zumindest sind die Einwohner vorgewarnt: Denn die Wissenschaftler vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie hören hin, wenn sich der Feuerberg zum großen Konzert einstimmt.

Autor: Frank Bäumer (BR)

Stand: 03.11.2015 09:49 Uhr

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