So., 29.01.12 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die neuen Väter: Kuschelweich und fürsorglich?
Kinderglück senkt Testosteron
Glaubt man den Evolutionsbiologen, dann ticken Männer seit Urzeiten gleich: Sie suchen auch dann 'testosterongesteuert' weiter nach Verbreitungsmöglichkeiten für ihr Erbmaterial, wenn sie schon eine Familie gegründet haben, und kümmern sich nur ungern um den Nachwuchs. Hormonforscher behaupten nun in einer kürzlich veröffentlichten Studie aus den USA genau das Gegenteil: Rund um die Geburt des eigenen Nachwuchses würden Väter sozusagen 'kuschelweich', ihr Testosteron-Spiegel sinke, sie seien fürsorglicher denn je. Vielleicht sogar so sehr, dass sie gar keine echten Männer mehr sind, sondern eher eine Art 'Mapi', eine Mischung zwischen Papi und Mami, allerdings ohne Brüste.
Doch stimmt das? Wie sind sie denn nun wirklich, die Väter? Testosterongesteuert und gefühlskalt, oder kuschelweich und unmännlich? Bisher sind sie vor allem die Exoten in der Krabbelgruppe, über die man im Prinzip kaum etwas weiß. Jetzt beginnt eine neue Etappe der Väterforschung - denn wie die neuen Väter wirklich ticken, darüber herrschte bisher unter Forschern keinerlei Einigkeit.
Der neue Vater - nur eine gesellschaftliche Wunschvorstellung?
Sein großer Sohn ist vier, der kleine ein Jahr alt - und bald wird Michael Schranz zum dritten Mal Papa. Der 29-jährige Schweizer scheint typisch für die Generation der 'neuen Väter', wie die Medien sie gerne sehen: fürsorglich und engagiert trotz Vollzeitjob. Er genießt das Vater-Sein und schwärmt davon: "Für mich ist das eine riesen Bereicherung. Am Anfang hatte ich Angst, bin ich nicht zu jung, verpass ich da nicht mein halbes Leben und so weiter. Aber als ich dann das Kind auf den Händen hielt, war für mich klar, das ist etwas von dir, du bist der Vater - ein wunderschönes Gefühl."
Sind treusorgende Väter wie er heute die Regel oder nur eine gesellschaftliche Wunschvorstellung? Was wissen wir überhaupt über sie - das fragen sich Frank Luck und Nina Wehner vom Institut für Geschlechterforschung der Universität Basel. Wird das starke Geschlecht durch den Umgang mit Kindern tatsächlich weicher? Und bedeutet das, dass die neuen Väter weniger männlich sind? Zur Überraschung der Forscher hat das bisher niemand wirklich erforscht. Soziologin Nina Wehner und ihre Kollegen nahmen das in den letzten Jahren zum Anlass, sich genauer mit den Vätern beschäftigen: "Unsere Motivation eine Studie über Väter zu machen war im wesentlichen die, dass die Studien, die es bisher gibt, sich immer noch stark auf Frauen konzentrieren, auf Mutterschaft konzentrieren", erklärt Wehner. "Und wir wollten bewusst die Männer ins Zentrum stellen und wie sie Geburt und Schwangerschaft erleben." Das Phänomen 'neue Väter' wollen sie von möglichst vielen Seiten beleuchten. Pflegewissenschaftler Frank Luck möchte dabei in den nächsten Jahren unter anderem Bezüge zwischen Männerforschung und Medizin herstellen. Erste Station ist die Klinik für Geburtsmedizin der Universität Basel. Hier kennt man sich auch mit Vätern aus.
Schwangerschaftsbeschwerden bei werdenden Vätern?
Klinikleiter Johannes Bitzer trifft Männer meist als Begleiter ihrer Frauen in den Monaten vor der Geburt. Dabei erfährt er einiges über sie, auch wenn er zunächst Mutter und Kind im Fokus hat. Immer wieder beobachtet er, dass auch Väter in der Schwangerschaft ihrer Frau über ungewöhnliche körperliche Symptome klagen. Bitzer hält das - schon aus psychosomatischer Sicht - nicht für verwunderlich. Schließlich werden Männer in den letzten Jahrzehnten zunehmend stärker in Vorgänge rund um Schwangerschaft und Geburt einbezogen. Anders als früher sind sie zum Beispiel bei den Ultraschalluntersuchungen, Geburtsvorbereitungskursen und auch der Geburt selbst dabei. Viele nehmen sich auch nach der Geburt - zumindest für eine Weile - mehr Zeit für die Familie. Er vermutet, dass es unter anderem mit der größeren Nähe zwischen Mutter und Vater zusammenhängt, dass sich Väter in der Zeit der Schwangerschaft ähnlich fühlen wie ihre Frauen: "Schlafstörungen, Übelkeit, Essgelüste, also schwangerschaftsähnliche Symptome findet man auch bei Männern", berichtet Bitzer. Phänomene, die neuerdings auch die Forschung bestätigt. "Und wenn man dann nachgeschaut hat, womit könnte das zusammenhängen", erklärt Bitzer, "dann haben eben auch einige Studien gezeigt, dass es zur Veränderung von Hormonen kommt."
Rund um die Geburt verändert sich also nicht nur der Hormonhaushalt der Mütter, sondern auch der der Väter. Das beobachtet auch der Hormonexperte in Bitzers Team: der Endokrinologe Gideon Sartorius. Internationale Studien bestätigen, was er und die Baseler Geburtsmediziner aus ihrem Klinikalltag wissen: "Was wir sagen können ist, dass bei Männern nach der Geburt der Testosteron-Spiegel sinkt", beschreibt Sartorius die Studienergebnisse. "Möglicherweise hat das damit zu tun, dass Männer, die sich intensiv um ihren Nachwuchs kümmern, gestresster sind, dass sie weniger Schlaf haben."
Schmusepapas dank Kuschelhormon?
Weniger Testosteron im Blut durch Kinderstress - macht das nun aus echten Männern unmännliche Schmusepapas? Der Hormonexperte meint nein, denn solche Interpretationen lassen die Laborwerte des Testosterons gar nicht zu. Seiner Ansicht nach können sowohl Männer mit hohen Testosteron-Werten fürsorgliche Väter sein, als auch solche mit niedrigem Testosteron-Spiegel. Ein anderes Hormon sagt da in den Augen der Experten viel mehr aus.
Bei Vätern wie Michael Schranz, die sich viel um ihren Nachwuchs kümmern, steigt das so genannte Kuschelhormon Oxytocin. Und das hat - nach neueren Forschungsergebnissen - mit der Bindung zum Kind zu tun. "Das ist ein anderes Hormon, was uns zeigt, dass sowohl Mütter als auch Väter physisch durch eine Geburt verändert werden", erklärt Sartorius. "Und zwar je intensiver und zärtlicher der Kontakt von den Eltern mit dem Kind ist, desto stärker steigt das Oxytocin an."
Doch wie macht sich das im Verhalten der Väter bemerkbar? Das können die Basler Ärzte nicht beantworten, hier sind Soziologen gefragt. Väterforscherin Nina Wehner hat sich deshalb auf den Weg gemacht und Familien in der ganzen Schweiz besucht. Mit wissenschaftlichen Leitfadeninterviews untersuchte sie, wie wichtig ihnen die Bindung zu Kindern und Partnerin ist und ob sie für die neue Vätergeneration eine größere Rolle spielt als früher. Zum Beispiel bei Michael Schranz. Ist er die Ausnahme oder verkörpert er tatsächlich einen neuen Vätertyp? Nach alten Rollenklischees können Männer angeblich gar nicht treu und fürsorglich sein. Statt nach ihren eigenen Babys schauen sie nach anderen Frauen. - Hieß es. Stimmt das heute noch? Nina Wehner meint, nein: "Bei keinem unserer Interviewpartner konnte man den Eindruck haben, dass es ihnen nur darum geht, ihr Erbgut möglichst breit zu streuen, sondern das eigene Kind, die eigene Familiengründung stellte ein ganz bedeutsames Ereignis im eigenen Leben dar, und es ging vor allem darum, das möglichst gut hinzubekommen."
Neue Väter: Starke Bindung und hoher Anspruch
Jetzt steht es also streng wissenschaftlich fest - es gibt sie tatsächlich, die neuen Väter, mit starker Bindung zur Familie und sehr hohen Ansprüchen an sich selbst. Und genau so geht auch Michael Schranz seine Vaterschaft an: "Am Anfang hab ich immer gezweifelt, ist das wirklich das richtige, was ich jetzt mache. Hat er denn jetzt wirklich Hunger, ist er müde, war ich jetzt zu streng oder nicht streng genug. Und diese Sicherheit kommt schon mit der Zeit. Und auch wenn man mal einen falschen Weg eingeschlagen hat, ist es primär wichtig, Zeit mit dem Kind zu verbringen und die Beziehung zu pflegen. Und ob etwas zu 100prozentig richtig ist oder nicht, das spielt heute im Vergleich zu früher für mich inzwischen eine untergeordnete Rolle. Und ich hinterfrage das nicht mehr so stark und fühle ich mich auch sicherer im Umgang mit den Kindern."
Auf die Herausforderung Familie reagieren die 'neuen Väter' zunehmend ähnlich wie ihre Partnerinnen. Unmännlicher macht sie das aber nicht, da sind sich Mediziner und Geschlechterforscher einig: "Also was die vielbeschworenen neuen Väter vielleicht ausmacht, ist ein hoher Anspruch, ein guter Vater zu sein", beschreibt sie die Studienergebnisse: "Wir haben festgestellt, dass die Jüngeren ein sehr viel größeres Zutrauen haben in ihre Fähigkeiten was Vaterschaft anbelangt, dass sie im Vergleich zu den älteren sehr viel stärker von den Partnerinnen verlangen, sie auch mal ranzulassen und nicht mit aller Selbstverständlichkeit alle Erziehungsaufgaben an die Partnerin delegieren."
Adressen & Literatur
Zentrum Gender Studies
Universität Basel
Steinengraben 5
CH - 4051 Basel
Internet: genderstudies.unibas.ch
Universitätsspital Basel
Frauenklinik
Spitalstrasse 21
4031 Basel
Internet: www.unispital-basel.ch
Literatur
Das Väter-Handbuch: Theorie, Forschung, Praxis
Walter, Heinz & Eickhorst, Andreas:
Gießen, Psychosozial-Verlag
Erscheint im Februar 2012
Preis: 69,90
Zusatzinfos
Oxytocin ist ein Hormon mit großer Bedeutung für den Geburtsprozess und das Stillen. Es spielt eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Wehen. Zudem ist es seit einiger Zeit als "Bindungshormon" oder populärwissenschaftlich "Kuschelhormon" im Gespräch. Es beeinflusst nicht nur das Verhalten zwischen Eltern und Kind, sondern auch zwischen Geschlechtspartnern und ganz allgemein soziale Interaktionen.
Genderstudies: Der Begriff wird im Deutschen als "Geschlechterforschung" übersetzt und beinhaltet die wissenschaftliche Analyse der Entstehung, Relevanz, Geschichte und Praxis von Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Geschlecht wird in diesem Zusammenhang als soziokulturelle Konstruktion verstanden (= gender), die auch die Dimension Sexualität (= sex) berücksichtigen muss. Gender meint also weniger das biologische, als eher das soziale Geschlecht. Die Geschlechterforschung ist sowohl Kultur- als auch Sozialwissenschaft und untersucht die Beziehungen der Geschlechter untereinander.
Autorin: Scarlet Löhrke (SWR)
Stand: 04.11.2015 12:06 Uhr