So., 06.05.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
EHEC - eine Spurensuche
Die Epidemie
Am 20. Mai 2011 untersuchen Vertreter des Robert-Koch-Instituts in Hamburg die Krankheitsfälle von drei Kindern, die sich mit einem Erreger des Bakteriums Escherichia coli infiziert haben. Bei dieser Untersuchung fällt auf, dass auch auf anderen Stationen des Klinikums ungewöhnlich viele Patienten an ähnlichen Symptomen leiden. Sie haben sich mit einem EHEC -Erreger infiziert, einem besonders aggressiven und lebensbedrohlichen Stamm der E.coli Bakterien. Für die Mediziner besonders beunruhigend ist die große Zahl an jungen Frauen, die an blutigen Durchfällen und dem lebensbedrohlichen hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) leiden. Wie sich erst zu diesem Zeitpunkt herausstellt, hatte bereits Anfang Mai 2011 die EHEC-Epidemie in Deutschland begonnen. Hamburg ist das "Epizentrum" des weltweit größten EHEC-Ausbruchs. In der Hansestadt haben die großen Kliniken Hunderte EHEC-Patienten zu versorgen. Insgesamt werden in Deutschland von Mai bis Juni 855 Erkrankungen an HUS und 2.987 Fälle von akuter Gastroenteritis gezählt. 50 Patienten sterben an den Folgen.
Der Erreger
"Enterohämorrhagische Escherichia coli"(EHEC)-Bakterien galten von Anfang an als Auslöser der Epidemie, doch stellten die Mediziner fest, dass es sich um einen bis dahin weitgehend unbekannten Stamm der krankheitsauslösenden Bakterien handelte. Schließlich konnte der Münsteraner Bakterienforscher Helge Karch den Erreger identifizieren. Dieser EHEC-Stamm, den die Forscher O104:H04 nennen, hat sich nach und nach äußerst seltene und in dieser Kombination zudem sehr gefährliche Eigenschaften angeeignet. Von einem fremden Bakterium, das die Rote Ruhr auslöst, war ein kleines Stück Erbgut in ein E.coli-Bakterium gelangt. Mit dieser fremden Erbinformation war das E.coli-Bakterium in der Lage ein besonders gefährliches Gift zu bilden, das so genannte "Schigatoxin". Von eigenen Artgenossen, also Bakterien anderer Escherichia coli Stämme, bekam das sowieso schon gefährliche Bakterium dann auch noch weitere Fähigkeiten übertragen: So kann es sich besonders fest an die Darmwand anheften und ist gegen viele Antibiotika immun.
Die Symptome
Besonders die Fähigkeit der EHEC-Bakterien, das Gift Shigatoxin zu bilden und damit den menschlichen Körper anzugreifen, macht den Ärzten an den Kliniken zu schaffen. Das Shigatoxin zerstört Zellen in den Blutgefäßen der Niere und die dadurch entstehenden Gerinnsel verstopfen das Organ, es kommt zu Nierenversagen. Neben der Niere kann das Gift aber auch Zellen des Gehirns schädigen. So zeigten viele der EHEC-Patienten schwere Bewusstseinsstörungen, Angstzustände bis hin zu epileptischen Anfällen. Mit der Dialyse, der Blutwäsche, und der Plasmapherese, einem ähnlichen Verfahren, mit dem das Blutplasma gereinigt wird, versuchten die Ärzte das Gift aus dem Kreislauf der Patienten zu filtern.
Die Suche nach der Quelle
Sofort nach Bekanntwerden des EHEC-Ausbruchs suchen die Gesundheitsbehörden der Länder und des Bundes nach der Quelle der Erreger. Anfangs kommen frisches Gemüse, Salat und Gurken in Verdacht, weil viele der Patienten angeben, dass sie diese Lebensmittel zu sich genommen haben. Indizien führen schließlich zu einem Hof in Niedersachsen, wo Bockshornkleesamen aus Ägypten zu Sprossen weiterverarbeitet wurden. Mit diesen Bockshornkleesamen kamen die EHEC-Erreger nach Deutschland, glauben Epidemiologen und Behörden heute. Die Sprossen brachten sie auf die Teller und übertrugen die Bakterien auf die Patienten.
Ein Jahr später
Bei den Betroffenen zeigen sich heute noch im Ultraschallbild an ihren Nieren Spuren, die das Gift und die Krankheit hinterlassen haben. Noch nach einem Jahr lassen sich bei vielen ehemaligen Patienten die Entzündungen nachweisen, die durch das Shigatoxin ausgelöst wurden, sagt der Nephrologe und leitende Oberarzt der Asklepios Klinik, Dr. Tobias Meyer. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Untersuchung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Mit 104 der EHEC-Patienten hat dort der Chef der Inneren Medizin Prof. Rolf Stahl im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums eine Studie über mögliche Folgeschäden angestellt. Sein Fazit: Bei etwa fünf bis sieben Prozent der Patienten lassen sich für die Nieren noch Schäden feststellen. Schwerer können Mediziner die Folgen der Infektion für das Gehirn abschätzen. Bei einigen Patienten haben sich die vom Gift ausgelösten Veränderungen im Gehirn nicht zurückgebildet. Bei den meisten jedoch können die Neurologen heute nichts Ungewöhnliches mehr erkennen.
Autor: Tilman Wolff (WDR)
Stand: 07.08.2013 09:20 Uhr