So., 22.07.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Gesichter-Erkennung
Täglich wird das Gehirn von unzähligen Bildern bombardiert. Doch auf nichts reagiert es mit so viel Interesse wie auf Gesichter. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hat das Gehirn ein Gesicht als solches erkannt und bewertet - noch bevor sich der Verstand einschalten kann. Ist uns der Mensch, der gerade aus dem Fahrstuhl steigt, sympathisch? Der erste Eindruck steht fest, bevor wir das Gesicht des Anderen überhaupt bewusst wahrnehmen.
Das liegt daran, dass es für unsere Vorfahren schon immer überlebenswichtig war, das Gesicht eines Tieres oder Feindes im Gebüsch zu entdecken und seine Absichten einzuschätzen. Aus diesem Grund ist das menschliche Gehirn im Lauf seiner Entwicklung zum Gesichter-Spezialisten geworden. Angreifen, wegrennen oder freundlich lächeln - das richtige Verhalten ist nur möglich, wenn das Gehirn blitzschnell eine Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stellt.
Fehlerhafte Blitzurteile
Nicht immer liegt das Gehirn mit seinem ersten Eindruck richtig. Dafür ist es schnell, sehr schnell. In weniger als 100 Millisekunden ordnet es einem Gesicht bestimmte Charaktereigenschaften zu - völlig automatisch. Das hat Alex Todorov von der New Yorker Universität Princeton in zahlreichen Studien nachgewiesen. Gesichter mit großen, auseinanderstehenden Augen, die uns an Kindergesichter erinnern, empfinden wir sofort als vertrauenswürdig. Gleichzeitig neigen wir dazu, sie für inkompetent zu halten. Gesichter mit eng stehenden Augen und einem kantigen Kinn wirken auf uns aggressiv. Dieses Urteil kann auch der Verstand nicht mehr korrigieren, der sich nach etwa einer Drittelsekunde unbewusster Verarbeitung dazuschaltet. Ein Gesicht neutral zu betrachten, ist für den Menschen völlig unmöglich, auch wenn er sich genau das vornimmt.
Wie Babys Gesichter sehen
Das Gehirn muss die Gesichtserkennung nicht lernen. Diese Fähigkeit ist angeboren. Selbst die Allerkleinsten sind schon wahre Gesichts-Experten und lassen sich so schnell nichts vormachen. Im Londoner Babylab versucht die Forscherin Janine Spencer Babys zu täuschen, indem sie hohle Masken aus Pappmaché nach hinten dreht. Ohne Erfolg. Die Mini-Probanden betrachten auch die umgedrehten Masken mit Interesse. Ihr Gehirn korrigiert automatisch die Form der Masken, so dass die Kleinen wieder ein normales Gesicht sehen. Diese Fähigkeit steckt in jedem gesunden menschlichen Gehirn. Alles, was nur entfernt wie ein Gesicht aussieht, löst diesen Mechanismus aus. Deshalb sehen wir manchmal auch dort Gesichter, wo gar keine sind - zum Beispiel in Wolken oder Bäumen. Gesichter sind einfach das Lieblingsmotiv des Gehirns - und bleiben es, das ganze Leben lang.
Geheimnisse der Mimik
Neben dem Aussehen beurteilt das Gehirn auch die Mimik des Gesichts und zieht daraus seine Schlüsse - natürlich ebenfalls in Rekordzeit. Innerhalb von Sekundenbruchteilen analysiert es die Gefühlslage des Anderen. Das reicht, um sich intuitiv auf ihn einzustellen. Menschen mit einer ähnlichen Mimik finden wir automatisch sympathischer. Wissenschaftliche Tests zeigen, dass Freunde ihre Mimik spontan angleichen, wenn sie sich treffen. Die Gesichter-Erkennung des Gehirns ist eine wahre Spitzenleistung, die abläuft, ob wir nun wollen oder nicht.
Autoren: Francesca D‘Amicis, Petra Höfer, Freddie Röckenhaus (WDR)
Stand: 07.11.2012 20:26 Uhr