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Vorbildlich: Tunnelbau zu Hamburg

Licht am Ende des Tunnels

Die Spitze des Tunnelbohrers Ameli
"Ameli" hat einen Teilabschnitt des Tunnels geschafft. | Bild: NDR

Tief im Hamburger Untergrund wühlt sich eine riesige Maschine durch das Erdreich. Sie heißt Ameli, das ist die Abkürzung für Am Ende Licht. Ameli sieht aus wie ein gigantischer, stählerner Wurm von 83 Metern Länge und 5,48 Metern Durchmesser. Sie gräbt einen Tunnel für das neue europäische Forschungszentrum European XFEL. In dem 3,4 Kilometer langen Bauwerk soll später ein neuartiger Röntgenlaser stehen. Mit ihm können die Forscher Filmaufnahmen im Inneren von Zellen machen. Aber bis der große Durchbruch auf Zellebene kommt, muss Ameli noch etwas graben. Hundert Meter trennen sie von ihrem Ziel, der unterirdischen Experimentierhalle, in der die Wissenschaftler später ihre Versuche durchführen wollen. Wenn alles gut läuft, wird Ameli dort im Sommer punktgenau durch die Wand brechen.

Vorbild Wurm

Grafik des Tunnelbohrers Ameli
Schiffsbohrwürmer lieferten die Inspiration für Tunnelbohrmaschinen. | Bild: Herrenknecht AG

Das Grundprinzip, nach dem moderne Tunnelbohrmaschinen heute noch arbeiten, ist schon fast 200 Jahre alt. 1825 entwickelten zwei Ingenieure das so genannte "Schildvortriebsverfahren" für den Bau des 400 Meter langen Thames-Tunnels in London. Dabei ließen sie sich von Schiffsbohrwürmern inspirieren, einer Muschelart, die sich mit kleinen Raspelzähnen durch Schiffsplanken frisst und hinter sich einen Tunnel mit kalkhaltigen Sekreten "ausmauert". So ähnlich wollten es die Techniker auch machen.

Sie bauten eine riesige eiserne Röhre mit einem Durchmesser von sechs Metern, die an beiden Seiten offen war - den so genannten Schild. Die Röhre wurde waagerecht durch die Erde vorwärts getrieben. An der vorderen Öffnung räumten die Arbeiter dabei von Hand die Erde weg, hinten mauerten ihre Kollegen die Tunnelröhre mit Steinen aus. Sobald wieder ein Stück gegraben und gemauert war, wurde der Schild hydraulisch nach vorne geschoben. Er verhinderte, dass das Erdreich über den Arbeitern zusammenstürzte. Das System funktionierte sogar im nassen Untergrund unter der Themse. Um einen Wassereinbruch zu verhindern, bauten die Ingenieure in die Röhre eine Druckschleuse und setzten den Raum, in dem die Arbeiter schaufelten, unter Überdruck.

Tödlicher Tunnel

Zeichnung des Elbtunnelbaus
Der alte Elbtunnel wurde bereits im Schildvortriebsverfahren gebaut. | Bild: NDR

Als 1907 der erste Elbtunnel in Hamburg gebaut wurde, kam auch hier das Schildvortriebsverfahren mit Druckluft zum Einsatz. Eines Tages kamen die Arbeiter beim Bau der Unterquerung der Elbe zu weit nach oben, zu dicht an den Grund des Flusses. Die dünne Schicht aus Elbschlick und Kies hielt nicht. Der Überdruck im Tunnel sprengte ein großes Loch in die Tunneldecke und die Pressluft schoss in einer gewaltigen Fontäne an die Wasseroberfläche. Während es noch blubberte und brodelte, begann Elbwasser durch das Loch in den Tunnel zu laufen. Die Arbeiter schafften es in letzter Sekunde, sich hinter der Druckschleuse in Sicherheit zu bringen. Es dauerte Tage, das Loch von oben mit Steinen und Beton abzudichten. Die Gefahr eines Blowouts, wie man diesen Unfall nennt, war jetzt allen bewusst.

Schwer unter Druck

Bauarbeiter im Tunnel
Beim Tunnelbau war lange Zeit Handarbeit angesagt. | Bild: NDR

Eine noch viel größere Gefahr des Tunnelbaus mit Schildvortrieb war die Arbeit in der Druckkammer: Im Blut der Männer reicherte sich durch den Überdruck Stickstoff an. Das Phänomen ist besser bekannt als Taucherkrankheit. Unter normalen Druckbedingungen, zum Beispiel nach Verlassen der Druckkammer, gast der im Blut gelöste Stickstoff sofort aus. Er kann das Blut im Extremfall zum Schäumen und Gefäße zum Platzen bringen. Drei Männer starben an den Folgen dieses Phänomens. Erst als die Bauherren einen ausgebildeten Taucherarzt hinzuzogen, der die Arbeitszeiten in der Kammer streng limitierte und regelmäßige Gesundheitskontrollen machte, war die Gefahr gebannt.

Hamburg - Tunnelhauptstadt Deutschlands

Hamburger Siel
Das Hamburger Siel war eines der ersten modernen Kanalisations-Systeme. | Bild: picture-alliance/dpa

Trotz der Rückschläge wurden in Hamburg mehr Tunnel gebaut als in irgendeiner anderen deutschen Stadt. Allein das unterirdische Abwassersystem verfügt über Röhren von über vier Metern Durchmesser. Es war die erste moderne Kanalisation auf europäischem Festland seit der Römerzeit. 1902 kam Kaiser Wilhelm II eigens in die Hansestadt, um eine unterirdische Bootsfahrt in der neu gebauten Kanalisation zu machen. Die Tunnelbauprojekte der Hamburger wurden immer aufwändiger und ehrgeiziger. In den 1960er-Jahren gruben die Arbeiter in ihrer Röhre nicht mehr mit Spaten und Hacken, sondern wie beim neuen Elbtunnel 1968 mit kleinen, hydraulischen Baggern. Statt mit Ziegelsteinen wurde die Tunnelröhre mit vorgefertigten Eisen- oder Betonelementen befestigt, den so genannten "Tübbingen", die zu Stützringen verschraubt wurden.

Vom Bagger zu "Ameli"

Die erste, vollautomatische Tunnelbohrmaschine Deutschlands kam ebenfalls in Hamburg zum Einsatz. Statt der Minibagger grub sich nun ein riesiges, rotierendes Schneidrad durch das Erdreich. Und so funktioniert es - von technischen Feinheiten abgesehen - bis heute. Auch Ameli raspelt sich vollautomatisch durch den Untergrund. Moderne Laserpeilsysteme bestimmen bis auf den Millimeter genau ihre Position. Über Druckverlagerung auf dem Schneidrad lässt sich die Tunnelbohrmaschine sogar in die Kurve lenken.

Das nächste Hamburger Tunnelbauprojekt ist übrigens auch schon in Arbeit: Ein neues Siel, um die alte Kanalisation von 1902 zu entlasten.

Autor: Björn Platz (NDR)

Stand: 13.11.2015 14:14 Uhr

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