So., 05.02.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Sicher in der Grube
Methan-Explosionen in der Tiefe
Am 7. Februar 1962 ereignet sich eine Grubengasexplosion, die bis heute als eines der schwersten Unglücke in der Geschichte des deutschen Steinkohlebergbaus gilt. 400 Bergleute sind im Alsbachfeld der saarländischen Grube Luisenthal in 600 Metern Tiefe bei der Arbeit, während sich in einem schlecht belüfteten Seitenstollen unbemerkt das hochexplosive Methangas sammelt. Als es sich schließlich entzündet, rast eine gewaltige Feuerwalze durch das Bergwerk. Die Druckwelle reißt die Kumpel von den Beinen und schleudert sie meterweit durch den Schacht. Fast 300 Bergleute sterben bei der Explosion.
Schlagwetter - die unberechenbare Naturgewalt
Explosionen unter Tage gibt es seit den Anfängen des Steinkohlenbergbaus. Lange wissen die Bergleute nicht, woher die tödliche Gefahr stammt. "Schlagwetter" nennen sie die Bedrohung - eine unberechenbare Naturgewalt, die aus dem Nichts über die Kumpel hereinbricht. Erst im 18. Jahrhundert entdeckt man die wahre Ursache des Übels: Methan. Das leicht entzündliche Gas bildet sich als Nebenprodukt schon bei der Entstehung von Kohle und wird erst beim Abbau wieder frei gesetzt. Es sammelt sich bei schlechter Belüftung in den Schächten und Strecken der Grube an. Liegt der Methangehalt der Stollenluft über drei Prozent, reicht ein kleiner Funke und das Gas-Sauerstoff-Gemisch explodiert.
Die Katastrophen nehmen kein Ende
Die neuen Erkenntnisse haben zunächst so gut wie keine praktischen Konsequenzen. Für die Arbeit unter Tage benötigen die Kumpel Licht, aber so genannte "funkenschlagsichere Lampen" werden erst im 19. Jahrhundert erfunden. Ab 1887 sind solche von einem Drahtkäfig ummantelten Leuchten endlich Pflicht. Doch noch immer gibt es regelmäßig Explosionen: 1908 sterben auf der Zeche Radbod bei Hamm 300 Kumpel. Und auf der Zeche Monopol löst am 20. Februar 1946 eine Gas- und Kohlestaubexplosion in 900 Metern Tiefe eine derart starke Druckwelle aus, dass es selbst über Tage zu Todesopfern kommt. Insgesamt verlieren 405 Bergleute an diesem schwarzen Wintertag ihr Leben - das schwerste Unglück des deutschen Steinkohlebergbaus.
Tödlicher Kohlenstaub
Bis heute ist die Explosionsgefahr nicht gebannt. Dass es trotzdem seit Ende der 1980er-Jahre in Deutschland kein Unglück mehr gegeben hat, liegt an den Sicherheitsmaßnahmen. In Dortmund beginnen Wissenschaftler 1947 systematisch an Explosionen unter Tage zu forschen - und machen eine entscheidende Entdeckung: Sie finden heraus, dass Methan Feuerwalzen zwar auslöst, sie aber nicht am Leben hält. Erst Kohlenstaub sorgt dafür, dass sich das Feuer mit hohem Druck kilometerweit in den Schächten ausbreitet. Ein wirksames Sicherheitssystem muss deshalb nicht nur für geringe Methangaskonzentrationen unter Tage sorgen, sondern auch die Verbreitung des Kohlenstaubs eindämmen.
Endlich Sicherheit
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse entwickeln die Ingenieure ein mehrstufiges Sicherheitssystem, das Prävention und Maßnahmen für den Notfall verbindet. Die wichtigsten Aspekte dieses Systems:
1) Messstationen überwachen ständig den Gasgehalt im Grubengebäude und melden kritische Gaskonzentrationen an die Grubensicherheitswarte über Tage. Bei mehr als einem Prozent Methan in der Streckenluft wird bei allen elektrischen Geräten im Umkreis von Kilometern sofort der Strom abgestellt.
2) Ein gigantisches Belüftungssystem - die Bewetterung - versorgt das Grubensystem ständig mit Frischluft und saugt gleichzeitig Methangas ab. Viele Bergwerke haben ein Streckennetz von 90 Kilometern Länge und mehr - eine architektonische Meisterleistung: Der Luftstrom, der von über Tage angesaugt wird, muss dafür durch ein riesiges Wirrwarr aus Schächten und Stollen geleitet werden.
3) Wassertrogsperren verhindern die Ausbreitung einer Explosion - eine simple, aber effektive Methode für den Ernstfall: An der Decke vieler Stollen hängen mit Wasser gefüllte Kanister. Die Druckwelle der Explosion bringt die Kanister zum Zerplatzen. Es bildet sich ein Wasservorhang, der die Explosionsflammen löscht.
Made in Germany
Nach Jahrhunderten der Katastrophen ist es den Ingenieuren schließlich gelungen, den deutschen Steinkohlebergbau sicher zu machen. Weltweit fordern Explosionen allerdings noch immer zahlreiche Todesopfer: In China, dem größten Steinkohleproduzenten der Welt, starben allein 2010 laut Nationaler Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) 593 Kumpel bei Gasexplosionen. Das könnte sich ändern: Zwar werden die deutschen Kohlezechen bis 2018 schließen - doch die hier entwickelte Sicherheitstechnologie dient dem weltweiten Steinkohlebergbau als Vorbild und wird immer häufiger auch in ausländischen Zechen eingesetzt.
Autor: Max Lebsanft (WDR)
Stand: 13.11.2015 14:17 Uhr