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Zähmung eines Killersees

Seltsame Naturkatastrophe

Nyos-See
In den 1980er-Jahren fand hier eine Naturkatastrophe statt. | Bild: DasErste

In der Nacht vom 21. auf den 22. August 1986 ereignete sich in Kamerun eine der seltsamsten Naturkatastrophen des 20. Jahrhunderts: Über 1.700 Menschen in der Umgebung des Nyos-Sees sterben über Nacht - zunächst aus unersichtlichem Grund. Am nächsten Morgen ist es in einem Umkreis von bis zu 25 Kilometern gespenstisch still. In der ansonsten von Vogelgezwitscher erfüllten Kulisse im Bergland von Kamerun ist kein Ton mehr zu hören. Die Tiere scheinen wie nach einem Giftgasangriff erstickt zu sein.

Rätselraten über die Ursache

Tote Schafe
Menschen und Tiere ersticken in einer Nacht. | Bild: DasErste

Die Forscher vermuten als Ursache zunächst einen Vulkanausbruch, der giftige Gase freigesetzt haben könnte. Doch dafür lassen sich keine Belege finden. Dann stellen sie fest, dass das Wasser des Nyos-Sees kurzzeitig über die Ufer getreten ist. Das Erdreich an den steilen Berghängen rund um den See ist heruntergespült worden. Schließlich wird klar: Das im Wasser des Sees gespeicherte Kohlendioxid muss sich innerhalb von Sekunden freigesetzt und den See in eine gigantische übersprudelnde Mineralwasserflasche verwandelt haben. Da das Gas schwerer als Luft ist, hat es sich in Bodennähe ausgebreitet und alles menschliche und tierische Leben erstickt.

Bis heute ist die genaue Quelle des Kohlendioxids nicht gefunden. Die Forscher vermuten, dass es am Boden des Sees als kohlendioxidhaltiges Wasser einströmt. Denn in tieferen Schichten ist in dieser ehemals vulkanisch aktiven Gegend noch viel heißes Magma vorhanden, aus dem Gas austritt und sich im Grundwasser löst. Das zeigen auch zahlreiche Quellen mit stark kohlendioxidhaltigem Wasser rund um den See.

Eine tickende Zeitbombe

Nyos-See
Böse Seegeister? | Bild: DasErste

Der Nyos-See hat sich in einem ehemaligen Vulkankrater gebildet. Im Querschnitt sieht er wie ein riesiger Kochtopf aus: Die Seewände fallen fast senkrecht auf über 200 Meter Tiefe ab, der Seeboden ist nahezu gerade. Dieses Tiefenprofil führt dazu, dass sich das Wasser des Sees kaum durchmischt. Außerdem sind die jährlichen Temperaturschwankungen im tropischen Klima Kameruns gering. Anders als in unseren Breiten wird das Wasser also nicht dadurch gemischt, dass im Winter das erkaltete Oberflächenwasser nach unten sinkt. Im Laufe der Zeit hat sich so am Boden des Sees immer mehr Kohlendioxid gesammelt. Bei dem hohen Wasserdruck in 200 Metern Tiefe können sich theoretisch über 16 Liter Gas in einem Liter Wasser lösen. Vermutlich ist der See nach dem selben Prinzip schon in früheren Zeiten ausgebrochen, denn alte Mythen erzählen von bösen Geistern, die im See wohnen.

Ein "Riesenstrohhalm" soll den See entgasen

Eine Wasserfontäne auf dem See
Lange Rohre sollen das Wasser von seinem gefährlichen Kohlendioxid befreien. | Bild: DasErste

Um den See dauerhaft zu entschärfen, schlägt der französische Vulkanologe Michel Halbwachs von der Universität Savoyen eine überraschende Lösung vor. Er will den See mit einer Art Riesenstrohhalm entgasen. Das Prinzip ist simpel: Ein langer Schlauch wird bis auf den Boden des Sees heruntergelassen. Eine kleine Pumpe saugt das gashaltige Tiefenwasser an. Wenn es in Richtung Seeoberfläche aufsteigt, nimmt der Wasserdruck ab und das Kohlendioxid sprudelt wie bei einer geöffneten Mineralwasserflasche in Form von Gasblasen aus. Schließlich spritzt das Wasser-Gasgemisch ganz von alleine aus dem Schlauch. Den ersten erfolgreichen Test macht Michel Halbwachs noch mit einem langen Gartenschlauch, den er bis auf den Seeboden hinab lässt. Bis es ihm aber schließlich gelingt, seine Idee in großem Maßstab umzusetzen, vergehen 25 Jahre. Immer wieder muss er mit finanziellen und technischen Problemen kämpfen. Obwohl das Prinzip simpel ist, betritt er damit unerforschtes Neuland.

Nach einem Zwischenerfolg im Jahr 2001, bei der eine Entgasungssäule den erneuten Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration im Wasser stoppt, vergehen wieder Jahre. Erst 2011 gibt die Regierung von Kamerun die Mittel frei, um zwei weitere Entgasungs-Rohre zu installieren. Sie werden bis etwa 2018 den See fast vollständig entgast haben, schätzt Michel Halbwachs. Eine einzige Säule wird danach auf kleiner Höhe weiterlaufen, um das ständig nachströmende Gas sofort wieder zu entsorgen. Damit wird die tickende Zeitbombe im See, die Jahrhunderte lang Menschenleben bedrohte, endlich still gelegt sein.

Autor: Ingo Knopf (WDR)

Stand: 13.11.2015 14:18 Uhr

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